Amerikanische Politiker treten in der Regel bestens frisiert, im Anzug und mit Krawatten vor ihre Wählerinnen und Wähler oder vor die TV-Kameras. John Fetterman tut dies meist in Shorts und im Hoody. Der 52-jährige Riese – er misst rund zwei Meter – hält seine Wahlkampfveranstaltungen auch an liebsten in Bars ab, grösstenteils mit einem Bierglas in der Hand.
«Wissen Sie, ich bin einfach der Dude, der Typ von nebenan, der hier auftaucht und über das spricht, woran er glaubt», sagt Fetterman auf die Frage eines Reporters der «New York Times» nach seinem politischen Programm.
Fettermans Dude-Nummer ist kein einstudierter PR-Gag. Man kennt ihn in Pennsylvania, schliesslich war er Bürgermeister von Braddock, einer Industriestadt, die schon bessere Tage gesehen hat. Er kennt die Nöte der Arbeiter, welche ihre Jobs nach Mexiko oder China abwandern sahen oder grosse Lohneinbussen in Kauf nehmen mussten.
Und Fetterman kommt bei dieser Bevölkerungsschicht an. «Teils seiner Lebensgeschichte wegen, teils wegen seiner Persönlichkeit und teils weil er einfach ist, wie er ist; er ist der Typ, in dem sich ein Arbeiter im Blaumann wiedererkennen kann», erklärt dazu Ed Rendell, der ehemalige Gouverneur von Pennsylvania.
In den Vorwahlen hat sich Fetterman locker gegen Conor Lamb – einen Demokraten der konventionellen Sorte – durchgesetzt. Er kann sich im November auch gegen seinen republikanischen Gegner gute Chancen ausrechnen. Ob es der Hedgefonds-Manager David McCormick oder der TV-Doktor Mehmet Oz sein wird, spielt dabei keine Rolle. (Zum Zeitpunkt, an dem dies geschrieben wird, ist dieses Rennen noch nicht entschieden.)
Beide Republikaner verkörpern das pure Gegenteil von Fetterman. Sie sind steinreich und verkörpern die Interessen des Establishments. In Pennsylvania bahnt sich so eine Wiederholung des Rennens zwischen Barack Obama und Mitt Romney bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2012 an. Obama gewann deutlich, weil er Romney als rücksichtslosen Kapitalisten darstellen konnte, der vom Elend des «Rostgürtels» im Mittleren Westen der USA profitiert hat.
Fetterman gilt als Progressiver. Er hat einst Bernie Sanders unterstützt und vertritt wie der Sentaor aus Vermont Anliegen wie: höhere Mindestlöhne, Legalisierung von Marihuana, die Abschaffung des Filibusters, das Recht auf Abtreibung und die Rechte der LGBTQ-Gemeinde. Er fürchtet sich auch nicht vor den Kulturkriegen. «Her damit», schleudert er den Republikanern entgegen. «Wenn es euch Spass macht, eure Wähler anzustacheln, indem ihr Schwule und transsexuelle Kinder tyrannisiert, dann solltet ihr euch nach einem anderen Job umschauen.»
Doch Fetterman lässt sich auch nicht in die linke Ecke abdrängen. Gefragt, ob er sich bei einer allfälligen Wahl der Squad, dem progressiven Zirkel um Alexandria Ocasio-Cortez, anschliessen werde, winkt er ab: «Ich will nicht das nächste Mitglied der Squad werden, aber ich werde euer nächster US-Senator sein.»
Fetterman ist zwar ein Dude, aber er ist nicht auf den Kopf gefallen. Er besitzt einen Abschluss der Harvard University. «Wir sind keine dummen Hillbillys», erklärt dazu eine seiner Anhängerinnen, «bei uns gibt es kein Wischi-Waschi.»
Doug Mastriano ist so etwas wie das konservative Gegenstück von Fetterman. Er hat sich bei den Kandidaten der Grand Old Party (GOP) für das Gouverneursamt durchgesetzt. Mastriano ist ein Populist, aber einer der übelsten Sorte. Der ehemalige Oberst und Irak-Veteran ist nicht nur überzeugt, dass Donald Trump die Wahlen gewonnen habe, er war am 6. Januar persönlich bei den Demonstrationen vor dem Kapitol dabei. Trump hat Mastriano unterstützt, allerdings erst zu einem Zeitpunkt, als das Rennen schon entschieden war.
Mastrianos Vorbild ist Ron DeSantis, der Gouverneur von Florida und der aufstrebende Star der GOP. In erster Linie ist Mastriano jedoch ein militanter, rechtsextremer Evangelikaler. Der Yale-Soziologe Philipp Gorski beschreibt ihn in der «Washington Post» wie folgt: «Mastriano verkörpert die heroische Figur, die alle Regeln bricht, um die Freiheit zu verteidigen.»
Diese Freiheit steht jedoch nicht allen zu. Obwohl in den USA eine strikte Trennung zwischen Kirche und Staat herrscht, schwebt Mastriano eine Art christlicher Gottesstaat vor. Pete Begley, einer seiner Anhänger, formuliert dies wie folgt: «Die Prinzipien der Konservativen waren immer dieselben: Unsere Rechte kommen von Gott, die Wahrheit ist absolut, die Moral ist absolut, und die Bibel verkündet die fundamentalen Prinzipien des Lebens. Mastriano vertritt diese Dinge öffentlich. Er fasst sie zusammen.»
Der Bundesstaat Pennsylvania ist so etwas wie das Test-Labor der Politik in den USA geworden. Fetterman steht dabei für ein modernes tolerantes Amerika, Mastriano für einen autoritären Gottesstaat.