Geht das überhaupt? Von Zürich auf die Mittelmeerinsel Malta zu reisen, ohne dabei in ein Flugzeug zu steigen? Malta liegt südlich von Sizilien, fast 1900 Fahrkilometer von der Schweiz entfernt, einmal den kompletten italienischen Stiefel hinab.
Die Antwort: Ja. Aber nur, wenn man bereit ist, etwas mehr Zeit, Energie und Geld zu investieren, als für den zweistündigen Direktflug nötig wäre. Vor allem die Kosten haben es in sich. Doch dazu später mehr.
Der Start erfolgt am Zürcher Hauptbahnhof. An einem Samstagnachmittag Ende April setzt sich der Euro City 199 pünktlich um 15.33 Uhr in Gang. Erster Halt: Milano Centrale.
Ich sitze motiviert und vorfreudig auf meinem reservierten Platz. Daneben eine gut gelaunte Gruppe Frauen, mit noch mehr Proviant ausgerüstet, als ich es bin. Ob ihre Destination auch die maltesische Hauptstadt Valletta ist? Wohl kaum.
Um 18.50 Uhr fährt der Zug in Mailand ein. Knapp eineinhalb Stunden Pause, bis es mit dem Nachtzug weitergeht. Ich tingle etwas im Bahnhof herum, dann steht der Intercity Notte zum Einsteigen bereit.
Ich habe mich für ein Einzelabteil im Schlafwagen entschieden. So unkompliziert, mich mit drei fremden Personen in eine Viererkabine zu zwängen, bin ich mit bald 35 dann doch nicht mehr.
Das Abteil ist sauber, hat genügend Platz und sogar ein Lavabo mit fliessend Wasser. Im Ticket inbegriffen sind eine Flasche Wasser, ein Hygieneartikel-Set mit Zahnbürste, Zahnpasta, Seife und Schlafmaske und ein Frotteetuch. Dazu ein Frühstück am nächsten Morgen.
Es ist bereits dunkel, als der Nachtzug mit etwas Verspätung um 20.30 Uhr in Mailand abfährt. Knapp 20 Stunden dauert es, bis ich am nächsten Tag im malerischen Siracusa in Sizilien ankommen soll. Bett und Kissen sind ziemlich bequem, es ist aufregend und gemütlich, liegend in die italienische Nacht zu tuckern.
Der Vorteil eines Privatabteils: Ich habe meinen Frieden. Gerade in Viererabteilen, wo regelmässig – auch spätabends und früh am Morgen – Personen ein- und aussteigen, kann es sehr unruhig zu- und hergehen. Der Nachteil: Mit Mitreisenden komme ich kaum in Kontakt. Das stört mich auf dieser Reise aber nicht, im Gegenteil. Nach einer längeren strengen Phase bei der Arbeit bin ich froh, entspannen zu können.
WLAN gibt es an Bord des Zuges nicht. Ich lese etwas, schaue eine vorab runtergeladene Netflix-Serie und schlafe gegen Mitternacht ein. Das Ruckeln des Zuges hat eine einschläfernde Wirkung, sorgt gleichzeitig aber auch dafür, dass ich regelmässig aufwache. Wirklich erholsam ist der Schlaf in einem Nachtzug dann schon nicht.
Definitiv wach bin ich, als der Zugbegleiter um 7 Uhr an die Tür meines Abteils klopft. Ich hätte nichts dagegen gehabt, mein Frühstück auch erst um 9 Uhr einzunehmen. Was man den Italienern aber lassen muss: Sie haben Stil. Anstelle einer Vollautomaten-Brühe gibt es einen Espresso aus der mitgeführten Lavazza-Maschine. Der Morgen ist gerettet.
Die Ausgaben für meine Zug-Odyssee möchte ich euch der Transparenz halber natürlich nicht vorenthalten. Für die Fahrt von Zürich nach Malta und zurück habe ich mit Halbtax 770 Franken bezahlt, inklusive Reservationsgebühren und Buchungsgebühren meines Reiseanbieters. Mamma Mia, schon eine Stange Geld. Die Kosten für Hin- und Rückflug hätten sich mit Aufgabegepäck auf rund 300 Franken belaufen.
Das steht natürlich in keinem Verhältnis und dürfte ein Grund sein, weswegen viele Menschen mich schief anschauten, als ich ihnen von meiner Reise erzählte. Allerdings habe ich ziemlich spät gebucht. Wäre ich früher dran gewesen, hätte ich vermutlich ein günstigeres Sparbillett ergattern können.
