Der deutsche Wahlkampf verlief lange flau. Seit letzter Woche aber ist Feuer im Dach. CDU-Chef Friedrich Merz hat mit der Bereitschaft, zur Durchsetzung seiner asylpolitischen Vorstösse im Bundestag die Zustimmung der rechtsradikalen AfD in Kauf zu nehmen, das politische Deutschland aufgescheucht. Denn damit wackelte die Brandmauer gegen rechts.
Die Bilanz war am Ende durchzogen. Einen unverbindlichen Fünf-Punkte-Plan brachte Merz dank der AfD tatsächlich durch. Sein Entwurf für ein Zustrombegrenzungsgesetz scheiterte jedoch am letzten Freitag wegen Nein-Stimmen und Enthaltungen aus den eigenen Reihen und der FDP. Für seine Kritiker hatte er mit der AfD-Kungelei das Tor zur politischen Hölle geöffnet.
Es kam zu Angriffen auf Büros der CDU. Hunderttausende gingen am Wochenende in den deutschen Städten auf die Strasse. Sie forderten «Kein Merz ab März» und trugen Schilder mit Aufschriften wie «Fritz hör auf Mutti!» – eine Anspielung auf Angela Merkel, die Merz dafür kritisiert hatte, im Bundestag «eine Mehrheit mit den Stimmen der AfD zu ermöglichen».
Der Kanzlerkandidat der Union schien angezählt. Mit einer Woche Abstand aber lässt sich bilanzieren: Friedrich Merz hat hoch gepokert, doch geschadet hat es ihm nicht. In gewisser Weise hat es sich sogar ausgezahlt. Am Wahlparteitag zu Beginn der Woche in Berlin stellte sich die CDU demonstrativ hinter ihn. Skeptische Stimmen gab es höchstens am Rand.
Merz selbst ging klar und deutlich auf Distanz zur AfD. «Es gibt keine Zusammenarbeit, es gibt keine Duldung, es gibt keine Minderheitsregierung, gar nichts», versprach der 69-jährige Parteichef den rund 1000 Delegierten und erhielt eine stehende Ovation. Ansonsten sprach er vor allem über die Wirtschaft. Sie ist neben der Migration die Hauptsorge des deutschen Wahlvolks.
Selbst CSU-Chef Markus Söder, der ewige Störenfried aus Bayern, stärkte Merz verbal den Rücken. «Wir dürfen der AfD unser Land nicht überlassen. Die Linke ist kein Schutzwall dagegen, das sind wir, Friedrich», betonte er in Berlin. Verschiedene Punkte deuten darauf hin, dass der Union der Wahlsieg am 23. Februar kaum noch zu nehmen ist:
Das mediale Sperrfeuer gegen Friedrich Merz war teilweise massiv. Der «Spiegel», ein Leitmedium des linksliberalen Deutschlands, widmete ihm die Titelgeschichte der letzten Ausgabe. «Wie Friedrich Merz der AfD die Tür zur Macht öffnete», hiess es auf dem Cover. Am Mittwoch tönte es in einem Leitartikel auf der «Spiegel»-Website schon moderater.
Die Vorwürfe gegen Merz seien berechtigt, doch das rechtfertige nicht «die Masslosigkeit, mit der er nun angegriffen wird», hiess es. Vielmehr müssten sich Sozialdemokraten und Grüne eingestehen, «dass die eigene Politik und Strategie gegen die AfD ebenfalls gescheitert ist». Faktisch ist es ein Aufruf, sich nach dem 23. Februar wieder zusammenzuraufen.
Die Demos vom Wochenende mögen beeindruckend gewirkt haben, doch sie repräsentieren nicht die Bevölkerung. In einer am Mittwoch veröffentlichten YouGov-Umfrage fanden es 52 Prozent richtig oder eher richtig, dass Friedrich Merz für seine Vorschläge zur Migrationspolitik eine Mehrheit mit der AfD in Kauf genommen hat. 38 Prozent sprachen sich dagegen aus.
Gleichzeitig lehnten 62 Prozent der Befragten eine Beteiligung der Rechtspopulisten an der nächsten Regierung sicher oder eher ab. Dies zeigt, dass die Deutschen zu differenzieren vermögen. Auch in den neuesten Wahlumfragen hat sich die Aufregung kaum niedergeschlagen. Die Werte der Parteien sind nach wie vor ziemlich stabil. Merz selbst legt im aktuellen ARD-Deutschlandtrend jedoch stark zu.
