Ende 2016 befanden sich viele Liberale und Linke in Europa in Schockstarre. Die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten schien eine Zeitenwende zu markieren. Wortführer der Rechten bejubelten sie als «Revolution» – in der Schweiz etwa die Blocher-nahen Chefredaktoren Roger Köppel und Markus Somm. Rechtspopulistische Gruppierungen fühlten sich im Aufwind.
Wenige Monate zuvor hatte das Votum des britischen Stimmvolks für den Brexit, den Austritt aus der Europäischen Union, den Kontinent erschüttert. Es waren schlechte Perspektiven für das europäische «Superwahljahr» 2017. «Wer glaubt, 2016 sei ein mieses Jahr gewesen, sollte sich warm anziehen. Es dürfte 2017 kaum besser werden», hiess es zum Jahreswechsel auf watson.
Das Jahr ist knapp zur Hälfte vorbei, und der Autor jener Zeilen muss seine Ansicht revidieren. Der Durchmarsch der Populisten ist nicht nur ausgeblieben. Sie haben einige teils heftige Rückschläge erlitten. Es begann in den Niederlanden, wo Geert Wilders unter den Erwartungen abschnitt, und setzte sich fort mit der Wahl des Proeuropäers Emmanuel Macron zum französischen Präsidenten.
In den letzten Tagen hat sich dieser Trend akzentuiert. In mehreren Ländern mussten die Links- und Rechtspopulisten bei Wahlen Rückschläge hinnehmen:
Der Flop der konservativen Premierministerin Theresa May und die starke Performance der Labour-Partei und ihres Chefs Jeremy Corbyn dominierten nach der Unterhauswahl die Schlagzeilen. Ein wenig untergegangen ist das Debakel der United Kingdom Independence Party (UKIP), die nicht nur ihren einzigen Sitz verlor, sondern mehr oder weniger ausradiert wurde.
Ihr Stimmenanteil sank von zwölf Prozent 2015 auf unter zwei Prozent. Parteichef Paul Nuttall trat zurück. UKIP-Mitbegründer und Brexit-Wortführer Nigel Farage zeigte sich alarmiert. Er kündigte seine Rückkehr in die Politik an für den Fall, dass der Brexit nicht nach seinen Vorstellungen ausfallen sollte. Ein «harter» Bruch mit der EU ist nach dieser Wahl wenig wahrscheinlich.
Emmanuel Macrons Partei République en Marche ist die grosse Siegerin der Parlamentswahlen. Unter dem «Durchmarche» litten nicht nur die traditionellen Parteien, sondern auch die Links- und Rechtspopulisten. Marine Le Pen, die Chefin des Front National, kam in der Präsidentschafts-Stichwahl auf 34 Prozent. Nun erlebte ihre rechtsradikale Partei einen dramatischen Absturz auf unter 14 Prozent.
Ähnlich, wenn auch nicht ganz so heftig, erging es dem Linksaussen Jean-Luc Mélenchon und seiner Bewegung La France insoumise. Ihr Stimmenanteil fiel von 19 auf 11 Prozent. Le Pen wie Mélenchon dürften es schwer haben, im zweiten Wahlgang am nächsten Sonntag die für die Gründung einer eigenen Fraktion in der Nationalversammlung notwendigen 15 Sitze zu erreichen.
Die Fünf-Sterne-Bewegung des Komikers Beppe Grillo liegt in den Umfragen konstant bei rund 30 Prozent. Die Kommunalwahlen vom Sonntag aber endeten für die Populisten mit einer kalten Dusche. In keiner der grössten Städten schafften es ihre Kandidaten in die Stichwahl vom 25. Juni, auch nicht in Grillos Heimatstadt Genua.
Besonders bitter für seine ideologisch schwer fassbare Bewegung ist das Resultat in Parma, wo der amtierende Stadtpräsident Federico Pizzarotti gute Chancen auf die Wiederwahl hat. Er war 2012 das erste Fünf-Sterne-Oberhaupt in einer grossen italienischen Stadt, doch seither hat er sich mit Grillo überworfen. Zu den Wahlen vom Sonntag trat er mit einer eigenen Partei an.
Es sind schlechte Vorzeichen für die Parlamentswahlen, die vielleicht im Herbst, spätestens aber im Frühjahr 2018 stattfinden werden. Die Wählerinnen und Wähler scheinen der Fünf-Sterne-Bewegung nicht viel zuzutrauen, was angesichts der Erfahrungen in der Hauptstadt Rom wenig erstaunt, wo die letztes Jahr gewählte Stadtpräsidentin wenig auf die Reihe bekommt.
Hoffen dürfen dafür Ex-Regierungschef Matteo Renzi und seine Demokratische Partei. Renzi arbeitet derzeit fleissig an seinem Comeback und orientiert sich ungeniert an Emmanuel Macron. Frankreichs junger Präsident hat das Kunststück vollbracht, innerhalb kürzester Zeit zum neuen Hoffnungsträger Europas zu werden. Nichts scheint bislang an ihm haften zu bleiben, nicht einmal das anrüchige Immobiliengeschäft seines engen Vertrauten Richard Ferrand.
Für den Kontinent und die Europäische Union sind das gute Nachrichten. Der dynamische Reformer Macron eignet sich als Symbolfigur für Aufbruch und Erneuerung wesentlich besser als die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Verwalterin des Status Quo. Ende letzten Jahres galt Merkel noch als eine Art letzte Hoffnung für Europa. So ändern sich die Zeiten.
Das Formtief der Populisten aber hängt nicht allein mit Macron zusammen. Die verheerende Performance von Donald Trump ist schlechte Werbung für Experimente dieser Art. Auch der wirtschaftliche Aufschwung in der Eurozone hilft den konstruktiven Kräften und Parteien. Das könnte sich auch im Herbst bei den Wahlen in Deutschland und Österreich auswirken.
Gebannt ist die Gefahr damit nicht, im Gegenteil. Unsicherheit ist «zur neuen Normalität in der westlichen Politik» geworden, schreibt die New York Times. Die Herausforderungen durch Globalisierung und Digitalisierung, Migrationsströme und islamistischen Terrorismus bleiben enorm. Das Pendel könnte zurückschwingen, zu Gunsten der Populisten und ihren einfachen Rezepten.