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«Focus» wirft Scholz Rassismus vor – der Wahlkampf wird gehässig

An election campaign poster of Germany's Social Democratic Party, SPD, with top candidate Chancellor Olaf Scholz for the upcoming national's election is displayed at a crossing in central Be ...
Ein Rassismus-Vorwurf gegen Olaf Scholz erschüttert die deutsche Politik.Bild: keystone
Analyse

Ein Rassismus-Vorwurf gegen Olaf Scholz erschüttert den Wahlkampf in Deutschland

Das deutsche Nachrichtenmagazin «Focus» bezichtigt Olaf Scholz des Rassismus. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung wirft Fragen auf.
13.02.2025, 13:4813.02.2025, 14:41
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Deutschland ist in Aufruhr, gegen Kanzler Olaf Scholz steht der Vorwurf des Rassismus im Raum, die Ereignisse überschlagen sich kurz vor den Bundestagswahlen.

Aber was ist passiert?

Alles beginnt mit einem Artikel von Georg Meck am Mittwoch. In besagtem Text mit dem Titel «Scholz leistet sich rassistischen Aussetzer» wirft der «Focus»-Chefredaktor Bundeskanzler Olaf Scholz explizit Rassismus vor.

Die Kurzform des Artikels: Scholz hat den schwarzen Christdemokraten Joe Chialo ein «Feigenblatt» und einen «Hofnarren» genannt.

Der besagte Vorfall ereignete sich vor ein paar Tagen auf einer privaten Geburtstagsfeier, bei der viele bekannte Gesichter aus der deutschen Politik anwesend waren. Auch zahlreiche Journalistinnen und Journalisten waren vor Ort, unter ihnen Meck und auch Bild-Vizechefredaktor Paul Ronzheimer. Zu ihm später mehr.

«Jede Partei hat ihren Hofnarren»

Chialo, dem Berliner Kultursenator, hat Scholz an dieser Geburtstagsfeier gemäss Medienberichten vorgehalten, dessen Partei mache gemeinsame Sache mit der AfD.

Scholz bezog sich dabei auf die beiden Vorstösse zur Asylpolitik, die CDU-Chef Friedrich Merz vorletzte Woche in den Bundestag eingebracht hatte und denen die AfD zustimmte.

Daraufhin soll Chialo Scholz gefragt haben, ob dieser ernsthaft von Rassismus in einer Partei sprechen wolle, in deren Bundesvorstand er als Schwarzer sitze. Scholz habe darauf entgegnet, Chialo sei in der CDU ein «Feigenblatt» – und hinzugefügt: «Jede Partei hat ihren Hofnarren.»

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Im Zentrum der Debatte: CDU-Politiker Joe Chialo.Bild: keystone

Den Begriff «Hofnarr» soll Scholz wiederholt haben, als Chialo zu einer Entgegnung ansetzte. Meck schreibt von «ungläubigen Blicken in der Runde» und einem «Moment zum Fremdschämen».

«Focus» im Zentrum der Aufmerksamkeit

Der Artikel von Meck löste eine heftige mediale Lawine aus, ganz Deutschland redet seit Bekanntwerden der Vorwürfe über den angeblich rassistischen Olaf Scholz.

Die Rolle des Nachrichtenmagazin «Focus» ist in der ganzen Diskussion entscheidend. Und dies aus mehreren Gründen.

«Focus», und explizit Meck, berichteten wie erwähnt zuerst über die Rassismus-Vorwürfe. Oder besser gesagt: «Focus» beschuldigte Scholz explizit des Rassismus.

«Focus» bezeichnet Scholz als Rassisten.
Mit diesem «Focus»-Artikel fing alles an.Bild: Screenhot Focus

Das Brisante dabei ist, dass der ganze Abend eigentlich «off the record» war, zumindest war dieser Wunsch mehrfach von Gastgeber Harald Christ geäussert worden, was von allen anderen Medienvertretern, die anwesend waren, auch so eingehalten wurde.

«Off the record» heisst, dass Journalistinnen und Journalisten mit Interviewpartnerinnen und -partnern zwar offen sprechen, das Besprochene aber nicht gleich in einer Zeitung abdruckt wird. Im journalistischen Schaffen ist das gang und gäbe, es ermöglicht den stetigen Austausch zwischen beiden Parteien.

Die einzigen, die sich nicht an die Devise «off the record» gehalten haben, sind Meck und «Focus».

