Pete Hegseth sucht einen Sündenbock für mutmassliche Kriegsverbrechen
Am 16. März 1968 töten amerikanische Soldaten in einem vietnamesischen Dorf 350 Menschen, die meisten davon Zivilisten und viele davon Kinder, Frauen und Alte. Das Massaker von My Lai gilt als das schlimmste Kriegsverbrechen der Amerikaner seit dem Zweiten Weltkrieg. Der verantwortliche Offizier, William Calley, wurde dafür vor ein Kriegsgericht gestellt und auch verurteilt, allerdings zu einer sehr milden Strafe (drei Jahre Hausarrest).
Was sich am 2. September 2025 im Karibischen Meer abspielte, hat zwar nicht die Dimension von My Lai, trotzdem hat der Angriff von Mitgliedern der US Navy Seals 6 auf ein kleines Boot die Diskussion um Kriegsverbrechen entfacht. Bei diesem Angriff sind zunächst neun Besatzungsmitglieder – angeblich alle Drogenschmuggler – getötet worden.
Zwei konnten sich jedoch auf die Wrackteile retten und schwammen hilflos im Meer. Sie wurden ein zweites Mal attackiert und ebenfalls getötet. Diese Tötungen lassen sich auf keinerlei Art und Weise rechtfertigen. Denn selbst in den internen Weisungen der US-Streitkräfte steht geschrieben, dass es unerlaubt ist, einem wehrlosen Gegner weiteren Schaden zuzufügen, ja man ist gar verpflichtet, ihm Erste Hilfe zu leisten.
Als die «Washington Post» die Vorgänge vom 2. September öffentlich machte, brach daher ein Sturm der Entrüstung los, insbesondere als bekannt wurde, dass Verteidigungsminister Pete Hegseth von dieser Aktion nicht nur wusste, sondern sie mit den Worten «Kill them all» ausdrücklich angeordnet hat.
Sollte sich das bewahrheiten, hat Hegseth nicht nur eine scheussliche Tat, sondern möglicherweise gar ein Kriegsverbrechen begangen. Selbst einigen Republikanern ist die Angelegenheit nicht mehr geheuer. Wahrscheinlich wird sich der Verteidigungsminister vor einem Untersuchungsausschuss rechtfertigen und dort unter Eid aussagen müssen.
Kein Wunder also, dass Hegseth kalte Füsse bekommt. Dass er den ersten Angriff befohlen hat, kann er nicht bestreiten, hat er doch bei Fox News damit geprahlt, die Aktion in Echtzeit mitverfolgt zu haben. Zudem hat dies Karoline Leavitt, die Sprecherin des Weissen Hauses, am Montag erneut ausdrücklich bestätigt. In ihrer Erklärung fügte sie indes hinzu, für den zweiten Angriff sei Admiral Frank M. Bradley zuständig gewesen, und dieser habe «innerhalb seiner Befugnisse und des Rechts» gehandelt.
Was sich wie eine Reinwaschung des Admirals anhört, lässt bei den Militärs die Alarmglocken schrillen. Wird hier einer der ihren zum Sündenbock gemacht? Will sich der Verteidigungsminister damit aus der Verantwortung schleichen?
Die Militärs sind zu Recht misstrauisch. Hegseth hat in seinem ersten Amtsjahr vor allem Mist gebaut. Er lässt sich zwar gerne im T-Shirt mit anderen Soldaten bei Liegestützen ablichten, im Pentagon hat er jedoch vornehmlich Chaos angerichtet. Seine Eitelkeit sorgt für Spott und Verachtung, beispielsweise als bekannt wurde, dass er für sich ein eigenes TV-Studio einrichten liess. Als Leistungsausweis kann er gerade mal den Grad eines Majors in der Nationalgarde vorweisen. Als er im Sommer alle amerikanischen Top-Generäle rund um den Erdball zusammenrief, bloss um ihnen zu erklären, sie seien zu dick, dürfte er damit wohl kaum ihre Herzen erobert haben.
Admiral Bradley hingegen gilt als Mustersoldat und Kriegsheld. Die Tatsache, dass er jetzt für die zweifelhafte Tat geradestehen soll, kommt deshalb bei den Militärs sehr schlecht an. «Jetzt werden wir unter den Bus geworfen», erklärte ein nicht genannter hoher Militär gegenüber der «Washington Post».
Nicht nur die Tötung von zwei Wehrlosen auf hoher See sorgt für grosse Aufregung. Bei den Aktionen gegen angebliche Drogenkuriere aus Venezuela sind bisher 83 Personen getötet worden. Diese Aktionen sind jedoch völkerrechtlich und verfassungsmässig umstritten. Grundsätzlich dürfen Soldaten keine zivilen Personen angreifen, selbst wenn es sich um Kriminelle handelt. US-Präsident Donald Trump hat die Aktionen seiner Soldaten in der Karibik denn auch kurzerhand zum «Krieg gegen die Drogenbanden» erklärt. Einen Krieg allerdings müsste er sich vom Kongress absegnen lassen. Das wiederum hat er bisher unterlassen.
Das Vorgehen entspricht jedoch den Idealen, die Hegseth seinen Militärs eintrichtert. Mehrfach hat er sie aufgefordert, sich einen Deut um Vorschriften zu kümmern und als furchterregende Killer-Maschinen zu agieren. All dies könnte ihm um die Ohren fliegen, wenn er dereinst vor einem Untersuchungsausschuss antraben muss. Das gilt als wahrscheinlich, denn auch republikanische Abgeordnete und Senatoren fordern dies mittlerweile.
Vom Präsidenten kann Hegseth kaum Unterstützung erwarten. Trump hat zwar erklärt, er glaube ihm und stehe «zu 100 Prozent hinter ihm». Doch das Gleiche sagen jeweils auch Fussball-Präsidenten vor der unmittelbaren Entlassung eines Trainers. Grundsätzlich will Trump von der Aktion nichts gewusst haben.
Die Affäre kommt für das Weisse Haus zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Im Verbund mit Fox News und anderen konservativen Medien hat Trump soeben eine Kampagne gegen sechs demokratische Senatoren und Abgeordnete lanciert. Es handelt sich dabei um ehemalige Soldatinnen und Soldaten und CIA-Agenten. Diese haben in einem Video die Angehörigen der Armee daran erinnert, dass sie das Recht haben, illegale Befehle zu verweigern. Für Trump haben sie damit angeblich «Landesverrat» begangen und sollten dafür mit dem Tod bestraft werden.
Speziell ins Visier genommen hat Trump dabei Mark Kelly, demokratischer Senator aus Arizona. Kelly ist jedoch auch ein echter Held. Als Jetpilot hat er Kampfeinsätze im Irak geflogen, als Astronaut war er im All. Dass nun ausgerechnet der Möchtegern-Rambo Hegseth den Helden Kelly vor ein Militärgericht zerren will, ist angesichts der jüngsten Enthüllungen nur noch peinlich.
Peinlich ist auch, dass Trump einen Krieg gegen Drogenbosse angezettelt hat – und gleichzeitig einen der schlimmsten Drogenbosse aller Zeiten, Juan Orlando Hernández, den ehemaligen Präsidenten von Honduras, begnadigen hat. Dieser sass eine Gefängnisstrafe von 45 Jahren ab, weil er geholfen hatte, mindestens 4000 Tonnen Kokain in die USA zu schleusen. Vielleicht sind die zahlreichen Gerüchte um die geistige und körperliche Gesundheit des Präsidenten doch mehr als nur Spekulationen.
