Die Schweizerinnen und Schweizer sind «ein Volk von Mietenden, das von Wohneigentum träumt». So bringt es die Raiffeisenbank auf den Punkt, ein grosser Player auf dem Hypothekenmarkt. Nur 36 Prozent der Haushalte besitzen ihr Häuschen oder ihre Wohnung. Damit hat die Schweiz gemäss Raiffeisen «eine der tiefsten Wohneigentumsquoten der Welt».
Und Besserung ist nicht in Sicht, im Gegenteil. Wegen des knappen Angebots und des Bevölkerungswachstums kennen die Immobilienpreise nur eine Richtung: nach oben. In «Hotspots» wie Zug, Zürich, Arc lémanique oder Oberengadin ist Wohneigentum selbst für Mittelstandsfamilien mit gutem Einkommen praktisch unerschwinglich geworden.
Manche empfinden deshalb eine Sehnsucht nach der «guten alten Zeit», in der das Einfamilienhaus vermeintlich erschwinglich war. Es ist die pure Selbsttäuschung. In den 1970er und 80er Jahren lag die Eigentumsquote bei rund 30 Prozent. Wer in den eigenen vier Wänden leben wollte, brauchte stets viel Geld, gute Beziehungen und/oder Glück.
Der Traum aber lebt in vielen Köpfen weiter. Das führt politisch zu einem interessanten Phänomen: Anliegen der Hauseigentümer stossen auch bei Mieterinnen und Mietern auf Sympathie. Das zeigte sich im letzten November, als zwei von der Lobby der Besitzenden «gepushte» Mietrechts-Lockerungen nur relativ knapp abgelehnt wurden.
Nun könnte es für den Hauseigentümerverband (HEV) noch besser kommen. Die Abschaffung des Eigenmietwerts, über die am 28. September indirekt abgestimmt wird, stösst in den ersten Umfragen auf beachtliche Zustimmung. Bei YouGov und SRG/GFS sagen 58 Prozent Ja, und in der ersten Tamedia-Erhebung wollen sogar 65 Prozent sicher oder eher dafür stimmen.
Beim Eigenmietwert handelt es sich um fiktive Einnahmen, die Wohneigentümer versteuern müssen. Von einer «Geistersteuer» sprechen die Befürworter der Vorlage. Das scheint auch Mieterinnen und Mietern einzuleuchten. In der Tamedia-Umfrage überzeugte das Argument «mit Abstand am stärksten», die heutige Regelung sei ungerecht.
Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass Mietende von der Abschaffung des Eigenmietwerts profitieren würden. Es handelt sich um ein «Steuergeschenk» für die Besitzenden, die in vielen Fällen bereits zu den Privilegierten im Land gehören. Der Eigenmietwert sollte einen gewissen Ausgleich schaffen. Seine Beseitigung könnte die Ungleichheit verstärken.
Immerhin konnte sich das Parlament zu einem «echten» Systemwechsel durchringen. Mit dem Eigenmietwert fallen auch die Steuerabzüge für Hypozinsen (mit Ausnahmen für Erstkäufer) und Unterhaltsarbeiten weg. Bei den früheren, gescheiterten Anläufen hatte der Hauseigentümerverband den Fünfer und das Weggli angestrebt: kein Eigenmietwert, aber weiterhin Abzüge.
Der Systemwechsel macht die Vorlage mehrheitsfähig, denn selbst der Mieterinnen- und Mieterverband (MV) tendierte anfangs zu einem Ja. Nun aber gehört er zur Nein-Allianz mit linksgrünen Parteien, die vor Steuerausfällen warnen, und Teilen des (Bau-)Gewerbes, denen der Wegfall der Sanierungs-Abzüge ein Dorn im Auge ist. Sie fürchten um Aufträge.
Die Befürworter verwiesen darauf, dass kaum ein Eigentümer seine Liegenschaft verlottern lassen und einen Wertverlust in Kauf nehmen würde. Begründeter sind die Befürchtungen, energetische Sanierungen (Stichwort Dekarbonisierung) könnten verzögert werden. Auch warnen die Gegner, dass es ohne Steuerabzug zur Zunahme von Schwarzarbeit kommt.
Deshalb engagiert sich auch der Waadtländer FDP-Ständerat und ehemalige kantonale Finanzdirektor Pascal Broulis gegen die Vorlage. Damit kommt ein pikanter Aspekt ins Spiel, denn am 28. September wird gar nicht über den Eigenmietwert abgestimmt. Vielmehr sollen die Kantone die Möglichkeit erhalten, eine neue Steuer auf Zweitliegenschaften einzuführen.
Damit wollte die bürgerliche Parlamentsmehrheit den Berggebieten entgegenkommen. Dort gibt es viele Ferienhäuser und -wohnungen. Ohne Eigenmietwert drohen happige Einnahmenausfälle. Die Objektsteuer soll dies kompensieren. Sie ist mit der Abschaffung des Eigenmietwerts verknüpft. Diese würde bei einem Nein im September hinfällig.
Ein solches Szenario ist trotz der guten Umfragewerte nicht ausgeschlossen, denn Steuern sind auf Verfassungsstufe geregelt. Es braucht somit das Ständemehr, und dieses ist alles andere als gesichert, denn 19 der 26 Kantonsregierungen lehnen den Systemwechsel und die neue Zweitwohnungssteuer ab, auch weil deren Umsetzung Fragen offen lässt.
Gerade die Gebirgskantone, die man einbinden wollte, misstrauen dieser Steuer. Sie fürchten «neue Umgehungs- oder Optimierungsmöglichkeiten» sowie mehr Bürokratie. In einer «unheiligen Allianz» mit der mieterfreundlichen Westschweiz könnten sie die Vorlage am 28. September zum Absturz bringen, selbst wenn das Stimmvolk Ja sagt.
Es ist eine in mancher Hinsicht paradoxe Situation. Die Abschaffung der «Geistersteuer» soll mit einer neuen Steuer durchgesetzt werden, obwohl die vermeintlichen Profiteure wenig bis gar nichts davon halten. Unter normalen Umständen hätte eine solche Vorlage kaum eine Chance, doch in einem Volk von Möchtegern-Hausbesitzern stösst sie auf Wohlwollen.
«Ein Volk von Mietenden, das von Wohneigentum träumt», könnte einer Vorlage zum Durchbruch verhelfen, die ihm kaum etwas bringt. Denn mit oder ohne Eigenmietwert bleibt das Angebot an Einfamilienhäusern und Stockwerkeigentum knapp und teuer. Massnahmen, die den Erwerb erleichtern sollen, treiben hierzulande nur die Preise weiter in die Höhe.
Und nicht zuletzt gehört ein grosser Teil der Hauseigentümer der älteren Generation an. Sie haben oft kaum noch Abzüge und profitieren voll vom Ende des Eigenmietwerts. Wie bei der 13. AHV-Rente könnte sich die Vorlage als «Geschenk» an die Alten auf Kosten der Jungen erweisen. Vielleicht gibt dies dem einen oder anderen Möchtegern-Besitzenden zu denken.
Bezeichnend, wie oft zugunsten von Vermögenden / Unternehmen / usw. abgestimmt wird, obwohl es für die Mehrheit nichts bringt. Aber hey, vielleicht erbt man ja doch mal oder gewinnt im Lotto!
Reich sind wir nicht, wir sind zufrieden. Auf die Pensionierung hin wären wir froh, keine Hypothelast mehr zu tragen und sie vollumfänglich zu amortisieren. Daher begrüssen wir die Abschaffung des Eigenmietwertes.