Vergleicht man die Nachtzüge in Italien mit anderen europäischen Anbietern, sind sie eher günstig.
Zurück zur Zugreise. Spannend wird es in Villa San Giovanni, ganz im Süden Italiens. Hier wird der Zug unterteilt und auf eine Fähre verladen. Die Fahrt rüber nach Sizilien dauert rund 20 Minuten, eine Brücke gibt es nicht.
Während der kurzen Überfahrt können die Zugpassagiere ihre Abteile verlassen und an Deck der Fähre die Sonne geniessen. Es ist herrlich, sich nach so vielen Stunden im Zug etwas die Beine vertreten zu können. Der kurze Fährtrip nach Sizilien ist definitiv einer der Höhepunkte dieser Reise.
Rund 21 Stunden nach Abfahrt in Zürich erreiche ich am Sonntagmittag Messina. Ein Teil des Zuges fährt weiter nach Palermo, der andere nach Siracusa im Süden Siziliens. Weil ich in einem der Wagen mit Destination Palermo bin, soll ich – so mein Reiseanbieter – die Zugbegleiter nach einem freien Abteil in einem Wagen fragen, der nach Siracusa fährt. Das klappt leider nicht.
Obwohl in Messina einige Leute aussteigen, sind gemäss den italienischen Kontrolleuren alle Abteile besetzt. Mein Ticket sei ausserdem nicht gültig. Auch mein Vorschlag, die dreistündige Fahrt nach Siracusa stehend im Gang zurückzulegen, lehnen die beiden Herren freundlich aber bestimmt ab.
Dass sie nicht allzu gut Englisch und ich noch schlechter Italienisch spreche, trägt sicher auch dazu bei, dass wir auf keinen grünen Zweig kommen. Zum Glück gibt es um 14.35 Uhr eine weitere Verbindung, ich muss jedoch für 17 Euro ein neues Billett kaufen. Mühsam.
Der Mega-Bummler hält alle fünf Minuten, ist aber trotz über drei Stunden Fahrzeit pünktlich. Das ist wichtig, muss ich in Siracusa doch einen letzten Zug nach Pozzallo erwischen. Hätte ich den verpasst, hätte die letzte Fähre des Tages nach Malta ohne mich abgelegt.
Nach 28 Stunden Reise erreiche ich Pozzallo, den südlichsten Bahnhof mit Personenverkehr Italiens. An diesem Sonntagabend herrscht absolut tote Hose. Nur ein weiterer Mann steigt mit mir aus. Ich bin grundsätzlich nicht vom Abenteurer-Gen infiziert. Nur mit dem Zug so weit gekommen zu sein, fühlt sich aber schon ganz gut an.
In etwas mehr als einer Stunde legt die Fähre nach Malta ab. Das Wetter ist angenehm, mit mehr Zeit wäre ich die drei Kilometer zum Hafen auch mit Koffer gelaufen. Pozzallo, dies wird sich auf der Heimreise zeigen, ist ein hübsches Örtchen.
Das Taxi kostet 15 Euro. Diese Kosten kann ich mir mit dem Mann, der auch in Pozzallo ausgestiegen ist, teilen, er muss ebenfalls nach Malta. Auf der kurzen Fahrt fragt er mich, ob mir Moldawien – sein Heimatland – ein Begriff sei. Ich bin fast etwas beleidigt und zitiere im Kopf die Hauptstadt.
Zehn Minuten später befinde ich mich auf der riesigen Fähre. Zahlreiche Arbeiter fahren mit ihren Lastwagen nach Malta, allzu viele Touristen erspähe ich nicht. Es ist Nebensaison, die Fähre deswegen nicht mal zur Hälfte gefüllt. Die Sitze sind bequem, ein Bier kostet vier Euro.
Zwei Stunden später bin ich nach 31 Stunden Reisezeit endlich da. Es ist längst dunkel. Die Einfahrt in den Naturhafen Vallettas mit seinen beleuchteten Festungsmauern ist spektakulär. Ohne Flugzeug nach Malta zu reisen, ist möglich. Es fühlt sich gut an.
Elf Tage Ferien auf Malta sind vorbei. Elf Tage mit beeindruckender Natur, wunderschönen Stränden, viel Kultur, Architektur, Geschichte, schönem Wetter, gutem italienisch geprägtem Essen und – wie fast immer im EU-Raum – günstigen Preisen.