Und hier kommt Paul Ronzheimer ins Spiel. Der stellvertretende Chefredaktor von «Bild» stand, wie Meck, ebenfalls neben Scholz, als dieser das Wort «Hofnarr» benutzt hat. In seinem Podcast spricht der Journalist ausführlich über den Vorfall. Er bestätigt auch, dass Scholz das Wort «Hofnarr» tatsächlich gebraucht hat.

Aber ausgerechnet die «Bild» und auch Ronzheimer, die Kanzler Scholz seit seinem Amtsantritt unerlässlich attackieren, lassen bei dieser Angelegenheit die Feder ruhen. Ronzheimer sagt in seinem Podcast, dass er die Äusserungen von Scholz nicht unmittelbar als rassistisch eingestuft habe.

Ebenso brisant ist auch der Zeitpunkt des «Focus»-Artikels. Denn dieser wurde erst 10 Tage nach der Geburtstagsfeier veröffentlicht. Der Ablauf wirft deshalb einige Fragen auf:

  • Warum wurde die Devise «off the record» von «Focus» nicht eingehalten? Wenn sogar die «Bild»-Zeitung sich daran hielt?
  • Warum wurde der Artikel erst 10 Tage nach dem Vorfall publiziert? So kurz vor dem nächsten TV-Duell und den Wahlen?
  • Und die daraus folgende und vor allem wichtigste Frage: Wie politisch motiviert ist der Artikel?

Am Donnerstagmorgen legte «Focus» in der Causa Scholz dann nochmals nach. Das Magazin berichtet, dass der Bundeskanzler bei der gleichen Feier nicht nur Chialo angegangen hatte, sondern auch gegenüber einem Journalisten ausfällig wurde. So soll er die öffentlich-rechtliche Führungskraft mit den Worten «Halt den Mund, du Ar***» abgekanzelt haben.

Scholz und SPD wehren sich vehement

Das erste Mal öffentlich geäussert hat sich Olaf Scholz am Mittwoch. Gegenüber dem «Spiegel» bestätigt er die «Hofnarr»-Aussage, sagt aber:

«Alles kann man mir vorwerfen, aber ganz sicher nicht, dass ich ein Rassist bin. Nie habe ich die ‹Hofnarr›-Äusserung in Verbindung mit Chialos Hautfarbe gebracht. Der Vorwurf macht mich persönlich sehr betroffen. Ich schätze Chialo und bedauere es, wenn er die Aussage auf sich bezogen hat. Nur gesagt, habe ich das, was da gemeldet worden ist, eben nicht.»
Olaf Scholz gegenüber dem Spiegel
German Chancellor Olaf Scholz speaks during the last parliament session ahead of national's elections, at the Bundestag parliament in Berlin, Germany, Tuesday, Feb. 11, 2025. (AP Photo/Ebrahim No ...
Scholz wehrt sich gegen die Vorwürfe.Bild: keystone

Gegen die Vorwürfe von «Focus» geht der Bundeskanzler nun gerichtlich vor, er hat einen Medienanwalt damit beauftragt, rechtliche Schritte gegen das Nachrichtenmagazin einzuleiten.

Auch die SPD verteidigt ihren Kanzler und spricht von einer Inszenierung: «Als Partei, deren Vorsitzender Menschen als ‹kleine Paschas› und ‹Sozialtouristen› diffamiert, sollte sich die CDU mit unhaltbaren Anschuldigungen gegen Olaf Scholz zurückhalten», heisst es in einer Mitteilung aus dem Umfeld von SPD-Generalsektretär Matthias Miersch.

Stellungnahme von SPD-Generalsekretär Matthias Miersch
Stellungnahme von SPD-Generalsekretär Matthias Miersch

Junge CDU fordert Rücktritt

Ganz anders tönt es natürlich aus dem Lager der CDU, dort ist man über die angeblich rassistische Aussage von Scholz extrem empört.

CDU-Generalsekretär Casten Linnemann sagt der «Bild»-Zeitung: «Scholz verliert die Kontrolle. So ein Verhalten macht mich sprachlos. Kein Wort des Bedauerns, kein Wort der Entschuldigung.»

Die Junge Union fordert sogar den Rücktritt von Scholz. Bei «Welt TV» bezeichnet Johannes Winkel, der Vorsitzende der Jungen Union, die Aussage als «glatten Rassismus»: «Wer sich solch eine Entgleisung leistet, muss aufpassen, dass er das Amt des Bundeskanzlers nicht nachhaltig beschädigt.»

