Als es im Impeachment-Verfahren gegen Bill Clinton um die Frage ging, ob er sexuelle Beziehungen zu seiner damaligen Assistentin Monica Lewinsky gehabt habe, machte der Ex-Präsident die legendäre Aussage: «Es hängt davon ab, was Sie unter ‹ist› verstehen».
Auf ähnlich absurde Haarspaltereien liessen sich Elizabeth Magill, Claudine Gay und Sally Kornbluth anlässlich eines Hearings vor einem Ausschuss des Repräsentantenhauses ein. Die Präsidentinnen von drei Elite-Hochschulen – University of Pennsylvania, Harvard University und MIT – mussten zu anti-israelischen Demonstrationen auf dem Campus Stellung nehmen.
Das Hearing verlief denkbar schlecht. Hier ein kurzer Ausschnitt eines Dialoges zwischen der Abgeordneten Elise Stefanik und Elizabeth Magill:
Frage: «Einen Genozid an Juden zu verlangen, ist das Mobbing und Belästigung?»
Magill: «Sollte es gezielt und überzeugend sein, dann ist es Belästigung.»
Frage: «Die Antwort lautet somit ‹ja›.»
Magill: «Es hängt vom Kontext ab, Frau Kongressabgeordnete.»
Frage: «Ist das ihre Aussage von heute? Sie bezeichnen also den Genozid an Juden als kontextabhängig.»
Gay und Kornbluth haben ähnlich wie Magill geantwortet und sich ebenfalls auf den Kontext und die Meinungsfreiheit berufen. Das hat einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Das Video der Befragung von Magill ging viral. Die Präsidentin ist am Wochenende von ihrem Posten zurückgetreten. Das Schicksal ihrer beiden Kolleginnen ist noch nicht entschieden.
Stefanik jubelt bereits: «One down. Two to go (Eine ist erledigt, die zwei anderen werden folgen)», erklärte sie am Wochenende. «Das ist erst der Anfang. Wir werden uns der Fäulnis des Antisemitismus zuwenden, der die prestigeträchtigsten Hochschulen Amerikas unterwandert hat. Der erzwungene Rücktritt der Penn-Präsidentin ist das absolute Minimum.»
Man kann das alles als einen persönlichen Rachefeldzug von Elise Stefanik betrachten. Sie kann zwar einen Abschluss der Harvard University vorweisen und wurde ursprünglich als gemässigte Abgeordnete der Republikaner nach Washington geschickt. Im ersten Impeachment-Verfahren gegen Donald Trump profilierte sie sich dann als geschickte Verteidigerin des Ex-Präsidenten. Aus der jungen Hinterbänklerin wurde in der Folge ein rasch aufsteigender Star der Grand Old Party. Inzwischen ist Stefanik die Nummer drei bei den Republikanern geworden, ein Posten, den zuvor die zum Paria stigmatisierte Liz Cheney eingenommen hatte.
Stefaniks unkritische Haltung zu Trump hat sie jedoch auch den Posten im Aufsichtsrat des Institute of Politics an der Harvard University gekostet. Daraus zu schliessen, dass es sich bei der Demontage der drei Universitäts-Präsidentinnen bloss um eine persönliche Abrechnung handle, wäre jedoch zu kurz gesprungen. Der Auftritt des Trios ist durchs Band und bei allen Parteien hinweg schlecht goutiert worden.
So hat etwa auch Josh Shapiro, der Gouverneur von Pennsylvania – er ist Demokrat und Jude – die drei Universitäts-Präsidentinnen scharf kritisiert. «Ich habe erlebt, dass die Menschen in Pennsylvania grosse und kleine Aktionen gegen den Antisemitismus unternehmen», erklärte Shapiro am vergangenen Wochende anlässlich eines Besuches in einer Synagoge. «Ich sehe hier in Philadelphia, wie Studenten ihre Stimme erheben und dafür sorgen wollen, dass sie in den Chefetagen der Universitäten gehört und dass die führenden Persönlichkeiten zur Rechenschaft gezogen werden.»
