Nur so als Gedankenspiel: Stellt euch vor, der Anwalt eines Bankräubers verteidigt seinen Klienten mit dem Argument, jeder, der eine Bank betrete, wolle dort Geld holen. Mag sein, doch ob er dabei dieses Geld von seinem Konto abhebt oder ob er es mit vorgehaltener Pistole einfordert, ist ein kleiner, aber nicht ganz unbedeutender Unterschied.
Jetzt zum «Schweigegeld»-Prozess gegen Donald Trump in Manhattan. Sein Anwalt Todd Blanche erklärte in seiner Eröffnungsrede an die Geschworenen: «Ich habe einen Spoiler Alert für euch: Nichts ist falsch daran, wenn man versucht, eine Wahl zu beeinflussen. Das nennt man Demokratie. Sie (die Anklage) vertritt jedoch die furchterregende These, wonach dies ein Verbrechen sei.»
Mag sein, doch ob man Wahlen mit überzeugenden Argumenten zu gewinnen versucht oder ob man dies mit Schweigegeldern gegen unliebsame Zeuginnen und Manipulation der Geschäftsbücher tut, ist ebenfalls nicht ganz unwichtig.
Wer demnach seine Eröffnungsrede mit einem derart schwachen und irreführenden Argument beginnen muss, der hat ein lausiges Blatt. Trump-Anwalt Blanche betonte denn auch ausführlich, dass man Donald Trump als «Mr. Präsident» ansprechen müsse, er habe es schliesslich verdient. Ansonsten wandte er die sogenannte Spaghetti-Taktik an. Will heissen, er warf wahllos Dinge an die Wand, in der Hoffnung, irgendetwas werde schon kleben bleiben.
Die Verteidigung setzt primär darauf, den Kronzeugen der Anklage, Trumps ehemaligen Anwalt Michael Cohen, zu diskreditieren. Immer wieder wurde dieser von Blanche attackiert. Er sei ein verurteilter Krimineller und notorischer Lügner, «dem man auf keinen Fall trauen» könne, so der Trump-Anwalt. Und im Übrigen sei auch die Kronzeugin, der Pornostar Stormy Daniels, «voreingenommen». Deshalb, so das Fazit, sei sein Klient, Präsident Trump, unschuldig.
Ganz anders die Eröffnungsrede der Anklage, geführt von Matthew Colangelo, dem Stellvertreter von Staatsanwalt Alvin Bragg. Colangelo ging nüchtern und methodisch vor. In rund 45 Minuten zeigte er auf, wie die Anklage beweisen werde, dass Trump ein Verbrechen begangen habe, und zwar «simpel und eindeutig».
Dieses Verbrechen besteht aus drei Schritten: Am Anfang waren die Schweigegelder. Nicht nur Stormy Daniels kam in den Genuss davon. Ein Türsteher im Trump Tower, der drohte, mit der Geschichte eines unehelichen Kindes Trumps an die Öffentlichkeit zu gehen, wurde mit 30’000 Dollar ruhig gestellt. Diese Geschichte entpuppte sich übrigens später als falsch.
Danach war das Playboy-Model Karen McDougal an der Reihe. Sie will eine rund ein Jahr lang dauernde Affäre mit dem Ex-Präsidenten gehabt haben. Ihre Geschichte wurde wie diejenige des Türstehers von David Pecker, dem Herausgeber des Skandalblattes «National Enquirer», aufgekauft – und nie veröffentlicht. «Catch and kill» nennt man diese Praxis, die in dieser Sparte des Journalismus weitverbreitet ist.
Bei Stormy Daniels hingegen passte Pecker, denn erstens hat er seine «Catch and kill»-Auslagen nie zurückerhalten. Und zweitens war ihm die Summe von 130’000 Dollar zu hoch. Deshalb musste Michael Cohen einspringen. Er nahm eine Hypothek in dieser Höhe auf und zahlte den Pornostar aus. Zusammen mit Trumps Finanzchef Allen Weisselberg – dieser sitzt übrigens gerade seine zweite Gefängnisstrafe ab – heckte er einen Plan aus, wie er sein Geld wieder zurückbekäme, ohne dass dabei bekannt würde, zu welchem Zweck es verwendet wurde.
