Deutschland ist in Aufruhr, gegen Kanzler Olaf Scholz steht der Vorwurf des Rassismus im Raum, die Ereignisse überschlagen sich kurz vor den Bundestagswahlen.
Aber was ist passiert?
Alles beginnt mit einem Artikel von Georg Meck am Mittwoch. In besagtem Text mit dem Titel «Scholz leistet sich rassistischen Aussetzer» wirft der «Focus»-Chefredaktor Bundeskanzler Olaf Scholz explizit Rassismus vor.
Die Kurzform des Artikels: Scholz hat den schwarzen Christdemokraten Joe Chialo ein «Feigenblatt» und einen «Hofnarren» genannt.
Der besagte Vorfall ereignete sich vor ein paar Tagen auf einer privaten Geburtstagsfeier, bei der viele bekannte Gesichter aus der deutschen Politik anwesend waren. Auch zahlreiche Journalistinnen und Journalisten waren vor Ort, unter ihnen Meck und auch Bild-Vizechefredaktor Paul Ronzheimer. Zu ihm später mehr.
Chialo, dem Berliner Kultursenator, hat Scholz an dieser Geburtstagsfeier gemäss Medienberichten vorgehalten, dessen Partei mache gemeinsame Sache mit der AfD.
Scholz bezog sich dabei auf die beiden Vorstösse zur Asylpolitik, die CDU-Chef Friedrich Merz vorletzte Woche in den Bundestag eingebracht hatte und denen die AfD zustimmte.
Daraufhin soll Chialo Scholz gefragt haben, ob dieser ernsthaft von Rassismus in einer Partei sprechen wolle, in deren Bundesvorstand er als Schwarzer sitze. Scholz habe darauf entgegnet, Chialo sei in der CDU ein «Feigenblatt» – und hinzugefügt: «Jede Partei hat ihren Hofnarren.»
Den Begriff «Hofnarr» soll Scholz wiederholt haben, als Chialo zu einer Entgegnung ansetzte. Meck schreibt von «ungläubigen Blicken in der Runde» und einem «Moment zum Fremdschämen».
Der Artikel von Meck löste eine heftige mediale Lawine aus, ganz Deutschland redet seit Bekanntwerden der Vorwürfe über den angeblich rassistischen Olaf Scholz.
Die Rolle des Nachrichtenmagazin «Focus» ist in der ganzen Diskussion entscheidend. Und dies aus mehreren Gründen.
«Focus», und explizit Meck, berichteten wie erwähnt zuerst über die Rassismus-Vorwürfe. Oder besser gesagt: «Focus» beschuldigte Scholz explizit des Rassismus.
Das Brisante dabei ist, dass der ganze Abend eigentlich «off the record» war, zumindest war dieser Wunsch mehrfach von Gastgeber Harald Christ geäussert worden, was von allen anderen Medienvertretern, die anwesend waren, auch so eingehalten wurde.
«Off the record» heisst, dass Journalistinnen und Journalisten mit Interviewpartnerinnen und -partnern zwar offen sprechen, das Besprochene aber nicht gleich in einer Zeitung abdruckt wird. Im journalistischen Schaffen ist das gang und gäbe, es ermöglicht den stetigen Austausch zwischen beiden Parteien.
Die einzigen, die sich nicht an die Devise «off the record» gehalten haben, sind Meck und «Focus».
Und hier kommt Paul Ronzheimer ins Spiel. Der stellvertretende Chefredaktor von «Bild» stand, wie Meck, ebenfalls neben Scholz, als dieser das Wort «Hofnarr» benutzt hat. In seinem Podcast spricht der Journalist ausführlich über den Vorfall. Er bestätigt auch, dass Scholz das Wort «Hofnarr» tatsächlich gebraucht hat.
Aber ausgerechnet die «Bild» und auch Ronzheimer, die Kanzler Scholz seit seinem Amtsantritt unerlässlich attackieren, lassen bei dieser Angelegenheit die Feder ruhen. Ronzheimer sagt in seinem Podcast, dass er die Äusserungen von Scholz nicht unmittelbar als rassistisch eingestuft habe.
