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Julia Nawalnaja möchte Führungsrolle unter Russlands Demokraten

Julia Nawalnaja will Führungsrolle unter Russlands Demokraten

In Brüssel geben sich drei der prominentesten Kreml-Kritiker entschlossen. Sie wollen als russische Oppositionsbewegung wahrgenommen werden. Doch es gibt ein Problem. Und es heisst nicht Putin.
07.06.2025, 13:3907.06.2025, 13:40
Remo Hess, Brüssel / ch media
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Es kommt nicht oft vor, dass im EU-Parlament in Brüssel Russisch gesprochen wird. Doch an diesem Donnerstag war es so weit. Drei der prominentesten Vertreter der russischen Exil-Opposition waren zu Gast. Und sie wollen in Zukunft öfter vorbeischauen. Als Vertreter der geeinten russischen Opposition. Wenn man sie lässt.

Es war nur ein Tag, nachdem der Kreml-Kritiker Alexej Nawalny seinen 49. Geburtstag hätte feiern können. Aber im Februar vergangenen Jahres ist der russische Politiker gestorben. Im sibirischen Straflager, wo ihn Machthaber Wladimir Putin zu mehr als 30 Jahren Einzelhaft verbannt hatte.

dpatopbilder - 05.06.2024, Berlin: Julia Nawalnaja, Witwe von Alexej Nawalny, kommt zur Verleihung des "Freedom of Speech Award" der Deutschen Welle, mit dem sie ausgezeichnet wird, ins Humb ...
Julia Nawalnaja.Bild: keystone

Seine Witwe Julia Nawalnaja, das wird schnell klar, trauert immer noch. Und sie schwört Rache: «Russland hat mir meine Familie gestohlen. Das werde ich nie vergessen.» Seit dem Mord an ihrem Ehegatten ist sie die starke Frau an der Spitze von dessen «Stiftung für Korruptionsbekämpfung». Eher widerwillig. Denn eigentlich hielt sie sich bei den politischen Aktivitäten ihres Mannes lieber im Hintergrund. Doch jetzt ist sie die Symbolfigur des russischen Widerstands gegen das System Putin.

An ihrer Seite sitzt Wladimir Kara-Mursa. Der Journalist und liberale Demokratie-Aktivist war enger Weggefährte des russischen Oppositionellen Boris Nemzow, der 2015 in Moskau in unmittelbarer Nähe zum Kreml erschossen wurde. Wenige Wochen später wurde Kara-Mursa selbst Opfer eines Giftanschlages. 2017 wurde er zum zweiten Mal vergiftet. Doch er überlebte und liess sich nicht aus Russland vertreiben. Im April 2022 liess ihn Putin wegen Kritik am Ukraine-Krieg ins Gefängnis stecken.

Ilja Jaschin appelliert an den Westen: «Rettet die Ukraine vor Putin»

Praktisch gleichzeitig landete auch Ilja Jaschin im Gefängnis. Der liberale Moskauer Lokalpolitiker machte auf seinem Youtube-Kanal für seine russischen Landsleute das Massaker im ukrainischen Butscha öffentlich. Dafür bestrafte ihn Putin mit achteinhalb Jahren Haft. Noch im Gerichtssaal gab er zu Protokoll: «Ich bin hier, weil ich die Wahrheit gesagt habe. Ich bereue nichts.» Erst 25 Monate später sollten er und Kara-Mursa bei einem Gefangenenaustausch zwischen den USA und Russland freikommen.

Jetzt in Brüssel tritt das Trio mit einer einzigen Hauptbotschaft an. Sie lautet: Tretet in Dialog mit uns, der geeinten russischen Opposition. Es geht um Anerkennung. Denn die drei spüren: Im politischen Europa werden sie immer noch gemieden. Der Grund liegt im Verhältnis zur offiziellen Ukraine, die den Russen nicht vertraut und ihnen vorwirft, sich zu wenig gegen den Krieg zu engagieren.

Darauf angesprochen, wehrt sich Jaschin: «Wie können wir glaubwürdiger sein, als dass wir sagen, was wir denken.» Sie seien dafür ins Gefängnis gegangen. Und jetzt sage er zum Westen: «Rettet die Ukraine vor Putin.» Das werde nämlich auch Russland retten, so Jaschin.

Kara-Mursa betont, dass man die russische Zivilgesellschaft im Westen nicht abschreiben dürfe. Zu denken, die Russinnen und Russen seien aus irgendwelchen Gründen unfähig zur Demokratie, sei ein übles Vorurteil, das nicht akzeptierbar sei.

Nawalnaja beansprucht Führungsrolle in der Opposition

Die EU-Abgeordneten zeigten sich offen, den Dialog zu intensivieren. Aber eine Frage tauchte immer wieder auf: Wie soll die russische Opposition unterstützt werden, wenn sie untereinander so zerstritten ist?

