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Hunter Bidens Begnadigung: Was sie für den US-Rechtsstaat bedeutet

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War's das mit dem US-Rechtsstaat?

Die Begnadigung von Hunter Biden ist menschlich verständlich – und politisch verheerend.
02.12.2024, 13:3902.12.2024, 17:31
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Zwei Dinge aus Übersee haben am Wochenende für Schlagzeilen gesorgt: Joe Biden begnadigt seinen Sohn Hunter und Donald Trump will Kash Patel als neuen FBI-Chef installieren. Vordergründig haben die beiden Dinge nichts miteinander zu tun, hintergründig eine ganze Menge. Aber der Reihe nach:

Die Saga von Hunter Biden und seinem «Laptop aus der Hölle» verfolgt uns seit Jahren. Kurz zusammengefasst, geht es um Folgendes: Hunter ist der zweite Sohn von Joe Biden und in mancher Hinsicht eine tragische Figur. Seine Mutter und seine Schwester verstarben früh in einem Autounfall, sein älterer Bruder Beau, der Vorzeige-Sohn der Familie, erlag 2015 an einem Hirntumor.

Hunter entwickelte sich in der Folge zum schwarzen Schaf in der Biden-Familie. Er liess sich für ein fürstliches Honorar in den Verwaltungsrat eines ukrainischen Erdgas-Unternehmens wählen, obwohl er keine Ahnung von Gas und der Ukraine hatte. Privat stürzte er vollkommen ab. Er war schwer cracksüchtig, seine Ehe zerbrach.

FILE - President Joe Biden, wearing a Team USA jacket and walking with his son Hunter Biden, heads toward Marine One on the South Lawn of the White House in Washington, July 26, 2024. (AP Photo/Susan  ...
Vater und Sohn Biden.Bild: keystone

Er verkehrte mit Prostituierten und fotografierte seine im Drogenrausch begangenen sexuellen Eskapaden auch noch. Die Bilder sammelte er auf seinem Laptop, zusammen mit E-Mails von anderen Geschäften, die nicht über alle Zweifel erhaben waren. Diesen Laptop brachte er einst zur Reparatur in einen Computerladen, vergass jedoch, ihn wieder abzuholen. Der Inhaber dieses Computerladens öffnete den Laptop, erkannte seinen brisanten Inhalt und leitete ihn an Rudy Giuliani weiter, den damaligen persönlichen Anwalt von Donald Trump.

Giuliani wollte den «Laptop aus der Hölle» zum zentralen Thema des Wahlkampfes 2020 machen. Er scheiterte, weil das FBI der Sache nicht traute und von einem Versuch der Russen sprach, erneut die Wahlen zugunsten von Trump zu manipulieren. Auch das zumindest im Newsteil seriöse «Wall Street Journal», zu dem Giuliani mit dem Laptop eilte, winkte ab.

Das Revolverblatt «New York Post» hingegen griff zu und machte eine Riesenstory daraus. Sie verpuffte jedoch weitgehend, weil sich Twitter und Facebook weigerten, sie in ihrem Newsfeed aufzunehmen. Bis heute heulen die Republikaner herum, dass dies der Grund gewesen sei, weshalb Trump die Wahlen verlor.

Former New York Mayor Rudy Giuliani speaks to the media as he leaves court in New York, Thursday, Nov. 7, 2024. (AP Photo/Seth Wenig)
Rudy Giuliani
Wollte Hunters-Laptop für politische Zwecke einsetzen: Rudy Giuliani.Bild: keystone

Anyway, die Sache war damit noch längst nicht gegessen. Ein noch von Trump im Bundesstaat Delaware eingesetzter Staatsanwalt untersuchte die Hunter-Laptop-Affäre bis ins Detail, kam jedoch zum Schluss, dass keine nennenswerten Straftaten vorliegen. Es waren letztlich zwei Dinge, die Hunter Biden zur Last gelegt werden konnten: Er hatte, als er noch kokainsüchtig war, eine Waffe erworben und dabei seine Sucht verschwiegen. Ein Vergehen, das in den waffenverrückten USA in der Regel mit einer Rüge abgetan wird. Und er war mit seinen Steuerzahlungen im Verzug, auch das ein Vergehen, das in der Regel nicht strafrechtlich verfolgt wird.

Deshalb kamen der Staatsanwalt und Hunters Anwälte zu einem Vergleich, bei dem der Biden-Sohn mehr oder weniger ungeschoren davongekommen wäre. Eine konservative Richterin liess diesen Vergleich jedoch platzen und verschaffte so den Republikanern, die inzwischen die Mehrheit im Abgeordnetenhaus errungen hatten, und Fox News die Gelegenheit, einen riesigen Medienwirbel zu veranstalten.