Ebenso brisant ist auch der Zeitpunkt des «Focus»-Artikels. Denn dieser wurde erst 10 Tage nach der Geburtstagsfeier veröffentlicht. Der Ablauf wirft deshalb einige Fragen auf:
Am Donnerstagmorgen legte «Focus» in der Causa Scholz dann nochmals nach. Das Magazin berichtet, dass der Bundeskanzler bei der gleichen Feier nicht nur Chialo angegangen hatte, sondern auch gegenüber einem Journalisten ausfällig wurde. So soll er die öffentlich-rechtliche Führungskraft mit den Worten «Halt den Mund, du Ar***» abgekanzelt haben.
Das erste Mal öffentlich geäussert hat sich Olaf Scholz am Mittwoch. Gegenüber dem «Spiegel» bestätigt er die «Hofnarr»-Aussage, sagt aber:
Gegen die Vorwürfe von «Focus» geht der Bundeskanzler nun gerichtlich vor, er hat einen Medienanwalt damit beauftragt, rechtliche Schritte gegen das Nachrichtenmagazin einzuleiten.
Auch die SPD verteidigt ihren Kanzler und spricht von einer Inszenierung: «Als Partei, deren Vorsitzender Menschen als ‹kleine Paschas› und ‹Sozialtouristen› diffamiert, sollte sich die CDU mit unhaltbaren Anschuldigungen gegen Olaf Scholz zurückhalten», heisst es in einer Mitteilung aus dem Umfeld von SPD-Generalsektretär Matthias Miersch.
Ganz anders tönt es natürlich aus dem Lager der CDU, dort ist man über die angeblich rassistische Aussage von Scholz extrem empört.
CDU-Generalsekretär Casten Linnemann sagt der «Bild»-Zeitung: «Scholz verliert die Kontrolle. So ein Verhalten macht mich sprachlos. Kein Wort des Bedauerns, kein Wort der Entschuldigung.»
Die Junge Union fordert sogar den Rücktritt von Scholz. Bei «Welt TV» bezeichnet Johannes Winkel, der Vorsitzende der Jungen Union, die Aussage als «glatten Rassismus»: «Wer sich solch eine Entgleisung leistet, muss aufpassen, dass er das Amt des Bundeskanzlers nicht nachhaltig beschädigt.»
Am Donnerstag kurz vor Mittag bricht dann auch CDU-Politiker Joe Chialo sein Schweigen. In einem Statement sagt er:
Chialo sagt zudem, er habe mit Olaf Scholz telefoniert. Im Gespräch habe der Bundeskanzler bedauert, dass seine Wortwahl als rassistisch aufgefasst wurde, und erklärt, er habe das nicht beabsichtigt.
Weiter heisst es, Chialo habe Scholz' Sichtweise zur Kenntnis genommen und er betont in der Mitteilung auch, dass er Scholz nicht für einen Rassisten halte. «Aber das ändert nichts daran, dass seine Worte herabwürdigend und verletzend waren.»
Er plädiert abschliessend für einen faireren Umgang hinsichtlich der Bundestagswahlen am 23. Februar: «Umso wichtiger ist es, dass wir in dieser aufgeheizten Situation mit Bedacht und Anstand miteinander umgehen. Ich hoffe, dass wir zu einem fairen und sachlichen Austausch zurückfinden. Für mich ist diese Angelegenheit damit abgeschlossen.»
Die Frage ist nun natürlich, was der ganze Eklat um den angeblichen rassistischen Vorfall für Auswirkungen auf die Wahlen und vor allem auf Bundeskanzler Olaf Scholz haben wird.
Sicher ist: Mit dem Artikel von «Focus» ist die nächste, eine noch gehässigere Stufe im Wahlkampf gezündet worden. Das Thema wird die Medien, die Parteien und die ganze deutsche Politik bis zur Bundestagswahl weiter beschäftigen.
Denn in diesem politischen Zündfeld, in dem sich ganz Deutschland momentan befindet, wird die Sache noch lange nicht abgeschlossen sein. Dafür ist das Thema und der Zeitpunkt der Vorwürfe politisch zu brisant.
Und das ist ja genau das, was offenbar im Gespräch passiert ist. Gegen den Vorwurf des Rassismus erwidert jemand genau mit der Feigenblatt-Taktik und verweist auf den einzigen Dunkelhäutigen der Partei.
Bin kein Fan von Scholz, aber finde, dass er in der Sache durchaus nicht ganz daneben liegt.
Das ist entweder erstaunlich naiv oder bemerkenswert ungeschickt.