Nawalnaja widerspricht. Sie, Kara-Mursa und Jaschin kämen zwar aus unterschiedlichen Bewegungen. Aber sie würden ihre Kräfte bündeln. «Wir sind die geeinte Opposition», so die Nawalny-Witwe.

Aber eben nicht die ganze. Denn ein wichtiger und einflussreicher Player fehlte: Michail Chodorkowski. Der bei Putin in Ungnade gefallene ehemalige Öl-Oligarch dirigiert von London aus seine eigene Oppositionsplattform. Er hat nicht nur Geld, sondern auch politische Kontakte. Nawalny warf ihm jedoch vor, sich in den 1990er-Jahren bereichert und vom korrupten System profitiert zu haben. Insofern war Chodorkowski für ihn unglaubwürdig.

Zu einer handfesten Eskalation kam es im März letzten Jahres in der litauischen Hauptstadt Vilnius, als Leonid Wolkow, der engste Vertraute von Nawalny brutal überfallen wurde. Ein Unbekannter schlug mit einem Hammer auf den langjährigen Chef der Nawalny-Stifung ein und verletzte ihn schwer. Das Nawalny-Team sieht Chodorkowski im Verdacht, über Umwege mit dem Angriff etwas zu tun zu haben.

Sein Freund, der in Israel lebende russische Milliardär Leonid Nevzlin, soll der Drahtzieher sein, so die Nawalny-Leute. Sowohl er als auch Chodorkowski bestreiten jegliche Nähe zu dem Verbrechen. Gleichwohl geht das Zerwürfnis zwischen den beiden Fraktionen tiefer denn je. Putin kann es nur recht sein. (aargauerzeitung.ch)

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88 Kommentare
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raab23@gmail.com
07.06.2025 14:36registriert Mai 2022
Russland ist noch sehr weit entfernt von einem modernen, liberalen rechtsstaat
Mit oder ohne putin. Auf das Zarenreich folgte nach einer zwischenperiode die genauso wenige Demokratische sowjetunion. Unter jelzin gab es verbesserungen, die von putin nach und nach rückgängig gemacht wurden. Nach 2022 wurden die letzten reste von Toleranz entfernt.
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Waterloo
07.06.2025 14:54registriert September 2022
Russland braucht eine Symbolfigur und die heisst Michail Gorbatschow. Er öffnete den Weg zu einem weltoffenen und zukunftsorientierten Russland. Mit seiner Persönlichkeit überwand er den „Eisernen Vorhang“ und schaffte es nach Jahrzehnten des „Kalten Krieges“ ein glaubwürdiges Vertrauen im Westen aufzubauen. Es ist Putin, der die Vision eines fortschrittlichen und freiheitlichen Russland zerstörte. Wenn die Diaspora es schafft, die Statuen von Stalin durch diejenige von Gorbatschow zu ersetzen, hat Russland wieder eine Zukunft.
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FrancoL
07.06.2025 14:09registriert November 2015
Für mich gibt es 2 Hauptfragen;
Erstens; Stimmt die Aussage;
"Kara-Mursa betont, dass man die russische Zivilgesellschaft im Westen nicht abschreiben dürfe. Zu denken, die Russinnen und Russen seien aus irgendwelchen Gründen unfähig zur Demokratie, sei ein übles Vorurteil, das nicht akzeptierbar sei."
Mir scheint die Opposition aus dem Volk in Russland selbst in den Staedten sehr mager.

zweitens; Navalny war grundsätzlich ein klarer Nationalist und man muss sich die Frage stellen, wie weit ist die Oppsotion nationalistisch. Wenn sie es ist, bessert sich gar nichts.
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    Sind die Verrücktheiten von Elon Musk auf Ketamin zurückzuführen?
    Das Rauschgift Ketamin wird in der Medizin eingesetzt, ist aber auch eine Partydroge. Diese wird nicht nur von Elon Musk, sondern auch in der Schweiz immer häufiger konsumiert.

    «Um es deutlich zu sagen, ich nehme KEINE Drogen! Die New York Times lügt sich den Arsch ab.» Das schreibt Elon Musk auf seiner eigenen Plattform X. Tatsächlich hat diese Zeitung scharf geschossen und geschrieben, der Chef von Tesla und SpaceX habe während des Wahlkampfs für Trump regelmässig Drogen genommen. Insbesondere Ketamin, was sich typischerweise durch Blasenprobleme bemerkbar mache, von denen Musk geplagt sei. Neben Ketamin habe er Ecstasy und halluzinogene Pilze genommen und zudem immer eine Medikamentendose mit 20 Pillen dabeigehabt.

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