In Ernest Hemingways Roman «The Sun Also Rises» wird eine Figur gefragt, wie sie denn pleitegegangen sei. «Auf zwei Arten», lautet die Antwort. «Allmählich, dann plötzlich.»
Dieses Zitat wird gerne verwendet, wenn es darum geht, wie sich eine Situation plötzlich zum ganz Schlechten wendet. Vielleicht wird es dereinst auch zur Beschreibung dessen benützt, was mit Donald Trump passiert ist, nachdem das «Wall Street Journal» einen brisanten Brief veröffentlicht hat, den der US-Präsident dem Finanzier und Sex-Verbrecher Jeffrey Epstein zum 50. Geburtstag geschickt hat.
Der Brief ist Teil eines Buches, das Epsteins langjährige Gefährtin Ghislaine Maxwell von einem Buchhändler in New York hat fertigen lassen. Die darin enthaltenen Briefe sind vor 2006 verfasst worden, also bevor Epsteins kriminelles Verhalten bekannt war. Mehrere Prominente haben ebenfalls teils schlüpfrige Widmungen geschrieben, etwa der Milliardär Leslie Wexner («Victoria’s Secret») und der Anwalt und Harvard-Professor Alan Dershowitz.
Trumps Glückwunsch ist besonders pikant. Der Text rahmt sich um eine mit einem Filzstift gezeichnete, nackte Frau. Trumps Unterschrift stellt dabei die Behaarung einer Vulva dar, und der Text endet mit den zweideutigen Worten: «Happy Birthday – und möge jeder Tag ein neues wunderbares Geheimnis sein.»
So weit, so schlecht. Fügt man diesen Brief zu den bereits bekannten Indizien für das Verhältnis zwischen Trump und Epstein, dann ergibt das kein schönes Bild. Erinnern wir uns:
Es ist unbestritten, dass die beiden in den Jahren zwischen 1980 und 2000 eine sehr freundschaftliche Beziehung hatten. Es existiert gar ein Tonband, auf dem Epstein Trump als seinen besten Freund bezeichnet. Ebenso gibt es Fotos und Videos, welche die beiden beim Feiern in Mar-a-Lago zeigen.
Die «New York Time» meldet, dass Trump zwischen 1993 und 1997 mindestens siebenmal in Epsteins Privatjet gereist ist. Ebenfalls ist unbestritten, dass im Jahr 2000 Epsteins Gefährtin Maxwell in Mar-a-Lago die damals minderjährige Virginia Giuffre angeworben und zu einer Sexsklavin ausgebildet hat. Giuffre hat inzwischen Suizid begangen.
Im Jahr 2004 verkrachten sich die beiden wegen eines Kampfes um ein Grundstück in Palm Beach (Bundesstaat Florida), wo auch Epstein eine Residenz hatte. Trump will danach den Kontakt abgebrochen haben. Als Epstein 2019 in New York wegen seiner Sexverbrechen angeklagt wurde, erklärte Präsident Trump; «Ich kannte ihn nur, wie ihn alle in Palm Beach kannten. Ich war nicht sein Fan, das kann ich euch versichern.»
Auch die Existenz des vom «Wall Street Journal» veröffentlichten Briefs verneint Trump aufs Heftigste. «Das bin nicht ich», zitiert ihn das Blatt. «Das ist fake. Es ist eine gefälschte Geschichte.» Wenig erstaunlich ist auch, dass der Präsident umgehend mit Klagen gedroht hat. «Ich werde das ‹Wall Street Journal› verklagen, wie ich alle anderen auch verklagt habe.» Tatsächlich hat der US-Präsident vor Gericht mehrere Male Erfolg gegen Mainstream-Medien gehabt, so gegen die TV-Stationen ABC und CBS.
Was könnte diesmal anders sein? Fast alles. Zum einen: Das «Wall Street Journal» ist die amerikanische Antwort auf die «NZZ», das Organ der Wirtschaft. Es gehört Rupert Murdoch, dem mächtigsten Verleger der Welt, der unter anderem auch Fox News besitzt, Trumps inoffiziellen Staatssender.
Man kann also davon ausgehen, dass die besten und teuersten Medienanwälte der USA jeden Buchstaben des veröffentlichten Textes genauestens geprüft und eine Heerschar von Fakt-Checkern jedes Detail unter die Lupe genommen haben. Der Brief existiert und das «Wall Street Journal» hat zumindest eine Kopie davon, sonst wäre er niemals veröffentlicht worden.