Auch die Rückreise absolviere ich mit dem öffentlichen Verkehr. Also mit Fähre und Zug. Dies gestaltet sich allerdings um einiges mühevoller.
Weil es auf der Hinfahrt ewig dauerte, bis die Passagiere in Valletta die Fähre verlassen konnten, entscheide ich mich auf der Heimreise für eine frühere Fähre. Das vom Reiseanbieter offenbar als unproblematisch eingestufte Risiko, den Nachtzug am Abend in Siracusa zu verpassen, kann ich nicht eingehen. Früher bedeutet in diesem Fall allerdings: 7.30 Uhr morgens statt 18 Uhr abends. Dazwischen legt keine Fähre ab.
Das Taxi beim Airbnb wartet um 6.00 Uhr auf mich, bereits um 9.45 Uhr bin ich in Pozzallo, ganz im Süden Siziliens. Ich spaziere etwas durch das ehemalige Fischerdorf und schlage danach im McDonald's die Zeit tot. Einen anderen Ort mit gutem Internet lässt sich auf die Schnelle leider nicht finden.
Um 15 Uhr nehme ich den Zug nach Siracusa. Der ist zwar nur zu 20 Prozent ausgelastet, weil meine Reservation jedoch für eine spätere Verbindung ausgestellt ist, muss ich fünf Euro Umbuchungsgebühr bezahlen. Dann halt. Angekommen in Siracusa, habe ich erneut über fünf Stunden Wartezeit.
Das ehemalige kulturelle Zentrum Siziliens ist aber definitiv einen Besuch wert. Hübsche Altstadt, mediterranes Flair, am Meer gelegen – hier lässt es sich schon einen Moment verweilen. Wäre ich geflogen, hätte ich dieses Schmuckstück verpasst.
Kurz vor 22 Uhr nehme ich den Nachtzug, am nächsten Tag komme ich nach 7 Uhr in Salerno an. Mit einem nächsten Zug geht es in sechs Stunden nach Mailand und nach einer überteuerten Pizza am Bahnhof auf die Schlussetappe nach Zürich. Völlig erschöpft, gleichzeitig aber zufrieden, bin ich nach 36 Stunden Reise wieder daheim.
In 77 Stunden mit Zug und Fähre nach Malta und zurück. Würde ich es wieder machen? Die Hinreise ohne unnötig viel Wartezeit definitiv. Ich habe viel mehr erlebt, als wenn ich geflogen wäre. Pozzallo, Siracusa, die Fähre nach Malta – diese Eindrücke sind bereichernd, sie bilden weiter, deswegen weiss ich sie sehr zu schätzen. Auch der CO₂-Ausstoss ist verglichen mit einem Flug nach Malta um ein Vielfaches geringer. In meinen Augen ein deutlicher Pluspunkt, der mir ein gutes Gefühl gibt.
Ich kann aber auch verstehen, dass nicht jeder Lust und Zeit hat, eine solche Zugreise zu absolvieren. Gerade für Familien ist der Aufwand wohl zu gross.
Der grösste Faktor, der auch in diesem Fall gegen den Zug spricht, ist jedoch das Geld. Hin- und Rückreise haben mich mehr als doppelt so viel gekostet als ein Flug. Solange es die verantwortlichen Player wie Politik und Bahnunternehmen nicht hinbekommen, die Preise für Zugreisen zu senken, können sie nie zum valablen Ersatz für Flüge werden. Schon gar nicht auf so langen Distanzen wie nach Malta.
Ich habe (immernoch) ein Abenteuer-Gen (würde aber auch mittlerweile manchen Komfort wählen)!
Klingt nach einer spannenden Reise, wo der Weg bereits mit Teil der Reise ist, ich mag dieses Gefühl, Kilometer hinter sich zu lassen.
Das Manko sind die Kosten, die auf solchen Reisen extrem sein können. (Ich bin neulich aus Süddeutschland an die dt. Ostseeküste gefahren, mit der DB 2.Klasse zu zweit = 940€ hin&rück Flextickets, uff!)
Gerne mehr solche Reiseberichte, lese es gerne.
Ich hoffe die EU begreift es irgend einmal das ÖV Netz als Gemeinschaftsprojekt auszubauen und zwar so richtig.
Eine Idee wäre ein Internationales Hochgeschwindigkeitsnetz mit Hubs in verschiedenen Ländern. Wir geben hunderte Milliarden für Krieg aus, aber wehe man möchte das für eine Zugnetz machen…