Ende Januar machten Europas Rechtspopulisten mobil. Im deutschen Koblenz am Rhein versammelten sie sich zu einem Kongress, getragen durch den vermeintlichen Rückenwind des Brexit-Votums und der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten. Das Stelldichein fand einen Tag nach dessen Vereidigung statt und sollte Aufbruchstimmung im «Superwahljahr» verbreiten.
2017 werde das Jahr, «in dem die Völker des kontinentalen Europa» erwachen, schwärmte Marine Le Pen, die Chefin des Front National auch mit Blick auf die Präsidentschaftswahl in ihrer Heimat Frankreich. Frauke Petry, die Vorsitzende der Alternative für Deutschland (AfD), rief dazu auf, Europa neu zu denken und neu zu gestalten: «Friedlich, frei, souverän und subsidiär.»
Ja zu einem «Europa der Nationen», Nein zur Europäischen Union und zur Islamisierung – auf diesen Nenner lässt sich der Kongress bringen, an dem auch Geert Wilders, der Chef der niederländischen Freiheitspartei, der Lega-Nord-Vorsitzende Matteo Salvini sowie Vertreter der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) und der belgischen Partei Vlaams Belang teilnahmen.
Man konnte sich ob der Einigkeit, die am «deutschen Eck» zelebriert wurde, ein Schmunzeln nicht verkneifen. Das Motto aller Nationalisten lautet «Wir zuerst!». Egoismus kommt vor Gemeinsinn. Die gleichen Leute, die sich gegenseitig auf die Schulter klopften, würden sich bedenkenlos das Messer in den Rücken stossen, wenn es ihren Zielen dient.
Einen Eindruck davon erhielt man am Vortag, als der Parteivorstand der AfD beschloss, keine Gemeinsamkeiten mit Parteien wie dem Front National zu suchen. AfD-Scharfmacher Jörg Meuthen sagte, man sei gut beraten, «eine gewisse Distanz zum FN zu wahren, unter anderem wegen Marine Le Pens protektionistischer Wirtschaftspolitik». Geht es um Deutschlands Titel als «Exportweltmeister», hat für die AfD die Solidarität mit anderen Nationalisten ihre Grenzen.
Ohnehin ist der nationalistische Aufbruch in Europa ins Stocken geraten. Trumps Wahlsieg und sein chaotischer, unberechenbarer Kommunikations- und Regierungsstil haben den Rechten mehr geschadet als genützt. Bei der Bundespräsidentenwahl in Österreich im Dezember 2016 setzte sich der Grüne Alexander Van der Bellen gegen FPÖ-Mann Norbert Hofer durch. Geert Wilders legte bei den Wahlen in den Niederlanden zu, aber nicht genug, um die Macht zu erobern.
Den vorerst letzten und heftigsten Rückschlag erlebte Marine Le Pen am letzten Sonntag bei der Stichwahl in Frankreich. Die Chefin des Front National unterlag dem Proeuropäer Emmanuel Macron deutlich, im Verhältnis 1:2. Das Ergebnis sei «peinlich für Präsident Trump», folgerte die «Washington Post». Nach dem Terroranschlag in Paris am 21. April hatte er ziemlich unverblümt für Le Pen Werbung gemacht. Nun musste er Macron zum «grossen Sieg» gratulieren.
Another terrorist attack in Paris. The people of France will not take much more of this. Will have a big effect on presidential election!
— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) 21. April 2017
Ein Anti-Trump-Effekt scheint den liberalen, weltoffenen Teil Europas aufgerüttelt zu haben. Das gilt auch für die Schweiz, wo SP und Grüne Erfolge bei Wahlen und Abstimmungen feiern, während die hiesige Trump-Partei, die SVP, eine Niederlage nach der anderen kassiert. Die Wahl von Donald Trump habe «auch hierzulande vielen Menschen die Augen geöffnet», sagte Grünen-Präsidentin Regula Rytz der NZZ. Ihre Partei sei ein «Bollwerk gegen den Rechtspopulismus».
