Alarmstimmung in Europa: Die Nato existiert nur noch auf dem Papier
Die Verhandlungen zwischen den USA und Russland über eine Friedenslösung für die Ukraine scheinen festgefahren zu sein. Allerdings hat die jüngste Vergangenheit gezeigt, dass der amerikanische Chef-Unterhändler Witkoff und Trumps Schwiegersohn Kushner bereit sind, die Ukraine auf dem Altar von US-Wirtschaftsinteressen zu opfern. Es ist also weiterhin nicht klar, ob Trump nicht doch noch einen «Deal» mit Putin eingeht und die Ukraine am Ende zu einem unvorteilhaften Diktatfrieden zu zwingen versucht.
Wie auch immer so eine «Lösung» aussehen könnte: Europa hat ein eminentes Interesse daran, ist selbst aber nicht direkt an den Gesprächen beteiligt. Wie sieht Trump das künftige Verhältnis der USA zu Europa? In einem 29-seitigen Papier hat sein Stab die aktuelle Sicherheitsstrategie Amerikas skizziert. Auch wenn darin manches schwammig bleibt, müsste das Dokument europäischen Politikern schwer zu denken geben.
«Europas Zivilisation droht Auslöschung»
Die USA sehen sich laut dem Strategiepapier in der Rolle, «Stabilität» zwischen Europa und Russland zu ermöglichen. Dazu gehöre es auch, das Risiko eines Kriegs zwischen Russland und europäischen Staaten zu verhindern. Interessant ist die Wortwahl: Die Nato kommt in dieser Überlegung überhaupt nicht vor, und genauso wenig versprechen die USA, Europa im Fall eines russischen Angriffs zu Hilfe zu eilen.
Ganz anders klingt es im selben Papier aber, wenn es um die chinesischen Ansprüche auf Taiwan geht. Einen Krieg um Taiwan zu verhindern – vornehmlich durch die militärische Überlegenheit der USA –, ist laut der Strategie eine Priorität Washingtons. Und nicht nur das: Trump will möglichen chinesischen Angriffen auf die Inselkette begegnen, die von Japan über Taiwan und die Philippinen bis weit in den Süden des südchinesischen Meers reicht.
Europa kann dagegen nicht mehr explizit auf einen amerikanischen Schutzschirm zählen. Der alte Kontinent bleibe zwar strategisch und kulturell lebenswichtig für die Vereinigten Staaten, heisst es weiter. Doch Europa schaffe sich gleichzeitig ab – nicht nur, weil der Anteil des Kontinents an der weltweiten Wirtschaftsleistung in den letzten 35 Jahren von 25 Prozent auf 14 Prozent abgestürzt sei, sondern vor allem, weil der europäischen Zivilisation die «Auslöschung» drohe. Dafür sind laut dem Strategiepapier aber nicht etwa Russland oder China verantwortlich, sondern vor allem die EU selbst.
So verändere die europäische Migrationspolitik den Kontinent und fördere Unfrieden. Sollten sich die gegenwärtigen Entwicklungen fortsetzen, werde Europa innerhalb von 20 Jahren oder weniger nicht mehr wiederzuerkennen sein. Langfristig sei es mehr als plausibel, dass spätestens in wenigen Jahrzehnten die Bevölkerung einiger Nato-Staaten mehrheitlich aus Nicht-Europäern bestehen werde. Diese Länder könnten sich künftig als unzuverlässige Verbündeten der USA erweisen. Nicht Washington ist demnach verantwortlich, dass die Nato immer mehr nur noch auf dem Papier existiert, sondern die Zuwanderung nach Europa.
Regierungen gegen Demokratie?
Als eine der grössten Schwächen des alten Kontinents orten die Amerikaner – hier nicht ganz zu Unrecht – den Mangel an Selbstvertrauen gegenüber Russland. Dabei sei Europa Russland militärisch haushoch überlegen – ausser bei Nuklearwaffen. Die USA wünschten sich ein starkes Europa, und zusammen mit den Europäern wollten sie verhindern, dass ein feindliches Land den alten Kontinent dominiert. Allerdings sieht die US-Sicherheitsstrategie vor allem die Europäer selbst in der Pflicht, ihre Armeen so aufzurüsten, dass Russland von einem Angriff abgeschreckt werde.
Widersprüchlich wirkt in diesem Zusammenhang das starke Interesse Washingtons an Frieden in der Ukraine. Mit einem an russischen Vorstellungen angelehnten Friedensvertrag würde Moskau ja nicht beschwichtigt, sondern eher zu weiteren Feldzügen in Europa ermuntert. Die Amerikaner meinen – entgegen jeglicher historischer Evidenz –, dass Frieden nötig sei, um die europäischen Volkswirtschaften zu stabilisieren und eine Ausweitung des Kriegs zu verhindern.
Was den Krieg in der Ukraine betrifft, hätten die Europäer ausserdem unrealistische Erwartungen. Eine grosse Mehrheit der Europäer wolle Frieden, doch dieser Wunsch würde sich nicht in der Politik niederschlagen, weil europäische Regierungen die demokratischen Prozesse unterminierten. Der letzte Satz könnte auch aus dem Mund von Kreml-Vertretern stammen.
Verzerrte Vorstellungen
Die isolationistischen Tendenzen der Regierung Trump manifestieren sich auch stark in den Vorstellungen über die künftige Ausgestaltung der «westlichen Hemisphäre». Darunter versteht man den amerikanischen Kontinent von Alaska bis zum chilenischen Kap Hoorn sowie Teile des Pazifischen und Atlantischen Ozeans. In diesem riesigen Gebiet will Trump verhindern, dass sich Amerikas Feinde einnisten.
Die neue Sicherheitsstrategie ist zwar geprägt von verzerrten Vorstellungen von Europa und Russland, dennoch täten die Europäer gut daran, sich warm anzuziehen und im Ukraine-Krieg endlich eine aktivere und von den USA unabhängigere Rolle zu übernehmen. (aargauerzeitung.ch)
