Ein guter Jurist kann alles verteidigen – und auch das Gegenteil. Nicht ganz zu Unrecht werden sie im Volksmund deshalb auch «Rechtsverdreher» genannt. Es gibt jedoch Dinge, die selbst der abgekochteste Anwalt nicht zurechtbiegen kann. Das gilt auch für Verfassungsfragen. So stellt beispielsweise die amerikanische Verfassung klipp und klar fest, dass niemand US-Präsident werden kann, der jünger als 35 Jahre alt ist oder der nicht in den USA geboren wurde.
Ausgerechnet Donald Trump hat das zweite Verbot zum Anlass genommen für seine Behauptung, Barack Obama sei ein illegaler Präsident, da er nicht im US-Bundesstaat Hawaii, sondern in Kenia auf die Welt gekommen sei. Natürlich war diese Behauptung – wie fast alles, das aus dem Mund des Ex-Präsidenten kommt – eine Lüge.
Jetzt aber könnte die amerikanische Verfassung auch Trump zum Verhängnis werden. Der dritte Abschnitt des 14. Zusatzes hält ebenso unmissverständlich fest, dass niemand, weder Senator noch Abgeordneter, noch Präsident oder Vize-Präsident ein Amt innehaben dürfe, der einen Aufstand gegen den Staat angezettelt oder begünstigt habe. Dieser Zusatz wurde nach dem Bürgerkrieg verfasst in der Absicht, Rebellen aus den Südstaaten von offiziellen Ämtern fernzuhalten.
Mit seiner Rede am 6. Januar 2021 hat Trump gegen diesen Verfassungsartikel verstossen. Er hat den Mob nicht nur aufgefordert, das Kapitol zu stürmen, er hat es auch mehr als drei Stunden lang unterlassen, ihn zurückzupfeifen. Deswegen sind in verschiedenen US-Bundesstaaten Klagen hängig, die fordern, dass der Ex-Präsident nicht zu den Wahlen zugelassen werden dürfe.
In Colorado hat jetzt der Oberste Gerichtshof dieser Klage stattgegeben und damit nicht nur ein historisches Urteil gefällt, sondern auch die ohnehin schon verwirrende Lage der amerikanischen Politik noch ein bisschen chaotischer gemacht.
Gestützt auf den 14. Zusatz der Verfassung hat eine Bürgerrechtsgruppe in verschiedenen Bundesstaaten Klage eingereicht und gefordert, dass Trump nicht zu den Primärwahlen zugelassen werden dürfe. Zwei Bundesstaaten, Minnesota und Michigan, haben diese Klage abgewiesen. Auch in Colorado hat eine Richterin in erster Instanz das Begehren der Bürgerrechtsgruppe abgelehnt. Sie hat allerdings bestätigt, dass Trump sich dem Aufruf zu einem Aufstand schuldig gemacht habe. Angesichts der enormen politischen Tragweite eines Schuldspruchs hat sie jedoch zu einem technischen Trick gegriffen und erklärt, der Präsident falle nicht unter dieses Gesetz, da sein Eid auf die Verfassung ein anderer sei.
Dieses Urteil hat das Oberste Gericht des Bundesstaates Colorado nun umgestossen und erklärt, auch der Präsident sei vom 14. Zusatz betroffen. Das Urteil ist knapp ausgefallen, drei der sieben Richter – alle sind übrigens von demokratischen Gouverneuren ernannt worden – stimmten dagegen. Sie taten dies ebenfalls aus technischen Gründen.
Das Gericht ist sich seiner Verantwortung sehr wohl bewusst. «Wir haben dieses Urteil nicht leichtfertig gefällt», heisst es in der Begründung. «Wir wissen um die Tragweite und die Last, die wir uns aufgebürdet haben. Ebenso sind wir uns jedoch auch unserer Verpflichtung bewusst, das Gesetz anzuwenden, ohne jemanden zu bevorteilen und ohne Angst vor der öffentlichen Reaktion, die unsere Entscheidung auslösen kann.»
