Die Demokraten haben soeben mit Ach und Krach ihr Corona-Hilfspaket durch den Kongress gewürgt – und damit einen bedeutenden Sieg errungen. Dieser Sieg war jedoch nur dank einem Trick möglich, dem sogenannten Reconciliation-Verfahren. Die Details dieses Verfahren ersparen wir uns. Wichtig ist einzig, dass es ermöglicht, den Filibuster zu umgehen. Womit wir beim Thema sind.
Der Filibuster ist ein Gesetz, das verlangt, dass mindestens 60 Senatoren ihr Einverständnis geben müssen, damit eine Gesetzesvorlage überhaupt im Gremium verhandelt werden kann. Ist dies nicht der Fall, kann die Opposition mit einem endlosen Gelaber über irgendetwas dies bis zum St. Nimmerleinstag verhindern.
«Was soll dieser Unsinn?», wirst du dich nun fragen. Nun, eigentlich steckt eine durchaus vernünftige Idee hinter dem Filibuster. Damit soll verhindert werden, dass eine knappe Minderheit Gesetze beschliesst, die sofort wieder umgestossen werden, wenn – was regelmässig geschieht – sich die Mehrheitsverhältnisse im Senat wieder ändern. Mit dem Einbinden der Minderheit soll der Filibuster somit so etwas wie Nachhaltigkeit in die amerikanische Gesetzgebung bringen.
So weit so gut. Doch in den letzten Jahren hat sich der Charakter des Filibusters verändert. Er ist, wie es Ezra Klein, Kolumnist in der «New York Times», ausdrückt, zu einem «dadaistischen Albtraum» geworden. Was meint er damit?
Die US-Politik ist heute extrem polarisiert. Man gehört entweder zum Stamm der Demokraten oder zum Stamm der Republikaner. Kompromisse über die Parteigrenzen hinweg sind praktisch unmöglich geworden. Keiner der beiden Stämme ist jedoch mächtig genug, um die 60 Senatsstimmen zu gewinnen, die nötig sind, um den Filibuster ausser Kraft zu setzen.
Unter diesen Umständen wird der Filibuster zu einer kaum zu überwindenden Blockade. Mitch McConnell, der als Mehrheitsführer der Republikaner bis vor kurzem die Agenda im Senat bestimmen konnte, hat dieses Gremium als Schöpfer von neuen Gesetzesvorlagen de facto lahmgelegt. Der US-Senat wurde zu einem «Friedhof», McConnell wurde zum «Sensenmann».
Die Demokraten ihrerseits haben grosse Pläne und ihren Wählern gewichtige Versprechen im Wahlkampf gemacht. Unter anderem wollen sie ein umfangreiches Infrastrukturprogramm verabschieden, den viel zitierten Green New Deal. Ferner wollen sie den Mindestlohn auf 15 Dollar anheben, das Wahlverfahren reformieren, die Immigrationsgesetze neu aufgleisen, der Waffenlobby Einhalt gebieten und die Gewerkschaften stärken, um nur die wichtigsten Anliegen anzuführen.
Von all dem wollen die Republikaner nichts wissen. McConnell hat deutlich gemacht, dass er nicht bereit ist, auch nur einen Fussbreit von seiner Blockadepolitik abzuweichen, und dass er deshalb den Filibuster mit Zähnen und Klauen verteidigen wird. Dass dies keine leere Drohung ist, zeigt der Umstand, dass kein einziger Republikaner für das Corona-Hilfspaket gestimmt hat, obwohl dieses Gesetz von einer überwältigen Mehrheit der Bevölkerung begrüsst wird.
Was bedeutet dies für die Demokraten? Den Joker des Reconciliation-Verfahrens können sie höchsten noch zweimal in der laufenden Amtsperiode von Biden einsetzen, und nur mit Einschränkungen. Wenn sie somit ihre ehrgeizige Agenda umsetzen wollen, müssen sie den Filibuster ausschalten. Das ist leichter gesagt als getan.
Auch die Demokraten befinden sich in einer Zwickmühle. Ursprünglich hat der Filibuster nämlich auch bei der Ernennung von Richtern und Regierungsmitgliedern gegolten. In der Amtszeit von Barack Obama hat McConnell dies für seine Blockade-Taktik missbraucht und die Ernennung von liberalen Richtern systematisch torpediert.
Weil die Demokraten damals die Mehrheit im Senat besassen, griff Mehrheitsführer Harry Reid 2013 zur «nuklearen Option», will heissen: Er hat den Filibuster für Ernennungen abgeschafft. Das hat sich bitter gerächt. Als die Republikaner im Senat wieder an die Macht kamen, hat McConnell die Gelegenheit beim Schopf gepackt und seinerseits die Gerichte mit konservativen Richtern vollgestopft.
Deshalb haben vor allem gemässigte Demokraten wie Joe Manchin und Kyrsten Sinema sich bisher strikt geweigert, für eine Abschaffung des Filibusters zu stimmen. Auch Präsident Biden hat sich eher skeptisch zu diesem Thema geäussert.
Progressive Demokraten wie Elizabeth Warren hingegen drängen immer lauter auf die Abschaffung des Filibusters auch für Gesetzesvorlagen. Wegen der Sturheit der Republikaner erhalten sie zunehmend Zuspruch aus dem gemässigten Lager. Selbst Manchin hat am Wochenende durchblicken lassen, dass man mit ihm über Filibuster-Reformen diskutieren kann.
Im US-Senat ist derzeit ein Pokerspiel mit hohem Einsatz im Gang. Die Republikaner wollen die hauchdünne Mehrheit der Demokraten ausnützen und mit dem Filibuster ihre totale Blockade weiterführen. Sie spielen mit dem Feuer, denn Umfragen zeigen, dass die Anliegen der Demokraten, vor allem das Infrastrukturprogramm, bei der Bevölkerung äusserst beliebt sind.
Die Demokraten ihrerseits müssen ihre beiden widerspenstigen Senatoren zur Räson bringen und den Filibuster abschaffen. Nur so können sie ihre Wahlversprechen einhalten. Sie haben keine andere Option. «Seien wir ehrlich», erklärt Chuck Schumer, demokratischer Mehrheitsführer im Senat, «wir müssen dies ganz einfach durchziehen.»
Ähnlichkeiten mit einer Schweizer Partei, die angeblich das Volk vertritt, sind nicht zufällig.
Es sind Geschwister im Geiste, Tun und Kommunikation.
Und ja, das Volk geht all diesen geld- und machtgeilen Leuten am A... vorbei.