Für die Republikaner ist derweil der blamable Auftritt des Trios ein Geschenk Gottes. Endlich haben sie etwas in der Hand, mit dem sie gegen die verhassten und «woken» Universitäten vorgehen können. Nicht nur Stefanik bläst daher zum Angriff. So erklärt etwa Virginia Foxx, eine republikanische Abgeordnete aus North Carolina: «Mir geht es um die grosse Gefahr, die von der rassenbasierten Ideologie der extremen Linken ausgeht. Der institutionalisierte Antisemitismus und der Hass sind die Früchte der Kultur dieser Institutionen.»
Auch Präsidentschaftskandidatin Nikki Haley ist auf den fahrenden Anti-Universitäten-Zug aufgesprungen. «Wer das Existenzrecht von Israel verneint, verhält sich antisemitisch», erklärt sie. «Wir werden die Definition ändern, damit jede Regierung und jede Schule anerkennen muss, wofür diese Definition steht.»
Haley legt damit den Finger auf den wunden Punkt. Der erste Zusatz der US-Verfassung garantiert die Meinungsfreiheit – und die Amerikaner legen sie viel weiter aus als wir. Ein Anti-Rassismus-Gesetz ist in den USA undenkbar, ja nicht einmal der Aufruf zum Völkermord ist strafbar. Deshalb sind Slogans wie «Globalisiert die Intifada» oder «From the river to the sea, Palestine will be free» nicht einklagbar.
Rein juristisch gesehen haben die drei Präsidentinnen damit korrekt gehandelt. Politisch hingegen war es ein fataler Fehler. Zudem kann eingewendet werden, dass die drei Elite-Universitäten keine öffentlichen, sondern private Institutionen sind. Deshalb müssten sie sich nicht an das First Amendment halten und könnten auf ihrem Campus eigene Vorschriften erlassen.
Hinzu kommt, dass man den Elite-Universitäten nicht ganz zu Unrecht Heuchelei vorwerfen kann. Geht es nämlich um Antirassismus und Genderfragen, gehen gerade Harvard & Co. sehr strikt gegen konservative Abweichler vor. Auf der Freien-Meinungs-Hitparade der Universitäten der Foundation for Individual Rights and Expression sind sie deshalb auf den hintersten Rängen zu finden.
Der Skandal um die drei Präsidentinnen ist so gesehen auch ein Weckruf. Oder wie es Danielle Allen in der «Washington Post» formuliert: «Wir haben uns so stark auf die akademische Freiheit und die Meinungsfreiheit konzentriert, dass wir dabei die Standards für eine Kultur des gegenseitigen Respekts vernachlässigt haben. Wir müssen beides tun. (…) Es muss einen Weg geben, um Regeln zu etablieren, welche für gegenseitigen Respekt sorgen, ohne dabei den Geist der freien Meinungsäusserung zu verletzen.»
Ich finde die Antworten dieser drei Damen durchaus nachvollziehbar im Sinn der Meinungsfreiheit. Diesbezüglich ist der Shitstorm (in dieser Heftigkeit) sicher überzogen.
Dass sich aber AUSGERECHNET die Woke-Fraktion an den US-Universitäten AUSGERECHNET JETZT als Hüter Meinungsfreiheit aufspielt, ist schon eine Scheinheiligkeit sondergleichen.
Sonst sind sie ja die ersten, die sich darauf berufen, dass die Meinungsfreiheit für private Universitäten nicht gilt, um die Schneeflöckchen und ihre "safe spaces" nicht zu gefährden 😂
Meinungen und Ideologie werden Studenten als Wahrheit verkauft.
mit woke meine ich zB „Critical Race Theory“, „postkoloniale Theorie“, Intersektionalismus, Genderismus, radikaler Skeptizismus, der so weit geht, dass alles ein Konstrukt sein soll und die Wirklichkeit per Sprechakt geschaffen würde. Die jungen Leute die an den Unis mit all dieser Ideologie berieselt werden sind wahrlich nicht zu beneiden.