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Kalifornien zeigt, wie man die Demokratie pervertieren kann

California Gov. Gavin Newsom speaks during a news conference at Carl B. Munck Elementary School, Wednesday, Aug. 11, 2021, in Oakland, Calif. Gov. Newsom announced that California will require its 320 ...
Muss um sein Amt zittern: Gavin Newsom, Gouverneur von Kalifornien.Bild: keystone
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Kalifornien zeigt, wie man die Demokratie pervertieren kann

Obwohl der Golden State der progressivste Bundesstaat der USA ist, könnte er bald von einem «schwarzen Trump» regiert werden.
26.08.2021, 13:5628.08.2021, 15:04
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Stellt euch vor: Eine Handvoll Muotathaler Treichler lanciert ein Referendum zu Absetzung von Bundesrat Alain Berset. Die 50’000 Unterschriften sind im Nu gesammelt, es kommt zu einer Volksabstimmung – und danach ist Andreas Glarner neuer Innenminister.

Okay, bei uns ist dies zum Glück nicht möglich. In Kalifornien hingegen schon. Wie die Schweiz hat der grösste und bedeutendste US-Bundesstaat eine Art direkte Demokratie – aber sie haben es gründlich vermurkst. So ist es beispielsweise dank einer in der Reagan-Ära angenommenen Initiative (Proposition 13) praktisch unmöglich geworden, die Steuern zu erhöhen.

In Kalifornien haben die Wählerinnen und Wähler auch die Möglichkeit, den regierenden Gouverneur aus dem Amt zu jagen. Verantwortlich dafür sind ausgerechnet die Progressiven. Einst wollten sie damit die Macht der Räuberbarone brechen. Deshalb haben sie zu Beginn des letzten Jahrhunderts ein entsprechendes Gesetz eingebracht.

epa09414440 Anti-vaccination demonstrators and a counter protester (on the ground) clash during an anti vaccination protest organized in front of the City Hall in Los Angeles, California, USA, 14 Augu ...
Impfgegner demonstrieren in Burbank.Bild: keystone

Dieses Gesetz macht möglich, dass man mit zwölf Prozent der Stimmen der wahlberechtigten Bevölkerung einen sogenannten «Recall» erzwingen kann, eine Abwahl des regierenden Gouverneurs. Ein solcher Recall steht nun an. Am 14. September müssen die Kalifornier darüber entscheiden, ob Gavin Newsom, der amtierende Gouverneur, weiter regieren darf oder nicht.

Kalifornien ist nicht nur der grösste, es ist auch der progressivste Bundesstaat der USA. Bei den Präsidentschaftswahlen hat Joe Biden Donald Trump weit hinter sich gelassen. Trotzdem könnte es geschehen, dass in diesem «blauesten aller blauen Bundesstaaten» ein schwarzer Trump zum Gouverneur gewählt wird. Wie ist das möglich?

Der Recall hat sonderbare Regeln. Rund 22 Millionen Wahlberechtigte müssen zunächst die Frage beantworten, ob der amtierende Gouverneur abgewählt werden soll oder nicht. Wird diese Frage mit Ja beantwortet, dann ist Newsom seinen Job los. Derzeit stehen die Chancen 50 zu 50, dass dies der Fall sein wird.

Bei einem Ja wird Newsoms Nachfolger einer von 40 zugelassenen Kandidaten für das Amt, und zwar der, der am meisten Stimmen erhalten hat. Die besten Chancen dazu hat Larry Elder, ein konservativer schwarzer Radio-Moderator. Er hat sich den Übernamen «schwarzer Trump» eingehandelt, und das mehr als zu Recht.

Elder ist ein Klima- und Covidleugner. Er ist ein Abtreibungsgegner und ist immer wieder mit frauenfeindlichen Äusserungen aufgefallen. So behauptet er beispielsweise, Frauen würden nur deshalb öfter die Demokraten wählen, weil sie dümmer seien als die Männer.

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Hat Chancen: der «schwarze Trump» Larry Elder.Bild: keystone

Obwohl Elder selbst schwarz ist, findet er die «affirmative action», das bewusste Fördern von Schwarzen, Blödsinn. Von Rassismus will er nichts wissen, ebenso von Mindestlöhnen. Stattdessen plädiert er für mehr Eigenverantwortung.

Kalifornien ist zwar der progressivste Bundesstaat, aber hauptsächlich dank Los Angeles und San Francisco. Im ländlichen Norden hingegen geben stockkonservative Republikaner den Ton an. Aus diesen Kreisen stammt die Initiative zum Recall.