Nirgends aber wird so laut gejubelt wie in Brüssel. EU-Ratspräsident Donald Tusk gratulierte dem französischen Volk, das sich für «Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit» und nicht für «Tyrannei und Fake News» entschieden habe. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zeigte sich «glücklich, dass die Franzosen eine europäische Zukunft gewählt haben». Er bot Präsident Macron an, gemeinsam «für ein stärkeres und gerechtes Europa» einzutreten.
Ist das Schreckgespenst des Rechtspopulismus also aus Europa vertrieben? Keineswegs. Schon bei den Parlamentswahlen in Italien, die spätestens im Frühjahr 2018 stattfinden werden, könnte es sich zurückmelden. Hier ist es vor allem die Fünf-Sterne-Bewegung, die den etablierten Kräften einheizt. Sie ist ideologisch schwer fassbar, aber tendenziell EU-feindlich.
Vieles hängt von Emmanuel Macron ab. Er brauche rasch Erfolge, sonst drohe «eine nationalistische Gegenbewegung», warnt Robin Huguenot-Noël vom Brüsseler European Policy Center (EPC). Der neue Präsident müsse beweisen, das die Zugehörigkeit Frankreichs zur EU «auch ein Instrument ist, um gegen die negativen Kräfte der Globalisierung vorzugehen.»
Das trifft den Nerv der rechten Erfolgswelle, die Donald Trump ins Weisse Haus getragen hat. Es sind die Verlierer der Globalisierung und vor allem jene, die sich vor dem Abstieg fürchten, die ihn gewählt haben. Das gleiche Bild zeigt sich diesseits des Atlantiks. Emmanuel Macron hat in allen gesellschaftlichen Schichten gewonnen, ausser bei den Arbeitern. Die stimmten mehrheitlich für Le Pen.
Der wirtschaftliche Aufschwung in der Eurozone sorgt derzeit für eine gewisse Entspannung. Aber mit der Digitalisierung ist die nächste Herausforderung für die Arbeitsmärkte bereits in vollem Gang. Auch sie wird Verlierer produzieren. Eine Perspektive für diese fehlt bislang, auch in den USA. Dort haben die Trump-Gegner ausser Schadenfreude wenig zu bieten.
Der Spuk ist also keineswegs vorüber. «Er könnte bald umso verheerender zurückkommen», schreibt «Spiegel»-Kolumnist Thomas Fricke. AfD-Chefin Frauke Petry gratulierte am Sonntag Marine Le Pen, ihr sei «trotz massiver Anfeindungen ein beeindruckendes Wahlergebnis gelungen». Brexit-Wortführer Nigel Farage prophezeite am Montag auf Trumps Haussender Fox News, Le Pen werde die nächste Präsidentschaftswahl 2022 gewinnen.
Der Zürcher Rechtspopulismus-Forscher Simon Bornschier bezweifelte dies im watson-Interview. Die zwei Drittel der Franzosen, die nicht auf Front-National-Linie seien, würden «die Seite nicht so schnell wechseln». Was aber geschieht, wenn Macron scheitert? In fünf Jahren könnten Marine Le Pen und Jean-Luc Mélenchon die Stichwahl erreichen. Viele bürgerliche Franzosen würden dann wohl Le Pen wählen, weil sie das weniger schlimme Übel wäre als der «Kommunist» Mélenchon.
Die EU wäre dann wohl am Ende und der Anti-Trump-Effekt nur noch schöne Erinnerung, selbst wenn der US-Präsident ironischerweise vielleicht nicht mehr an der Macht ist. Ein nachhaltiges Zurückdrängen des Rechtspopulismus benötigt eine klare Strategie. Gefordert ist nicht zuletzt Deutschland, das die ungeliebte Führungsrolle in Europa endlich wahrnehmen muss. Und seinen Beitrag dazu leisten sollte, dass Europa tatsächlich «stärker und gerecht» wird.