Wir müssen uns daher fragen, weshalb er veröffentlicht wurde. Weshalb fällt ausgerechnet ein Murdoch-Medium Trump in einer Situation in den Rücken, in der er ohnehin schon massiv Ärger mit seiner Basis hat? Und der Verleger war im Bild, wie das Weisse Haus selbst bestätigte. Ebenfalls ausgeschlossen werden kann, dass Emma Tucker, die Chefredaktorin des «Wall Street Journal», eigenmächtig gehandelt hat. Denkbar ist auch, dass das Blatt noch weitere Beweise in der Rückhand hat.
Angesichts dieser Tatsachen drängt sich eine Spekulation – nochmals, eine Spekulation – auf, dass TACO-Trump für die Wall Street ein zu grosses Risiko geworden ist. Verschiedene namhafte Grössen wie Jamie Dimon – der einflussreichste Banker der Gegenwart und lange dem Präsidenten wohlgesonnen – warnen vor der erratischen Zollpolitik und weiteren Staatsschulden in Billionenhöhe. Auch Ray Dalio, der Gründer des grössten Hedgfunds, stösst in dieses Horn.
Dazu kommt, dass der Dauerstreit Trumps mit Jerome Powell, dem Präsidenten der Nationalbank, eine ernsthafte Gefahr für das Finanzsystem darstellt. Zudem mehren sich die Anzeichen, dass Trump wie Biden Symptome einer Altersdemenz entwickelt. So hat er sich gestern darüber gewundert, welcher «Idiot» denn Powell ins Amt gesetzt habe – und offenbar nicht mehr gewusst, dass er es selbst war.
Für die Wall Street ist Trump zum Risiko geworden, für zumindest einen Teil der MAGA-Meute ein Verräter. Für sie ist die Epstein-Liste der Pfeiler ihrer Überzeugung, wonach sie von einer perversen Elite regiert werden. Sie fordern deshalb Aufklärung um jeden Preis, und genau das will Trump nicht.
Unter dem wachsenden Druck der Basis hat der Präsident zwar seiner Justizministerin Pam Bondi jetzt die Weisung erteilt, Notizen aus den Anhörungen der Grand Jury im Fall Epstein zu veröffentlichen. (Grand Jury ist eine Art Vorgericht, wo entschieden wird, ob jemand angeklagt werden darf.) Doch das wird bei weitem nicht reichen. «Netter Versuch», spottet etwa Dan Goldman, ein wichtiger Abgeordneter der Demokraten, auf X. «Aber was ist mit den Videos, den Fotos und anderen Aufzeichnungen?»
Der Streit um die Veröffentlichung der Epstein-Liste ist zu einem Machtkampf zwischen Trump und seiner Basis mutiert. Verliert der Präsident diesen Kampf, gibt es kein Halten mehr. Die Abgeordneten und Senatoren der Grand Old Party haben wenig Liebe für Trump übrig, ja es ist hin reichlich bekannt, dass sie ihn hassen wie Gift. Einzig die Furcht davor, dass er in den Vorwahlen einen Gegner unterstützt, führt dazu, dass sie sich ihm bedingungslos unterwerfen.
Um zu zeigen, was passiert, wenn Trump die MAGA-Meute verliert, bringt Peggy Noonan, eine einflussreiche «Wall Street Journal»-Kolumnistin, folgenden Vergleich: Nachdem die Berliner Mauer gefallen war, wollte Margaret Thatcher von einem Experten wissen, wie die Natur der Deutschen sei. «Nun», entgegnete dieser Experte. «Sie liegen dir entweder zu Füssen – oder gehen dir an die Kehle.» So gesehen ist ein drittes Impeachment gar nicht mehr ein so abwegiger Gedanke.
Denn wenn danach Vance kommt nimmt die Horrorshow ganz andere Dimensionen an 😱.
Die Old-School-Wirtschaft will wieder Stabilität und kalkulierbare Deals. Die Tech-Elite setzt auf maximale Disruption und einen noch radikaleren Kulturkampf – möglichst ohne Trumps Kontrollverlust-Risiko.
Die GOP-Funktionäre wollen ihre Macht sichern, egal mit wem. Und die neue Rechte sucht einen „nützlichen“ Frontmann – nicht unbedingt Trump.