Der Bundesstaat New Jersey wird gelegentlich der «Kanton Aargau der Vereinigten Staaten» genannt, denn sein Verhältnis zu New York ist ähnlich wie dasjenige der Aargauer zu Zürich. Doch es gibt einen Unterschied: New Jersey ist stolz auf seine Blue-Collar-Tradition, seine Verwurzelung in der Arbeiterklasse. Bruce Springsteen besingt sie, die Mafia-Kult-Serie «Sopranos» beschreibt sie – und Chris Christie verkörpert sie.
Der ehemalige Gouverneur ist nicht nur körperlich eine Wucht, er ist auch jemand, der kein Blatt vor den Mund nimmt und der keiner Auseinandersetzung aus dem Weg geht. Er ist aggressiv, schlagfertig, aber auch sehr intelligent. Dank dieser Qualitäten ist es ihm in den Nullerjahren gelungen, als Republikaner im traditionell «blauen» New Jersey zum Gouverneur gewählt zu werden. Mehr noch: Er wurde zu einem Schwergewicht der nationalen Politik.
2012 hätte Christie gute Chancen gehabt, Präsidentschaftskandidat der Grand Old Party (GOP) zu werden. Doch der heute 60-Jährige wähnte sich im Glauben, noch genügend Zeit zu haben. Er verzichtete mit der Absicht, 2016 als erfolgreicher Gouverneur anzutreten. Das ging in die Hosen, und zwar gründlich. In seiner zweiten Amtszeit als Gouverneur vermasselte Christie so ziemlich alles, was man vermasseln kann.
Zunächst wurde er in einen üblen Skandal verwickelt. Chefbeamte seiner Verwaltung sperrten aus Rache gegen einen demokratischen Bürgermeister absichtlich eine Strassenspur über eine Brücke und verursachten so gewaltige Verkehrsstaus. Das kam sehr schlecht an. Nachdem der Hurrikan Sandy auch in New Jersey grosse Verwüstungen angerichtet hatte, umarmte Christie den zu Hilfe geeilten Präsidenten Barack Obama und verärgerte damit die Republikaner.
Christies Popularität rasselte in den Keller. Trotzdem kandidierte er 2016 für das Amt des Präsidenten. Er blieb chancenlos. Immerhin gelang es ihm jedoch, Marco Rubio aus dem Rennen zu kicken. Der Senator aus Florida wurde zu Beginn der Ausmarchung noch als möglicher Favorit gehandelt. Christie machte ihn in einem TV-Duell mit zwei wohlplatzierten Wortschlägen zur Schnecke.
Nachdem der Ex-Gouverneur erkannt hatte, dass auch ihm die Felle davon geschwommen waren, wechselte er ins Lager von Donald Trump. So richtig glücklich wurde er dort jedoch nie. Er erhielt für seine Unterstützung weder das Amt des Justizministers, für das er als ehemaliger Staatsanwalt bestens geeignet gewesen wäre, noch irgendeine andere bedeutende Position im Kabinett von Trump. Stattdessen wurde er damit abgespeist, den Übergang von der Obama-Regierung zu organisieren.
Zudem wurde Christie von seinem vermeintlichen Kumpel Trump nicht nur mit zweitrangigen Posten abgespeist, er wurde von ihm gar verhöhnt. Er müsse weniger Oreos essen, wurde er vom Ex-Präsidenten in Anspielung auf seine Körperfülle vor laufenden Kameras ermahnt. Oreos sind sehr beliebte, aber auch sehr kalorienhaltige Kekse. Zudem hatte Christie auch mit dem Handicap zu kämpfen, dass er einst als Staatsanwalt den Vater von Jared Kushner in den Knast gebracht hatte.
Jetzt jedoch scheint Christies Stunde der Rache geschlagen zu haben. Er kandidiert nicht nur erneut für die Republikaner für das Amt des Präsidenten, er greift dabei seinen ehemaligen Pseudo-Kumpel frontal an. Er bezeichnet Trump nun als eine «Marionette von Putin» und wirft ihm vor, er sei zu feige, um sich den kommenden TV-Duellen zu stellen.
Christie spielt voll auf den Mann. «Seid auf der Hut vor einem Führer, der vorgibt, noch nie einen Fehler gemacht zu haben, und der, sollten Fehler passieren, anderen die Schuld in die Schuhe schiebt», erklärte er in seiner Rede zur offiziellen Verkündigung seiner Kandidatur und fügte in Anspielung auf Trump hinzu: «Er ist ein einsamer, mit sich selbst beschäftigter Mann, der meist nur in den Spiegel guckt. Er ist kein Führer.»
Als Racheengel sieht sich Christie jedoch nicht. «Ich greife Trump aus zwei Gründen an», sagt er. «Erstens, weil er es verdient, und zweitens, weil dies der Pfad zum Sieg ist.»
Tatsächlich unterscheidet sich der ehemalige Gouverneur deutlich von Ron DeSantis, Nikki Haley & Co. Diese schrecken nach wie vor davor zurück, den Ex-Präsidenten offen zu kritisieren. Auch Mike Pence, der endlich ebenfalls seine Kandidatur offiziell verkündet hat, hält sich zurück. Der ehemalige Vize-Präsident tritt zwar gegen seinen ehemaligen Boss an – etwas, das es in der amerikanischen Geschichte noch nie gegeben hat –, er tut dies jedoch auf äusserst zurückhaltende Art und Weise.
Für die inzwischen zahlreichen Kandidaten der GOP ist Christie so ein willkommener Rammbock. Sie hoffen, dass der Ex-Gouverneur Trump wie einst Senator Rubio grossen Schaden zufügen kann und auf diese Weise ihre Chancen erhöhen wird. Christie selbst sieht dies anders. «Ich bin kein Berufskiller», stellt er klar und ist überzeugt, dass nur, wer Trump offen angreift, sich Chancen aufs Weisse Haus ausrechnen kann.
Beim aktuellen Stand der Dinge steht diese These jedoch auf sehr wackligen Füssen. Christie ist bei der Basis der GOP unbeliebt, und die Demokraten haben nicht vergessen, wie er sie seinerzeit in New Jersey in den Regen gestellt hat. Daher muss er auf die unabhängigen Wähler zählen, eine mehr als unsichere Wette. Und vor allem muss Christie zuerst 40’000 Kleinspender finden, die es braucht, um überhaupt an den kommenden TV-Duellen teilnehmen zu können.
Gefühlt nimmt er immer den einfachsten Weg. Sollte dieser Weg aber zu steinig werden, weicht er aus. Noch attackiert er Trump. Sollte dies aber nicht klappen, wird er wieder eine Ausweichroute nehmen.
Er macht es nicht, weil er Wahrheiten aussprechen will, sondern er macht es, weil er in Moment glaubt, dass dies der einfachste Weg ist.
Das hat er ja (wie im Artikeln erwähnt) ja auch indirekt zugegeben.