Damit sind wir beim dritten Schritt angelangt. Nicht das Schweigegeld an sich ist eine Straftat, sondern der Umstand, dass es verwendet wurde, um die Wahlen zu beeinflussen. Trump befand sich nämlich in einer misslichen Situation. Soeben waren die berühmt-berüchtigten «Access Hollywood»-Tapes bekannt geworden. Darin ist bekanntlich zu hören, wie der Ex-Präsident damit prahlt, den Frauen in den Schritt greifen zu dürfen, «weil er ein Star sei». Eine Affäre mit einem Pornostar – und dies erst noch kurz nach Geburt seines Sohnes – wäre wohl des Schlechten zu viel gewesen.
Daher musste Stormy Daniels zum Schweigen gebracht werden. Damit verstiess Trump jedoch auch gegen das geltende Wahlrecht. Der Verwendungszweck des Schweigegeldes machte daraus nämlich eine versteckte Wahlspende, die in dieser Höhe nicht erlaubt ist und zudem hätte offengelegt werden müssen.
Die Ankläger wollen dieses Verbrechen Schritt für Schritt beweisen. Dabei verschweigen sie nicht, dass Cohen ein nicht über alle Zweifel erhabener Zeuge ist. Doch sie machen zwei Sachen geltend: Erstens kann er seine Aussagen mit einer Fülle von Beweisen – einem sogenannten «paper trail» – unterfüttern. Zudem werden sie von mehreren anderen Zeugen untermauert, etwa durch den bereits erwähnten David Pecker und Trumps ehemalige Vertraute Hope Hicks. Dem Herausgeber des «National Enquirer» wurde übrigens Immunität gewährt, er kann daher aussagen, ohne strafrechtliche Folgen befürchten zu müssen.
Der Fülle an Beweismaterial der Anklage hat die Verteidigung wenig entgegenzusetzen. Trump bestreitet, jemals Sex mit Stormy Daniels gehabt zu haben. Um dies zu beweisen, müsste er allerdings in den Zeugenstand treten. Er wird dies mit grösster Wahrscheinlichkeit nicht tun. Er würde damit riskieren, Meineid zu begehen. Zudem hat Richter Juan Merchan verfügt, dass in diesem Fall Trump auch zum Fall von E. Jean Caroll befragt werden dürfe. Dabei geht es um sexuelle Belästigung und Verleumdung. Trump wurde in diesem Zivilprozess schuldig gesprochen und zu einer Busse von 83 Millionen Dollar verdonnert.
Auch die Zahlungen an Michael Cohen sind für die Verteidigung ein riesiges Problem. Sie versucht zwar, sie als «business as usual» darzustellen, als ganz normalen Geschäftsvorgang. Es ist jedoch eher ungewöhnlich, dass Anwälte für ihre Klienten Hypotheken aufnehmen, um damit Schweigegelder an Pornostars auszubezahlen, und dieses Geld dann später gestückelt zurückerhalten.
Cohen an den Pranger zu stellen, ist für Trump ohnehin heikel. Schliesslich war er jahrelang sein «Mann fürs Grobe». Für seine Lügen wurde er verurteilt und hat seine Strafe abgesessen. Dieses Verfahren wurde seinerzeit von den Strafverfolgern des Southern District of New York (SDNY) durchgeführt. Das Verfahren gegen Trump wurde hingegen eingestellt, obwohl Cohen ausgesagt hatte, im Wissen und im Dienst des Ex-Präsidenten gehandelt zu haben. Trump wird in den Protokollen denn auch als «Mit-Verschwörer Nummer 1» aufgeführt.
Weshalb wurde Trump als Auftraggeber dieser Straftaten vom SDNY nie zur Rechenschaft gezogen? Dazu gibt es zwei Gründe: Erstens darf ein amtierender Präsident nicht angeklagt werden. Zweitens handelt es sich beim SDNY um eine Zweigstelle des Justizdepartements, einer nationalen Behörde. Der damalige Leiter, ein Mann namens Geoffrey Berman, hat später in seinem Buch «Holding the Line» ausführlich beschrieben, wie Trumps Justizminister William Barr alle Verfahren gegen den Präsidenten niedergeschlagen hat.
Erst nachdem Trump abgewählt worden war, hat die bundesstaatliche Staatsanwaltschaft von Manhattan den Faden wieder aufgenommen. Daher ist es zum langen Unterbruch gekommen. Die These, wonach die Biden-Regierung Trump aus politischen Gründen anklage, ist daher völliger Unsinn.