Im Jahr 1964 fällte der Supreme Court ein Urteil, das die amerikanische Medienlandschaft massgeblich beeinflussen sollte. Im Prozess «New York Times Company vs Sullivan» befanden die obersten Richter, dass unwahre Berichte nur dann einklagbar seien, wenn «actual malice» (vorsätzliche Boshaftigkeit) vorliegt.
Dieses Urteil hatte weitreichende Konsequenzen. Gestützt auf den ersten Zusatz der Verfassung, der die Meinungsfreiheit garantiert – und der in den USA eine überragende Bedeutung hat –, konnten die Medien nun ihre Berichterstattung über den Vietnam-Krieg kritisch gestalten, ohne dass sie befürchten mussten, deswegen vor einen Richter gezerrt zu werden. Einklagbar waren ab sofort nur noch Berichte, die nachweisbar wissentlich oder in grob fahrlässiger Art und Weise Lügen verbreiteten.
Nicht nur die Kritiker des Vietnam-Krieges profitierten von diesem Urteil. 1973 schickte sich der Verleger Rupert Murdoch an, seine ersten Baby-Schritte in den USA zu unternehmen. Er zog ebenfalls seine Lehren daraus. Zunächst bei einem unbedeutenden Regionalblatt namens «The News» in San Antonio, das er nach dem Vorbild der britischen «Sun» in ein Skandalblatt umfunktionierte.
Danach erwarb er die «New York Post», die älteste Zeitung der USA. Auch hier ging Murdoch mit dem gleichen Rezept vor: Die zuvor verschlafene Zeitung wurde zu einem schreienden Blut-und-Sperma-Blatt, angereichert mit erzkonservativer politischer Meinungsmache. Auch hier war der kommerzielle Erfolg durchschlagend.
Der Höhepunkt von Murdochs US-Feldzug war die Gründung der TV-Station Fox News. Zusammen mit Roger Ailes, einem ehemaligen Berater von Richard Nixon, stellte er eine konservative Alternative zu den vermeintlich linksliberal verseuchten Mainstream-Medien auf die Beine. Unter dem Slogan «fair and balanced» (fair und ausgewogen) wurde in der Folge schamlos rechte Propaganda vom Übelsten verbreitet. Das sollte sich auszahlen. Fox News stieg zum TV-Kabel-Kanal mit der höchsten Einschaltquote auf, Murdoch verdiente sich dumm und dämlich.
Derzeit jedoch steckt Fox News in gröberen Schwierigkeiten. Heute beginnt im Bundesstaat Delaware – dort ist das Unternehmen wie so viele andere als Aktiengesellschaft eingetragen – ein Prozess, in dem es nicht nur um viel Geld geht. Es geht auch darum, wie weit die Meinungsfreiheit in der Demokratie gehen darf. Aber der Reihe nach:
Nach seiner Wahlniederlage begann Donald Trump, die Big Lie zu verbreiten, die Lüge, wonach der Sieg von Joe Biden nur dank massiver Wahlmanipulation zustande gekommen sei. Einen wesentlichen Bestandteil dieser absurden und x-fach widerlegten Behauptung spielten dabei die Wahlmaschinen des Herstellers Dominion. Trumps Anwalt Rudy Giuliani und eine Anwältin namens Sidney Powell behaupteten auf Fox News immer und immer wieder, diese Maschinen seien so programmiert gewesen, dass sie genau so viele Stimmen für Trump zugunsten von Biden umwandelten, wie nötig gewesen seien, um dem Demokraten zum Sieg zu verhelfen.
Um das alles in den Rang des komplett Absurden zu erheben, wurde selbst Hugo Chavez, der 2013 verstorbene Präsident von Venezuela, ins Spiel gebracht. Dieser habe einst die Manipulationen ausgeheckt.
Dominion liess diese Lügen nicht auf sich sitzen und verklagte Fox News wegen Verleumdung und auf eine Schadenersatz-Summe von 1,6 Milliarden Dollar. Bei Fox News nahm man diese Klage zunächst gelassen zur Kenntnis. Im Wissen, dass es dank «New York Times Company vs Sullivan» praktisch unmöglich geworden war, ein Medienunternehmen wegen Verleumdung zu verklagen, reagierte man darauf kaum.
