Diese 100 Persönlichkeiten warnen eindringlich, dass sich «München 1938» wiederholen könne
In einem offenen Brief fordern 100 hochrangige ehemalige Diplomaten, Militärkommandeure, Geheimdienstchefs, Verteidigungsexperten und Politiker die westlichen Regierungen auf, der Ukraine beizustehen – und dies unabhängig vom Ausgang der US-Wahlen.
Das Schreiben wurde am Sonntag publiziert. Die Verantwortlichen schreiben zu ihren Beweggründen:
Wo ist das Problem?
Das Münchner Abkommen von 1938 war ein fauler Deal auf dem Rücken Dritter, den Adolf Hitler mit den Regierungschefs Neville Chamberlain (Grossbritannien), Édouard Daladier (Frankreich) und Benito Mussolini (Italien) unterzeichnete. Damit wurden Teile der Tschechoslowakei an die Nazis abgetreten, wobei die direkt betroffene Regierung in Prag nicht gefragt wurde.
Ein grosser Krieg wurde damit nicht verhindert.
Etwas Ähnliches droht auch heute.
Das eigentliche Worst-Case-Szenario lautet, dass Donald Trump erneut US-Präsident wird. Dann hätte der oberste russische Kriegsverbrecher Wladimir Putin den mächtigsten Mann der Welt auf seiner Seite. Und es könnte sehr schnell zu einem faulen Deal kommen.
Die Fachleute warnen im offenen Brief:
Dies würde die Ukraine von der NATO und der EU abkoppeln. Unter den Vorzeichen eines irreführenden Neutralitätskonstrukts würde Europa mit einer destabilisierenden geopolitischen Grauzone im Herzen des Kontinents zurückgelassen.»
Sollte hingegen Kamala Harris als erste Frau zum politischen Oberhaupt der Vereinigten Staaten von Amerika werden, wäre damit Europas grösstes Sicherheitsproblem nicht plötzlich gelöst. Im Gegenteil.
Harris könnte das Zögern und Zaudern ihres Amtsvorgängers Joe Biden, was die militärische Unterstützung der Ukraine betrifft, übernehmen. Wie auch die Angst vor «fiktiven roten Linien» Putins, die im ganzen Westen zur Selbstabschreckung geführt haben.
Die Einschätzung der Fachleute:
Und hier kommt Deutschland ins Spiel ...
Warum müssen wir über Olaf Scholz reden?
Zunächst ist daran zu erinnern, dass Deutschland zu den grössten Volkswirtschaften der Welt gehört und in Europa eine politische Führungsrolle beansprucht.
Dies kontrastiert allerdings mit der Ukraine-Politik des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz und seiner Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD).
- Scholz hat dem zunehmenden Druck der antiukrainischen Stimmung in der eigenen Partei und Teilen der Wählerschaft nachgegeben und behauptet, es brauche grössere Friedensbemühungen.
- Gleichzeitig gilt Scholz als Bremser im westlichen Bündnis, was eine entschiedenere westliche Militärhilfen für die Ukraine betrifft – «und dies angesichts massiv verschärfter russischer Terrorbombardements gegen die ukrainische Zivilbevölkerung und die zivile Infrastruktur des überfallenen Landes».
- Bezeichnenderweise hat die SPD mit Matthias Miersch einen neuen Generalsekretär, der den Putin-Lobbyisten Gerhard Schröder gut findet.
- Unter Scholz bremst Deutschland auch bei der Anbindung der Ukraine an die NATO. Durch das politische Berlin geistert laut Beobachtern «die abstruse Idee, man könne als Zeichen der Kompromissbereitschaft gegenüber Moskau ja nur die nicht besetzten Teile der Ukraine ins westliche Bündnis aufnehmen».
- Ein Grossteil der NATO-Staaten hat sich laut Präsident Wolodymyr Selenskyj auf eine Einladung der Ukraine zur NATO geeinigt, die für das gesamte ukrainische Staatsgebiet gelte. Nicht Deutschland.
