Am kommenden Donnerstag feiert die Kommunistische Partei Chinas (KPC) ihr hundertjähriges Bestehen. Sie hat eine ereignisreiche und teilweise tragische Geschichte hinter sich: Kriege – zuerst gegen die Japaner, dann gegen die Nationalisten und schliesslich gegen die Amerikaner in Korea – haben Millionen von Opfern gefordert. Maos fataler Irrtum in der Industriepolitik hatte geschätzte 60 Millionen Hungertote zur Folge, in der Kulturrevolution wurden ebenfalls Millionen Leben zerstört. 1989 schliesslich walzten Panzer der Volksarmee die Träume einer Demokratie blutig nieder.
Und trotzdem ist China heute eine aufstrebende Supermacht. Während die UdSSR nie mehr war als «eine Tankstelle mit Atomwaffen», wie ein Spötter einst bemerkte, ist es dem «Sozialismus mit chinesischen Charakteristika» gelungen, hunderte von Millionen Menschen aus tiefster Armut zu befreien. Die KPC kann sich rühmen, das wohl spektakulärste Wirtschaftswunder aller Zeiten bewerkstelligt zu haben. Chinas Volkswirtschaft ist heute die zweitgrösste der Welt und wird in absehbarer Zeit die amerikanische überflügeln.
Nach dem Fall der Berliner Mauer machte sich in den 90er-Jahren im Westen Selbstüberschätzung breit. Gestützt auf eine falsche Interpretation von Francis Fukuyamas Buch «Das Ende der Geschichte» schien das Rennen gelaufen: Die Kombination von Marktwirtschaft und Demokratie hatte den Kalten Krieg gewonnen und war somit das Muster für alle Nationen geworden. Es schien bloss eine Frage der Zeit zu sein, bis sich dies auch bis nach China herumgesprochen hatte.
Heute ist klar: China wird niemals das Modell des westlichen Liberalismus übernehmen. Stattdessen hat sich der chinesische Staatskapitalismus zu einer Alternative entwickelt, die zunehmend auf Bewunderung stösst.
Zwei Stimmen in der «Financial Times» bringen den Gegensatz zwischen Ost und West perfekt auf den Punkt. David Wang, ein Gelehrter in Peking, räumt zwar die teils katastrophalen Fehler der KPC in der Vergangenheit ein. Trotzdem kommt er zum Schluss:
Wu Qiang, ein ehemaliger Professor an der Tsinghua University in Peking, hingegen warnt:
Auf den ersten Blick hat Präsident Xi Jinping alles im Griff. Mit regelmässigen Anti-Korruptions-Programmen hält er die KPC auf Trab. Das kommt bei seinen Landsleuten sehr gut an. «Die KPC erfreut sich einer immensen Popularität», stellt Wang Jisi im Magazin «Foreign Affairs» fest. «Ihre Macht ist unerschütterlich.» Jisi ist Präsident des Institute of International and Strategic Studies (IISS) an der Universität von Peking.
Als Beweis für die Überlegenheit wird gerne die Bekämpfung der Coronakrise ins Feld geführt. Das Virus ist zwar in China ausgebrochen. Dank dem raschem und energischen Handeln der KPC hat es im Reich der Mitte bisher jedoch weniger als 5000 Tote gefordert. Hingegen haben die Inkompetenz und das Chaos der Trump-Regierung in den USA dazu geführt, dass inzwischen mehr als 600’000 Amerikanerinnen und Amerikaner an Covid-19 gestorben sind.
2008 hatte die Finanzkrise schon die Schwächen der Marktwirtschaft und die Heuchelei der liberalen Ökonomen schonungslos aufgedeckt. Nochmals Jisi:
Inzwischen macht sich jedoch auch in China Selbstüberschätzung breit. Präsident Xi wähnt sich im Ringen der Supermächte bereits als Sieger. «Die Welt steht vor beispiellosen Turbulenzen», erklärte er jüngst vor einer Gruppe hoher Parteifunktionäre. «Die Zeit und das Momentum stehen dabei auf der Seite Chinas.»
Das wird sich zeigen müssen. Xi hat auch grosssprecherisch angekündigt, China werde bald die führende Nation in Sachen künstlicher Intelligenz sein. Gestützt auf einen IISS-Bericht meldet nun jedoch die «Financial Times», dass Chinas Cyper-Technologie noch mindestens zehn Jahre Rückstand auf die amerikanische aufweist.
Vor allem jedoch haben die USA einen riesigen Vorteil in Sachen Soft Power. Amerikanische Unterhaltung und Universitäten sind weltweit nach wie vor den chinesischen weit überlegen. Dazu kommt, dass die Trump-Ära paradoxerweise auch die Stärke der westlichen Demokratie bewiesen hat. Der 45. Präsident hat zwar alles unternommen, seinen autoritären Vorbildern Putin und Xi nachzueifern. Am Schluss musste er das Weisse Haus mit eingezogenem Schwanz verlassen.
Derweil sieht sich Präsident Xi bereits in der Tradition von Mao und Deng Xiaoping: Er hat die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass er auf Lebenszeiten Präsident bleiben kann. Er hat bisher keinen Nachfolger aufgebaut und er geniesst immer offensichtlicher den Kult, der um seine Person veranstaltet wird.
Xi setzt damit das Kapital der KPC auf eine einzige Karte, auf seine Person. «Schlussendlich mag Xi Recht behalten mit seiner These, wonach das nächste Jahrzehnt den langfristigen Erfolg Chinas entscheiden wird,» stellt Jude Blanchette vom IISS im «Foreign Affairs» fest. «Was er wahrscheinlich nicht begriffen hat, ist die Tatsache, dass er selbst das grösste Hindernis für diesen Erfolg sein kann.»