Chialo: «Hofnarr-Äusserungen herabwürdigend»

Am Donnerstag kurz vor Mittag bricht dann auch CDU-Politiker Joe Chialo sein Schweigen. In einem Statement sagt er:

«Nach sorgfältiger Abwägung und aufgrund des öffentlichen Interesses habe ich den Entschluss gefasst, mich in dieser Angelegenheit zu äussern. Auf der Geburtstagsfeier von Herrn Christ stiess der Bundeskanzler zu einer Gesprächsrunde mit mir dazu. Im Laufe der Diskussion zum Thema Migration und zu den Abstimmungen im Bundestag fielen hinsichtlich meiner Rolle in der CDU die Begriffe ‹Hofnarr› und ‹Feigenblatt›. Diese Worte haben mich tief getroffen.»
Joe Chialo

Chialo sagt zudem, er habe mit Olaf Scholz telefoniert. Im Gespräch habe der Bundeskanzler bedauert, dass seine Wortwahl als rassistisch aufgefasst wurde, und erklärt, er habe das nicht beabsichtigt.

Weiter heisst es, Chialo habe Scholz' Sichtweise zur Kenntnis genommen und er betont in der Mitteilung auch, dass er Scholz nicht für einen Rassisten halte. «Aber das ändert nichts daran, dass seine Worte herabwürdigend und verletzend waren.»

Er plädiert abschliessend für einen faireren Umgang hinsichtlich der Bundestagswahlen am 23. Februar: «Umso wichtiger ist es, dass wir in dieser aufgeheizten Situation mit Bedacht und Anstand miteinander umgehen. Ich hoffe, dass wir zu einem fairen und sachlichen Austausch zurückfinden. Für mich ist diese Angelegenheit damit abgeschlossen.»

Welche Auswirkungen hat das ganze auf den Wahlkampf?

Die Frage ist nun natürlich, was der ganze Eklat um den angeblichen rassistischen Vorfall für Auswirkungen auf die Wahlen und vor allem auf Bundeskanzler Olaf Scholz haben wird.

Sicher ist: Mit dem Artikel von «Focus» ist die nächste, eine noch gehässigere Stufe im Wahlkampf gezündet worden. Das Thema wird die Medien, die Parteien und die ganze deutsche Politik bis zur Bundestagswahl weiter beschäftigen.

Denn in diesem politischen Zündfeld, in dem sich ganz Deutschland momentan befindet, wird die Sache noch lange nicht abgeschlossen sein. Dafür ist das Thema und der Zeitpunkt der Vorwürfe politisch zu brisant.

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Die Karriere von Bundeskanzler Olaf Scholz in 8 Bildern
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Die Karriere von Bundeskanzler Olaf Scholz in 8 Bildern
Scholz wird 1958 in Osnabrück geboren und wächst als ältester von drei Brüdern auf. Nach bestandenem Abitur und Zivildienst, studiert Scholz Rechtswissenschaften in Hamburg und wird Anwalt. Bereits 1975 als Gymnasiast beginnt er sich bei den Jusos zu engagieren und wird später stellvertretender Juso-Bundesvorsitzender.
quelle: gladstone~dewiki, cc by-sa 4.0 via wikimedia commons
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72 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Swen Goldpreis
13.02.2025 15:47registriert April 2019
So wie ich die Aussage verstehe, ist sie explizit antirassistisch. Im Kern sagt Scholz ja - und da kann man ihm eigentlich nur vehement beipflichten - dass die CDU ein Rassismusproblem hat und diesen Versucht, mit einem "Feigenblatt" zu überdecken.

Und das ist ja genau das, was offenbar im Gespräch passiert ist. Gegen den Vorwurf des Rassismus erwidert jemand genau mit der Feigenblatt-Taktik und verweist auf den einzigen Dunkelhäutigen der Partei.

Bin kein Fan von Scholz, aber finde, dass er in der Sache durchaus nicht ganz daneben liegt.
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Heimo Knödelmayr
13.02.2025 14:54registriert Januar 2025
Wenn die Rassismuskarte jedes mal gespielt wird, verliert sie an Bedeutung, wenn sie wirklich nötig wäre. Schloz ist sicherlich nicht der beste Kanzler der Geschichte. Aber wenn er Rassist ist, was sind denn Weidel und Co?
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Hestios Quintus
13.02.2025 15:53registriert Januar 2025
Also Moment mal. Scholz bezeichnet Chialo als Feigenblatt, vielleicht sogar als Hofnarr, der CDU und wundert sich dann, dass dieser die Bemerkung auf sich bezieht?

Das ist entweder erstaunlich naiv oder bemerkenswert ungeschickt.
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