Mit Blick auf die nationalen Wahlen 2025 und die bisherigen Wahlerfolge der von Putin geförderten Populismus-Parteien AfD und BSW will Scholz die SPD offenbar als Friedenspartei positionieren. Kritiker bezeichnen dies als seine «fatale Friedenskanzler-Fantasie».
Der deutsche Publizist Richard Herzinger hält fest:
Warum wäre ein erzwungener Frieden auch für uns gefährlich?
In ihrem Appell warnen die Fachleute, es gebe keinen glaubwürdigen Plan für die Sicherheit der Ukraine oder Europas nach einem «Waffenstillstand».
Das Putin-Regime habe in der Vergangenheit immer wieder bewiesen, dass es kein glaubwürdiger Verhandlungspartner sei und sich nicht an unterzeichnete Vereinbarungen halte. Ein Waffenstillstand würde Russland Zeit verschaffen, seine Streitkräfte wieder aufzubauen, während die europäischen Verbündeten ihre eigene Aufrüstung noch nicht in Gang gebracht hätten.
Zur Erinnerung: Das 2015 von Angela Merkel mitunterzeichnete Abkommen Minsk II sollte einen grossflächigen Krieg in der Ukraine verhindern. Es hielt Putin aber nicht davon ab, das Nachbarland weiter zu terrorisieren. Und er rüstete seine Armee für die Invasion 2022.
Sollte Putins Plan aufgehen, die Grenzen in Europa mithilfe von Krieg und Terror zu verschieben, wäre das Resultat «der ultimative Zusammenbruch der globalen Ordnung», hielt der israelische Historiker Yuval Noah Harari fest. «Der Verrat an der Ukraine käme somit der Selbstzerstörung des Westens gleich», schreibt Richard Herzinger in seinem kritischen Artikel zum Thema.
Was sollen die Regierungen im Westen tun?
Die Unterzeichner des offenen Briefes geben sich überzeugt, dass ein dritter Weg eingeschlagen werden könne, der zum Überleben der Ukraine als souveräner Staat und zur Niederlage Russlands führe.
Die Fachleute betonen, dass ein russischer Sieg «alles andere als unausweichlich» sei. Russland könne seine Kriegsanstrengungen im gegenwärtigen Ausmass nicht über das Jahr 2025 hinaus aufrechterhalten.
Die Ukraine könne weiterhin gewinnen und die Russen zurückschlagen. Dies sei den Verteidigungsministerien der europäischen NATO-Staaten durchaus bewusst.
Eine verstärkte Unterstützung der Ukraine sei nicht nur ethisch richtig, sondern auch der beste Weg, Europa «kurzfristig zu sichern» und sich die Zeit zu verschaffen, um die eigene Verteidigung zu stärken.
Wer hat den offenen Brief unterzeichnet?
Es handelt sich um mehr als 100 Persönlichkeiten, viele aus Nordamerika und Europa. Darunter sind:
- Eliot Cohen, US-Politikwissenschaftler
- Michael V. Hayden, General a.D., früherer Chef der US-Geheimdienste CIA und NSA
- Toomas Hendrik Ilves, früherer Präsident von Estland
- Professor Thomas Jäger, Politikwissenschaftler und Sicherheitsexperte aus Deutschland
- Professor Carlo Masala, Politikwissenschaftler und Sicherheitsexperte aus Deutschland
- Artis Pabriks, früherer Aussen- und Verteidigungsminister von Lettland
- Michael Roth, deutscher Politiker und Politologe
- H.I. Sutton, Autor und Militärexperte
- Professor Hew Strachan, britischer Militärhistoriker
Weitere Namen: siehe Quellen.
Quellen
- democratic-strategy.net: Um ein neues Münchner Abkommen zu vermeiden, muss Europa entschieden handeln (Offener Brief, PDF)
- internationalepolitik.de: Schleichender Verrat an der Ukraine (28. Oktober)