Einen leichten Aufwärtstrend verzeichnet die fast schon totgesagte Linke, während sich beim von ihr abgespaltenen Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) die Selbstzerlegung fortsetzt. Es wird sich zeigen, ob es sich um mehr als ein Zwischenhoch handelt. Je mehr kleinere Parteien in den Bundestag einziehen, umso schwieriger dürfte die Regierungsbildung werden.
Gut für Friedrich Merz könnten auch die Enthüllungen unter anderem unseres deutschen Partners t-online sein, wonach SPD-Chef Lars Klingbeil dem unpopulären Bundeskanzler Olaf Scholz wiederholt nahegelegt hat, auf eine erneute Kanzlerkandidatur zu verzichten. Und zwar zugunsten des weitaus beliebteren Verteidigungsministers Boris Pistorius.
Beim sturen Hamburger biss Klingbeil auf Granit. Eine SPD-Sprecherin dementierte den Bericht, und der Parteichef reagierte auf einen Fragenkatalog ausweichend. Plausibel aber wirken die Enthüllungen allemal, denn die Zweifel in der SPD an Scholz sind vielfach belegt. Und die vollmundig angekündigte Aufholjagd wie 2021 lässt auf sich warten.
Seit Angela Merkel den ehrgeizigen Fraktionschef Friedrich Merz vor mehr als 20 Jahren in die politische Wüste geschickt hatte, gilt das Verhältnis der beiden als gestört. In Merkels Memoiren kommt Merz nur ganz nebenbei vor. Sein Comeback verlief holprig: Erst nach zwei gescheiterten Anläufen schaffte es der Sauerländer an die Spitze der CDU.
Am Parteitag in Berlin aber wurde deutlich, dass die Zeit der Ex-Kanzlerin abgelaufen ist. Die «Merkelianer», die ihren Öffnungskurs zur Mitte unterstützen, haben nach wie vor Einfluss. Hendrik Wüst, der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, warb etwa für ein «weltoffenes Deutschland». Doch auch er stellte sich klar hinter Kandidat Merz.
Der Chefredaktor des Münchner «Merkur» kommt zu einem deutlichen Fazit: «Die heutige CDU ist nicht mehr die Merkel-CDU, sondern die Merz-CDU, die auch für Konservative wieder wählbar ist.» Angela Merkel sei in der Partei «nur noch eine Frau von gestern». Seit ihrem Rücktritt hat sie sich kaum noch blicken lassen.
Friedrich Merz konnte sich am Mittwoch in Singen nahe der Schweizer Grenze einen Seitenhieb nicht verkneifen: «Die AfD ist 2017 in den Bundestag gezogen, weil wir Fehler gemacht haben. Und sie sind 2021 wieder in den Bundestag gezogen – weil wir wieder Fehler gemacht haben.» Was er meinte, war offensichtlich: Angela Merkels Migrationspolitik.
Im deutschen Wahlkampf beginnt nun der Schlussspurt, mit mehreren Fernsehdebatten. Am Sonntag kommt es auf ARD und ZDF zum Duell von Merz mit Olaf Scholz. Was sich wie Nostalgie nach der guten alten Bundesrepublik anfühlt. «Die innere Logik dieses Fernsehereignisses erschliesst sich dem gesunden Menschenverstand nicht», lästerte t-online.
Deutlich spannender dürfte es eine Woche später werden, wenn sich Robert Habeck (Grüne) und Alice Weidel (AfD) zum «Quadrell» auf RTL hinzugesellen, moderiert von Pinar Atalay und Günther Jauch. Und am 20. Februar soll es von ARD und ZDF eine «Schlussrunde» mit den Spitzenkandidaten der im Bundestag vertretenen Parteien geben.
Nun gibt es sie doch mit der AfD. Die CDU/CSU muss sich deswegen in ihren Positionen notgedrungen eher gegen rechts statt in die Mitte bewegen. Der Zeitgeist ist momentan sehr einwanderungskritisch.
Mir gefällt das zwar gar nicht, aber eine rechtere CDU ist mir lieber als eine starke AfD.
SPD und Grüne haben zwei Blinde an den Spieltisch gehöckt, die das Blatt nicht lesen können, und klagen nun über ihre Chancenlosigkeit.