Im September des vergangenen Jahres hat Barton Gellman, Journalist beim renommierten Monatsmagazin «The Atlantic», davor gewarnt, dass Donald Trump im Fall einer Wahlniederlage versuchen werde, diese Niederlage in einen Sieg umzumünzen. Trump werde die republikanischen Parlamentarier der Swingstates dazu überreden, nicht die gewählten, für Biden stimmenden Elektoren nach Washington zu schicken, sondern eigene, für ihn stimmende.
Er sollte Recht bekommen. Genau dieses Manöver wollten Trump und seine Gehilfen tatsächlich über die Bühne bringen – und sind damit nur knapp gescheitert.
Nun hat Gellman wieder zugeschlagen. Unter dem Titel «Trumps nächster Coup hat bereits begonnen» schildert er, welche Massnahmen der Ex-Präsident und die Republikaner ergreifen oder bereits ergriffen haben, um einen Sieg 2024 um jeden Preis sicherzustellen. Gellman kommt zu einem dystopischen Fazit. Er schreibt:
Was ist damit gemeint?
Zum einen ist es Trump und den Republikanern gelungen, in den alles entscheidenden Swingstates – Pennsylvania, Wisconsin, Michigan, Arizona, Georgia und Nevada – die Schaltstellen, welche die Abstimmungen kontrollieren, mit loyalen Personen zu besetzen. Gleichzeitig haben sie die Wahlgesetze zuungunsten der demokratischen Wähler verändert. Sollte selbst dann noch ein Demokrat gewinnen, wird das republikanische Parlament ermächtigt, eigene Kandidaten zu erküren.
Weil der Oberste Gerichtshof inzwischen mit einer konservativen Mehrheit von 6 : 3 bestückt ist, sind auch die Voraussetzungen gegeben, dass dieses Manöver von der höchsten juristischen Instanz abgesegnet wird. Dabei verlässt sich Trump nicht auf Rudy Giuliani, Sidney Powell & Co. Dieser Narrenumzug diente bloss der Ablenkung. Er hat inzwischen ein A-Team von renommierten Anwälten zusammengestellt, welches ihn vor dem Supreme Court vertreten wird, sollte dies denn nötig werden.
Dem Ex-Präsidenten ist es mittlerweile gelungen, bei den Republikanern eine Grundstimmung zu erzeugen, welche auch vor Gewalt nicht mehr zurückschreckt. «Trump hat die erste amerikanische Massenbewegung der vergangenen hundert Jahre geschaffen, die bereit ist, um jeden Preis zu kämpfen», so Gellman. «Auch um den Preis des Blutvergiessens.»
Entscheidend sind dabei die Big Lie – die falsche Behauptung, wonach Trump die Wahlen gewonnen habe – und die Theorie der «Grossen Auswechslung». Diese ursprünglich aus Frankreich stammende These besagt, dass die Weissen des Abendlandes sukzessive durch Muslime ersetzt werden. Trump hat sie auf amerikanische Verhältnisse angepasst. Seine Botschaft lautet: Schwarze und Hispanics werden die Weissen verdrängen.
Diese Botschaft kommt an. So hat eine detaillierte Untersuchung der Teilnehmer am Sturm aufs Kapitol ergeben, dass weder Einkommen noch Bildungsgrad die entscheidenden Faktoren waren. «Die Aufrührer kamen in erster Linie aus Regionen, in denen der Anteil der weissen Bevölkerung am Sinken ist», so Gellman.
Mitglieder der Proud Boys und andere Extremisten waren ebenfalls dabei, aber weit weniger als angenommen. Kathleen Belew, eine auf White Supremacists spezialisierte Historikerin von der University of Chicago, erklärt dazu: «Der 6. Januar war nicht als Massenaufstand geplant. Es war ein Anlass, um neue Mitglieder zu rekrutieren. Für die radikalisierten Trump-Unterstützer ist es der Anfang von etwas Grösserem.»
Tatsächlich haben die Trump-Anhänger und die konservativen Medien die Ereignisse des 6. Januars inzwischen komplett umgedeutet. Es ist längst kein versuchter Umsturz mehr, sondern ein patriotischer Aufstand gegen sozialistische Tyrannen. Die im Gefängnis schmachtenden Aufrührer sind daher keine Staatsfeinde, sondern Helden; die beim Sturm getötete Ashli Babbitt eine Märtyrerin.
Viele Trump-Anhänger befinden sich schon heute geistig in einem Bürgerkrieg. Sie sagen Dinge wie: «Wenn die Tyrannei Gesetz wird, dann wird die Rebellion zur Pflicht.» Oder: «Ich denke, die Kriminellen – Nancy Pelosi und ihre kriminelle Gang – zwingen uns in einen Bürgerkrieg. Sie zwingen, gottesfürchtige und an die Verfassung glaubende Amerikaner, zu den Waffen zu greifen.»
Wer nicht zu den Waffen greift, glaubt zumindest an die Big Lie. So hat eine Umfrage des PRRI im November ergeben, dass 68 Prozent der Republikaner überzeugt sind, Trump seien die Wahlen gestohlen worden. «Bidens Sieg zu delegitimieren war ein strategischer Sieg für Trump», so Gellman.
Trump bereitet seine Wiederwahl 2024 systematisch vor. So hat er soeben Devin Nunes zum CEO seines Medienunternehmens Trump Media & Technology Group ernannt. Nunes wird daher sein Mandat als kalifornischer Kongressabgeordneter aufgeben. Dort war er einer der wichtigsten Unterstützer des Ex-Präsidenten.
Mit seiner Twitter-Konkurrenz hat Trump grosse Pläne. Bis Ende 2026 will er 81 Millionen User haben und einen Umsatz von 3,6 Milliarden Dollar erzielen. Vorläufig muss er sich jedoch noch mit weit profaneren Problemen herumschlagen. Die amerikanische Börsenaufsicht SEC hat ein Verfahren gegen die Gesellschaft eröffnet. Es besteht der Verdacht, dass es beim Börsengang zu Unrechtmässigkeiten gekommen ist.
Systematische Aushöhlung der Demokratie, Aufwiegelung der Anhänger und Aufbau eines eigenen Medienimperiums: Trump überlässt nichts dem Zufall, um 2024 nochmals an die Macht zu kommen. Dabei hätte er durchaus Chancen, dies auch auf reguläre Art und Weise tun zu können. «Er denkt jedoch nicht einmal daran, dieses Risiko einzugehen», so Gellman.
Das Problem ist nicht Trump, sondern das Wahlsystem in der USA.