Die Welt rüstet auf, die Nato-Staaten ziehen mit. Einzelne werfen dabei sogar ihre gesamte Verteidigungsdoktrin über den Haufen. Der französische Präsident Emmanuel Macron offeriert Nachbarn wie Deutschland eine – noch nicht genauer definierte – Teilhabe an der nuklearen «Force de Frappe». Die französische Abschreckungsmacht verfügt über 290 Atomsprengköpfe.
Die andere europäische Atommacht, Grossbritannien, hat am Rande des Nato-Gipfels angekündigt, nuklearbestückte Kampfflugzeuge des Typs F-35A zu erwerben. Die zwölf US-Jäger sollen es der britischen Armee erlauben, ihre Atomsprengkörper nicht mehr nur von U-Booten abzuschiessen, sondern auch von taktisch einsetzbaren Flugzeugen.
Auf dem europäischen Kontinent planen die beiden EU-Schwergewichte Deutschland und Frankreich zusammen mit Spanien ein ganzes Luftverteidigungssystem (FCAS) mit Kampfjet, Drohnenschwarm und anderen KI-Elementen. Lanciert wurde es schon 2017 von Angela Merkel und Macron. Das 50 bis 80 Milliarden Euro teure technologische Spitzenprodukt soll die Kriegsführung von morgen bestimmen. Und vor allem soll es von Grund auf in Europa entwickelt werden, um eine totale Unabhängigkeit von US-Komponenten zu erreichen.
Acht Jahre nach der Lancierung des FCAS kommt das Projekt aber nur noch sehr mühselig voran. Die beiden Partner Dassault und Airbus Defence beanspruchen die Projektleitung. Eric Trappier, Chef des französischen Dassault-Konzerns, beklagte bei der jüngsten Luftfahrtmesse in Le Bourget bei Paris, dass sein Unternehmen «in der Minderheit» sei, obwohl es doch weltweit erfolgreiche Kampfjets wie Mirage und Rafale geschaffen habe.
Trappier behauptet, nur Dassault gewährleiste die technologische Unabhängigkeit der Force de Frappe, also Frankreichs. «Wenn das nicht möglich ist», fügte er kategorisch an, «wird das Projekt eingestellt.»
Der deutsche Vorsteher der Militärsparte von Airbus Defence and Space, Michael Schöllhorn, konterte in Le Bourget mit dem impliziten Vorwurf, Dassault wolle beim FCAS neu allein bestimmen. Bisherige Abmachungen umzustürzen, sei aber «nicht akzeptierbar».
Solche über die Medien ausgetauschten Nettigkeiten lasten schwer auf der Kooperation zwischen Deutschen und Spaniern einerseits und Franzosen andererseits. Uneinigkeit herrscht nicht nur über die zu fällenden Entscheide, sondern sogar über die Art der Entscheidungsfindung.
Ähnliche Missverständnisse prägen auch die Frage der Atomwaffen, die das FCAS bestücken sollen. Für Berlin bedeutet die «Teilhabe» an luftgestützten Einsätzen die Mitwirkung an Planung, Lagerung und Ausführung mit Einschluss deutscher Piloten. Für Paris geht eine Teilhabe aber viel weniger weit.
Die nationale Souveränität ist in Frankreich sakrosankt, und selbst ein Proeuropäer wie Macron muss Rücksicht nehmen auf Stimmen wie etwa der Rechtspopulistin Marine Le Pen, die keine Schraube der Force de Frappe mit anderen Ländern teilen würde.
Dassault und Airbus liegen sich nicht zum ersten Mal in den Haaren, und die politischen Instanzen in Berlin und Paris haben die Streithähne bisher noch immer zu einer Einigung veranlasst. Allerdings geht wertvolle Zeit verloren. Das FCAS-Projekt soll erst 2040 einsatzbereit sein. Bereits fünf Jahre zuvor, also 2035, soll ein Gegenprojekt der britischen BAE Systems, der italienischen Leonardo und der japanischen Mitsubishi stehen.
Ihr ähnliches Luftverteidigungssystem namens GCAP wurde später lanciert; dass es aber früher dienstbereit sein soll als das FCAS, spricht Bände über die Blockaden bei dem deutsch-französisch-spanischen Gegenprojekt.
Der französische Chef des gesamten Airbus-Konzerns, der Franzose Guillaume Faury, plädiert deshalb aus der Distanz für ein Zusammengehen von FCAS und GCAP. Das wäre sicher die vernünftigste Lösung: Nur eine so geballte europäische Schlagkraft könnte die Vorherrschaft der amerikanischen F-Serie brechen.
Dass sich national ausgerichtete Hersteller wie Dassault oder British Aerospace (heute BAE) zusammenraufen könnten, scheint aber momentan illusorisch. Fast ebenso unmöglich wie die Bildung einer einheitlichen europäischen Atommacht.