Gavin Newsom gehört zur von der Landbevölkerung verhassten Elite. Bei uns würde man von einem «Cüpli-Sozialisten» sprechen. Trotzdem hat er vor zweieinhalb Jahren über 62 Prozent der Stimmen erhalten. Er ist ein legitim gewählter Gouverneur und hat sich nichts zuschulden kommen lassen.

Doch im vergangenen Jahr hat Newson seinen Gegnern eine Steilvorlage geliefert. Er besuchte eine Party in einem französischen Nobelrestaurant und wurde dabei ohne Maske gefilmt, und dies, obwohl er kurz zuvor eine strikte Maskenpflicht für alle verhängt hatte.

Konservative Medien wie Fox News kosteten diesen dummen Fauxpas bis zur Verblödung aus und heizten so den Volkszorn an. Seine Gegner hatten keine Mühe, die Unterschriften für ihren Recall zu sammeln.

Trotzdem sollte man meinen, dass Newsom den Recall locker überstehen wird. Das ist keineswegs der Fall. Das Rennen ist äusserst knapp. Dies aus drei Gründen: Viele Kalifornier wissen gar nicht, dass sie am 14. September zur Urne müssen. Andere, die den Demokraten zugeneigt sind, gehen nicht, weil sie davon ausgehen, dass Newson nichts passieren kann. Dazu gesellt sich der allgemeine Corona-Frust.

Die Konservativen hingegen sind äusserst motiviert. Sie wittern eine Chance. 2003 wurde ein gewisser Arnold Schwarzenegger ebenfalls dank eines Recalls Gouverneur von Kalifornien. Schwarzenegger sollte sich jedoch in der Folge als vernünftiger Republikaner erweisen. Heute ist er ein bekennender Trump-Gegner.

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Wurde dank eines Recalls Gouverneur: Arnold Schwarzenegger.Bild: EPA

Larry Elder hingegen ist kein Schwarzenegger. Seine Wahl würde bedeuten, dass er die harten Umweltgesetze in Kalifornien ausser Kraft setzen würde, obwohl gerade dieser Bundesstaat besonders von der Klimaerwärmung betroffen ist. Auch die Maskenpflicht würde abschafft, ebenfalls die geltenden Mindestlohn-Regelungen. Denkbar ist, dass er selbst versuchen würde, ein Abtreibungsverbot durchzusetzen.

Eine Wahl Elders hätte möglicherweise auch fatale Folgen für die nationale Politik. Die demokratische Senatorin Dianne Feinstein ist mittlerweile 88 Jahre alt und nicht mehr wirklich fit. Sollte sie zurücktreten oder gar sterben, hat der Gouverneur das Recht, sie bis zu den nächsten Wahlen provisorisch zu ersetzen. Elder würde dies natürlich mit einer Republikanerin oder einem Republikaner tun – und damit die hauchdünne demokratische Mehrheit im Senat zu Fall bringen.

Kein Wunder also, dass sich Präsident Joe Biden bereit erklärt hat, nach Kalifornien zu fliegen und Wahlkampf für Newsom zu machen. Auch Kamala Harris, die Vizepräsidentin, wird zu diesem Zweck kurzfristig in ihren Heimatstaat zurückkehren.

Das Beispiel von Kalifornien zeigt, wie sich eine grundsätzlich gut gemeinte Idee – die direkte Demokratie – in ihr Gegenteil verkehren kann. Obwohl er im besten Fall 20 Prozent der Stimmberechtigten hinter sich scharen kann, kann ein Mann Gouverneur werden und eine Politik durchsetzen, die der überwiegenden Mehrheit widerstrebt. Und er kann möglicherweise gar die Supermacht USA lahmlegen, weil ein republikanisch dominierter Senat wieder alles verhindert.

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144 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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bokl
26.08.2021 14:08registriert Februar 2014
Wenn die überwiegende Mehrheit nicht wählen geht weil sie zu faul, zu siegessicher oder zu frustriert ist, ist sie selber Schuld und nicht die direkte Demokratie.
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smartash
26.08.2021 14:15registriert Dezember 2016
„Das Beispiel von Kalifornien zeigt, wie sich eine grundsätzlich gut gemeinte Idee – die direkte Demokratie – in ihr Gegenteil verkehren kann“

Gilt doch auch für indirekte Demokratie, wo das Volk nur ihre Vertreter wählen kann...

Ja @Herr Löpfe. Jede Medaille hat zwei Seiten. Die perfekte Welt gibt es nicht.
Und mit der Freiheit der Demokratie kommt halt auch die Gefahr, dass die Mehrheit sich für die „falsche“ Lösung entscheiden
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silvasta22
26.08.2021 16:06registriert November 2020
Jemand der einem nicht passt wird vielleicht gewählt..

=> Die Demokratie in diesem Land ist kaputt!

Unglaubliches Demokratieverständnis 😄
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