Die öffentliche Reaktion ist bereits da, und sie als heftig zu bezeichnen, wäre eine Untertreibung. Trump und die Seinen toben. Auf Fox News und anderen konservativen Medien feiern Verschwörungstheoretiker eine Mega-Party. Weil Trump in den Umfragen vor Biden liege, seien die Gerichte jetzt die letzte Bastion der Linken. Nur dank korrupten, von Demokraten eingesetzten Richtern könne ein Wahlsieg Trumps noch verhindert werden, tönt es in einer Endlos-Schlaufe.
Natürlich stimmt auch der Ex-Präsident selbst in diesen Chor ein. Sein Sprecher, Steven Cheung, erklärte denn auch: «Es ist keine Überraschung, dass der von Demokraten dominierte Oberste Gerichtshof von Colorado gegen Trump entschieden hat. Die von Soros (dem Financier George Soros) unterstützte, linke Gruppe hat ein Programm zugunsten des verbrecherischen Joe Biden ausgeheckt – mit dem Ziel, Trump von den Wahlen auszuschliessen und den Bürgern von Colorado das Recht zu nehmen, sich für einen Kandidaten ihrer Wahl zu entscheiden. Wir sind aber überzeugt, dass der U.S. Supreme Court diesen Entscheid rasch zu unseren Gunsten umstossen wird.»
So sicher ist das allerdings gar nicht. Im Obersten Gericht haben die konservativen Richter zwar eine komfortable Mehrheit von sechs zu drei – drei von ihnen wurden von Trump ernannt –, doch gerade die konservativen Richter müssen im vorliegenden Fall tief in die Trickkiste greifen, um dem Ex-Präsidenten aus der Patsche zu helfen.
Das hat zwei Gründe: Die Konservativen sind meist sogenannte Originalisten, will heissen, sie pochen auf eine wörtliche Auslegung der Verfassung, und wie erwähnt ist diese, was den 14. Verfassungszusatz betrifft, glasklar. Zudem sind es gerade die Konservativen, die stets die Souveränität der Bundesstaaten betonen. So haben die konservativen Richter die Aufhebung des Abtreibungsurteils «Roe v. Wade» damit begründet, dass jeder Bundesstaat das Recht habe, seine eigenen Gesetze zu erlassen.
Neil Gorsuch, einer der von Trump ernannten Richter, war zuvor Mitglied des Obersten Gerichtshofes in Colorado. In dieser Funktion hat er die Souveränität der Bundesstaaten ausdrücklich betont, etwas, das nun seine ehemaligen Kollegen in ihrer Begründung nicht ganz zufällig erwähnen.
Sollte der U.S. Supreme Court somit für Trump entscheiden, dann wäre seine Heuchelei einmal mehr augenfällig und sein ohnehin schon angeschlagener Ruf weiter beschädigt, zumal Clarence Thomas, ein konservativer Hardliner, im inzwischen mit vielen Beweisen untermalten Verdacht steht, korrupt zu sein.
Was wäre, wenn der U.S. Supreme Court gegen Trump entscheidet? Dann könnte der Ex-Präsident nicht zu den Primärwahlen in Colorado antreten. Mehr noch, er müsste damit rechnen, dass er auch in anderen Bundesstaaten ausgeschlossen wird, da auch dort die gleiche Klage hängig ist. Damit wären seine Chancen, wieder ins Weisse Haus einzuziehen, null und nichtig.
Das dürfte indes eher unwahrscheinlich sein. Trump unternimmt alles, um dieses Urteil zu seinen Gunsten auszunützen. Bereits jetzt ist daher in den sozialen Medien der rechte Teufel los. Was abgehen würde, sollte der Ex-Präsident tatsächlich von den Wahlen verbannt werden, wissen daher nur die Götter.