Das hat sich mittlerweile geändert. Inzwischen ist es dem Kläger Dominion gelungen, eine ganze Reihe von Aussagen zu erhalten, die Fox News in einem verheerenden Licht zeigen. Es sind E-Mails aufgetaucht, in denen Starmoderatoren wie Sean Hannity und Laura Ingraham bekennen, sie hätten keinen Moment an die Big Lie geglaubt. Maria Bartiromo – einst eine geachtete Business-Journalistin – stützte ihre Behauptung der manipulierten Wahlmaschinen auf eine Frau, die angab, eigentlich längst tot zu sein und als Geist auf der Welt zu wandeln (kein Witz). Und Tucker Carlson, derzeit die unbestrittene Nummer eins bei Fox News, schrieb in einer E-Mail, er würde Trump hassen, und zwar «leidenschaftlich».
Selbst Verleger Murdoch war über die Berichterstattung seines TV-Senders keineswegs erfreut. In einer E-Mail an Fox-News-CEO Suzanne Scott schrieb er: «Schrecklicher Stoff. Ich fürchte, er wird uns allen Schaden zufügen.»
Diese Befürchtung hat sich nun bewahrheitet. Murdoch muss höchstwahrscheinlich im Prozess als Zeuge aussagen, genauso wie seine Starmoderatoren. Und er hat dabei schlechte Karten. Der zuständige Richter Eric Davis vom Delaware Superior Court ist bereits vor Prozessbeginn verärgert, weil die Anwälte von Fox News wichtiges Beweismaterial zurückbehalten haben. Warum aber hat sich der Murdoch-Sender überhaupt in diese missliche Lage begeben?
Entgegen einer weit verbreiteten Ansicht beeinflusst Fox News seine Zuschauer nicht nur, es ist auch deren Gefangener. Sobald der Sender nicht mehr liefert, wonach die MAGA-Meute schreit, wenden sich die Zuschauer ab. Genau dies geschah nach Trumps Wahlniederlage. Fox News hatte als erster TV-Sender Joe Biden als Sieger im Bundesstaat Arizona ausgerufen. Das war gleichbedeutend mit Trumps Niederlage. Der Ex-Präsident und seine Entourage flippten aus, sein Schwiegersohn Jared Kushner soll Murdoch gar bekniet haben, diese Meldung zurückzuziehen.
Auch der MAGA-Mob wandte sich massenhaft von Fox News ab und dem noch konservativeren Kanal Newsmax zu. Beim Murdoch-Sender brach Panik aus. «Wenn sie Trump im Rücken haben, kann eine Alternative wie Newsmax für uns verheerende Folgen haben», textete Tucker Carlson einem Kollegen bei Fox News.
Um die Zuschauer bei der Stange zu behalten, setzte Fox News in der Folge alles auf die Big-Lie-Karte. Giuliani, Powell, das gesamte Trump-Gruselkabinett konnte sich auf dem Sender austoben, obwohl ihnen keine Sekunde lang geglaubt wurde. Mehr noch: Trump-Hasser Carlson begann, die Kapitol-Stürmer nun als Patrioten abzufeiern und die Ereignisse vom 6. Januar 2021 zu verniedlichen. Die wenigen seriösen Journalisten, die noch bei Fox News tätig waren – Chris Wallace, Bret Baier, und Martha MacCallum –, verliessen den Sender angewidert.
Verleger Murdoch begründete die neue Liebe seines Senders zu Trump bei seiner Befragung wie folgt: «Er hat sehr viele Anhänger, und die meisten davon sind wahrscheinlich Fox-News-Zuschauer.» Gleichzeitig wurde nun die Losung «Respekt für unsere Zuschauer» grossgeschrieben. «Wir haben gegen das Gesetz verstossen, dass der Zuschauer immer recht hat», schrieb ein Fox-Produzent in einer E-Mail.
Konkret bedeutet dies, dass Fox News es nicht mehr wagt, seinen Zuschauern die Wahrheit zu sagen. Es wirft der MAGA-Meute das zum Frass vor, wonach sie verlangt. Mit ernsthaftem Journalismus hat dies nichts mehr am Hut. Fox News hat mit «vorsätzlicher Boshaftigkeit» gehandelt. Deshalb muss der Sender nun fürchten, dass der Dominion-Klage recht gegeben wird. Nicht nur für den Hersteller von Wahlmaschinen wäre dies ein wichtiger Sieg, sondern auch für die Demokratie.
Und das hat NICHTS mit Meinungsfreiheit zu tun.
🤔
Nur, ich weiss ja gar nicht wie man so viel Geld überhaupt verprassen könnte.
🤭