Die obersten Knöpfe des Hemdes geöffnet, die rote Krawatte gelöst, ein zerknülltes Maga-Käppchen in der Hand: So torkelte der US-Präsident nach seiner Rückkehr von einer Wahlkampf-Veranstaltung in Tulsa von seinem Helikopter über den Rasen des Weissen Hauses. Obwohl er keinen Tropfen Alkohol trinkt, wirkte er wie ein Betrunkener, oder wie ein Boxer, der nach einem Niederschlag taumelnd wieder aufsteht.
War’s das für Donald Trump? Vorsicht. Wie verwundete Raubtiere sind angezählte Boxer oft doppelt gefährlich. So warnt Jennifer Senior in der «New York Times»:
Mit Hilfe seines Justizministers William Barr und mit dem Segen der mächtigen Senatoren Mitch McConnell und Lindsey Graham hat der Präsident schon viel niedergemäht, was das legendäre System der «checks and balances» – das Gleichgewicht von Politik und Recht – in den USA ausmacht.
Seit seinem Amtsantritt hat er systematisch die Verwaltung ausgehöhlt, Gesetze und Verträge seines Vorgängers Barack Obama wieder rückgängig gemacht und Amtsstuben und Gerichte mit willfährigen Handlangern voll gestopft.
Nach dem Freispruch im Impeachment-Prozess hat Trump geradezu zu einem Rachefeldzug angesetzt. Insgesamt fünf Inspectors General – Instanzen, die das korrekte Funktionieren der Regierung überwachen – hat er entlassen. Zusammen mit Justizminister Barr hat er den Justizapparat gesäubert, etwa das wichtige Untersuchungsbüro des Staates in Washington.
Mit Erfolg: Der neue Chef, ein Barr-Spezi, hat die Klage gegen Michael Flynn, Trumps ersten Sicherheitsberater, fallengelassen. Dabei hatte dieser zweimal unter Eid zugegeben, das FBI angelogen zu haben, ein klarer Verstoss gegen amerikanisches Recht. Ebenso ist es Barr gelungen, die Strafanträge für seinen verurteilten Kumpel Roger Stone massiv zu verringern.
In den letzten Tagen hat Trump zudem die gesamte Spitze der U.S. Agency for Global Media ausgewechselt. Dabei handelt es sich um die Dachgesellschaft, die Medien wie Radio Free Europe oder Voice of America umfasst und in der Hunderte von Journalisten tätig sind. An der Spitze dieser mächtigen Medienorganisation sitzt nun ein Vertrauter von Steve Bannon, dem ehemaligen Chefstrategen Trumps.
In seiner wirren Rede in Tulsa hat Trump auch klargemacht, dass er den Wahlkampf auf niedrigstem Niveau zu führen gedenkt. Sie war gespickt mit rassistischen Andeutungen und Beleidigungen an seinen Herausforderer Joe Biden und die Demokraten generell. Auch das Stereotyp des Mexikaners als Vergewaltiger durfte nicht fehlen.
Neuerdings bezichtigt er gar seinen Vorgänger Obama des Landesverrats. «Sie (Obamas Leute) haben meinen Wahlkampf ausspioniert», erklärte er am Montag in einem Interview mit einem christlichen Sender. «Ich habe das schon lange gesagt. Es zeigt sich, dass ich Recht hatte.»
Trump spielt dabei auf eine Untersuchung eines gewissen John Durham an. Dieser war von Justizminister Barr eingesetzt worden, um allfällige Verfehlungen des FBI in der Russland-Affäre zu untersuchen. Trump und die Republikaner hoffen, den Beweis für die mehrfach widerlegte These zu erbringen, dass diese Affäre von Anfang an eine Verschwörung des «deep state» gegen den Präsidenten war.
Es ist damit zu rechnen, dass Durham seinen Bericht bald vorstellen wird. Ob er in einer Zeit von Coronavirus, Black Lives Matter und einer schweren Rezession noch auf Interesse stossen wird, ist fraglich.
Trump hat daher begonnen, seine Wahlkampftaktik zu ändern. Unterstützt von Fox News, Breitbart, Rush Limbaugh etc. setzt er nun auf die Angst vor einer angeblichen Revolution. Ein paar besetzte Häuserblocks in Seattle müssen als Beweis dafür herhalten, dass gefährliche Anarchisten wie einst Maos Kulturrevolutionäre bereits die Macht übernommen hätten.
Selbst das «Wall Street Journal» stimmt in diesen Chor ein und spricht in Anlehnung an die Französische Revolution von einem «Jakobiner-Moment in Amerika».
Zusammen mit Barr hetzt der Präsident gegen eine Abstimmung per Brief. Ohne den Hauch eines Beweises behauptet er, das würde zu massivem Wahlbetrug führen. «Wegen der Abstimmung per Brief wird die Wahl 2020 die am meisten manipulierte in unserer Geschichte sein – es sei denn, diese Dummheit werde gestoppt», tweetete Trump.
Was spricht gegen Trump? Zum einen seine Gesundheit. Sein greisenhafter Abgang nach einer Rede in West Point und sein eingangs beschriebener Auftritt auf dem Rasen des Weissen Hauses lassen ernsthafte Zweifel aufkommen, ob der Präsident noch fit genug ist, um sein Amt auszufüllen. Es hat ihm auch ein wichtiges Argument gegen «Sleepy» Joe Biden aus der Hand geschlagen. Im Vergleich zu Trump wirkt der ehemalige Vize geradezu jung.
Zudem wächst der Widerstand gegen den Autokraten Trump. So ist sein Versuch fehlgeschlagen, den Southern District of New York, die wohl bedeutendste Untersuchungsbehörde in den USA, zusammen mit William Barr ähnlich zu entmannen wie diejenige in Washington. Selbst sein Handlanger Lindsey Graham wollte für einmal nicht mitspielen.
Vor allem jedoch spielt Trumps wichtigster Gegner nicht mit: das Coronavirus. Die Zahl der Infizierten steigt neuerdings wieder an, die USA haben weltweit die lausigste Bilanz in der Bekämpfung von Covid-19. Das lässt sich weder unter den Tisch wischen noch vor den amerikanischen Wählern vertuschen. Und ja: Weder Hillary Clinton noch Barack Obama können dafür verantwortlich gemacht werden.