Als am 6. Januar der Mob das Kapitol stürmte, richtete sich die Wut in erster Linie auf zwei Politiker: Vize-Präsident Mike Pence und Nancy Pelosi, Mehrheitsführerin der Demokraten im Abgeordnetenhaus. Vor dem Kapitol war ein Galgen errichtet worden mit dem Ziel, die beiden zu hängen, sollten man ihrer habhaft werden.
Mike Pence wurde als Verräter abgestempelt, weil er sich nicht geweigert hatte, die Elektorenstimmen zu beglaubigen, welche den Sieg von Joe Biden endgültig bestätigten. Er ist inzwischen mehr oder weniger aus der Öffentlichkeit verschwunden.
Nancy Pelosi ist neben Hillary Clinton seit jeher das Feindbild der Konservativen. Die Abgeordnete steht für alles, was sie verachten: Sie ist intelligent, tüchtig, gebildet und sie kommt aus San Francisco, der Stadt, wo bekanntlich die verhasste Multikulti-Woke-LGBT-Elite haust, welche der christlichen Landbevölkerung ihre degenerierten Werte aufs Auge drücken will.
Pelosi ist vor allem auch eines: hartnäckig. Obwohl die Republikaner alles unternommen haben, um eine Kommission zu verhindern, welche die Vorfälle von 1/6 unter die Lupe nimmt, hat sich Pelosi letztlich durchgesetzt. Eine überparteiliche Kommission wie nach 9/11 konnten Kevin McCarthy und Mitch McConnell, die republikanischen Minderheitsführer im Abgeordnetenhaus, resp. Senat, zwar abwürgen.
Pelosi liess sich davon nicht beirren. Sie stellte einen Ausschuss im Abgeordnetenhaus auf die Beine und offerierte den Republikanern, fünf Vertreter in dieses Gremium zu schicken. Als McCarthy auch die beiden Polit-Clowns Jim Jordan und Jim Banks nominierte, schmiss sie die beiden kurzerhand raus, worauf McCarthy alle fünf Republikaner zurückbeorderte. Trotzdem sitzen zwei Mitglieder der Grand Old Party (GOP) im Ausschuss: Liz Cheney und Adam Kinzinger. Beide haben nach dem Sturm auf das Kapitol für ein Impeachment von Präsident Trump gestimmt.
Gestern haben nun die Hearings zu 1/6 begonnen. Vor dem Ausschuss bestätigten vier Polizeioffiziere, die beim Sturm aufs Kapitol teilweise schwer verletzt wurden und um ihr Leben bangen mussten, eindrücklich, dass der Mob weder aus verkleideten Antifa-Anhängern noch aus Mitgliedern der Black Lives Matter Bewegung bestand.
Es waren vorwiegend weisse ältere Männer, welcher ihrer Wut über Trumps Wahlniederlage freien Lauf liessen. «Alle – wirklich alle – sagten uns: ‹Trump hat uns geschickt›», sagte etwa Aquilino Gonell, Sergeant bei der U.S. Capitol Police, aus. Die Männer waren auch offen rassistisch. «Das ist der Nigger, der für Biden gestimmt hat», wurde dem schwarzen Polizisten ins Gesicht geschleudert, worauf die Meute schrie: «Boo. Fick dich, Nigger!»
All dies wollen die Republikaner nicht zur Kenntnis nehmen. Stattdessen versuchen sie, alternative Versionen in Umlauf zu bringen und schrecken dabei vor den absurdesten Unterstellungen nicht zurück. So erklärt beispielsweise Elise Stefanik, die Abgeordnete, die Liz Cheney als Nummer drei in der GOP verdrängt hat: «Das amerikanische Volk verdient es, die Wahrheit zu erfahren. Als Speaker trägt Nancy Pelosi die Verantwortung für die Tragödie, die sich am 6. Januar ereignet hat.» Stefanik galt bis vor Kurzem noch als moderat und vernünftig.
Jordan und Banks, die beiden, die Pelosi nicht im Ausschuss wollte, behaupten, Pelosi habe sie rausgeschmissen, «weil sie die Wahrheit nicht zulassen wollte». Vor dem Kapitol hielten derweil die grössten Spinner in der GOP, Matt Gaetz und Marjorie Taylor Green, eine Pressekonferenz ab, in der sie ebenfalls diesen Unsinn verkündeten.
Worauf stützt sich nun die «Wahrheit» der angeblichen Schuld Pelosis? Das Aufsichtsgremium der Capitol Police, welche für die Sicherheit der Abgeordneten und der Senatoren zuständig ist, wird von den jeweiligen Sergeants-at-Arms geführt. Diese wiederum werden von den Mehrheitsführern bestimmt. Am 6. Januar waren Paul D. Irving für das Abgeordnetenhaus und Michael Stenger für den Senat zuständig. Beide sind jedoch von Republikanern eingesetzt worden, Irving von John Boehner und Stenger von McConnell.
Wenn schon, müssten die Republikaner somit in ihren eigenen Reihen nach den Schuldigen suchen. Das wird nicht geschehen. Die Republikaner stellen sich vollständig hinter die Big Lie. Sie werden sich davon nicht abringen lassen und die Vorfälle vom 6. Januar in die absurdesten Höhen schrauben.
Allen voran Donald Trump. Der Ex-Präsident erklärte in einem Interview mit Carol Leonnig und Philip Rucker von der «Washington Post»: «Es gab so viel Liebe an diesem Rally. Mehr als eine Million Menschen waren da. Sie kamen aus einem einzigen Grund, dem manipulierten Wahlresultat. Sie spürten, dass die Wahlen gezinkt waren. Deshalb waren sie da. Und sie waren friedlich. Es waren grossartige Menschen. Die Menge war unglaublich. Und ich habe das Wort ‹Liebe› erwähnt. Liebe war in der Luft, ich habe noch nie so etwas erlebt.»