Inhaltlich förderte dieser Wirbel nichts Neues zutage, doch er hatte zur Folge, dass Hunter vor einem Geschworenengericht antreten musste. Dieses Gericht sprach ihn schuldig, und das amerikanische Rechtssystem erlaubt es, dass er nun zu einer Strafe von bis zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt werden kann.

Joe Biden hatte versprochen, sich nicht in das Strafverfahren gegen seinen Sohn einzumischen. Er wollte damit beweisen, dass er sich an die für den Rechtsstaat so wichtige Trennung von Politik und Justiz halten wollte. Jetzt hat er dieses Versprechen gebrochen. Menschlich ist dies verständlich, denn obwohl Hunter Biden alles andere als ein Unschuldsengel ist, ist die politische Hetze gegen ihn völlig ausser Rand und Band geraten.

Noch-Präsident Biden rechtfertigt denn auch die Begnadigung seines Sohnes mit den Worten: «Jede vernünftige Person, die sich die Fakten vor Augen hält, muss zur Schlussfolgerung kommen, dass Hunter in Visier genommen wurde, weil er mein Sohn ist – und das ist nicht in Ordnung.»

Joe Biden und die Begnadigungsfrage: Dieses Video zählt alle «Neins»

Video: watson/nico bernasconi

Zu erwähnen sei hier noch: Joe Biden ist nicht der erste Präsident, der ein Familienmitglied begnadigt hat. Bill Clinton hat dies mit seinem Bruder getan, Donald Trump mit dem Vater seines Schwiegersohns.

Trotzdem ist Bidens Entscheid – so verständlich er menschlich ist – politisch eine Katastrophe. Und damit sind wir bei Kash Patel angelangt.

Patel ist ein ehrgeiziger Jurist, der um jeden Preis Karriere machen will. Der mittlerweile 44-Jährige war für kurze Zeit im Justizministerium tätig und spielte dort eine unbedeutende Rolle im Fall Bengasi. In dieser libyschen Hafenstadt überfielen Terroristen im September 2012 das amerikanische Konsulat und töteten dabei die vier Amerikaner, darunter den Botschafter. Die Republikaner versuchten diesen Fall zum Versagen von Hillary Clinton hochzustilisieren – sie war damals US-Aussenministerin – und veranstalteten Hearings ohne Ende, die jedoch ergebnislos blieben.

FILE - Former Pentagon Chief of Staff Kash Patel waves to the crowd as he speaks during the Conservative Political Action Conference, CPAC 2024, at the National Harbor, in Oxon Hill, Md., Friday, Feb. ...
Soll FBI-Direktor werden: Kash Patel.Bild: keystone

Später trat Patel in die Dienste von Devin Nunes. Dieser war damals republikanischer Abgeordneter und Vorsitzender des für Geheimdienste zuständigen Ausschusses. Heute leitet Nunes Truth Social, die soziale Plattform von Trump.

Patel ist ein bedingungsloser Trump-Loyalist. Er unterstützt die Big Lie und hat mehrfach gedroht, die politischen Feinde des gewählten Präsidenten mit allen möglichen Mitteln zu verfolgen. So erklärte er im vergangenen Jahr im Podcast von Steve Bannon: «Wir werden diejenigen in den Medien verfolgen, welche das amerikanische Volk angelogen haben, die Joe Biden geholfen haben, die Wahlen zu manipulieren – und die uns verfolgt haben. Ob mit Mitteln der Justiz oder mit zivilen Mitteln, wir werden Wege finden.»

Für Trump ist Patel die ideale Waffe in seinem angekündigten Vergeltungs-Rachezug. Er kann damit rechnen, dass Patel seine Drohungen wahr machen wird und Trumps politische Gegner ohne Rücksicht auf das Recht verfolgen wird. Zudem wird Patel auch das von Trump gehasste FBI von allen Mitgliedern säubern, die auch nur im Entferntesten im Verdacht stehen, «woke» Sympathien zu hegen.

Sollte der Senat die Nomination von Patel zum neuen FBI-Chef bestätigen, wäre dies ein schwerer Schlag gegen den Rechtsstaat. Mit der Begnadigung seines Sohnes hat Joe Biden den Republikanern eine Steilvorlage geliefert, mit der sie diese Nomination rechtfertigen können. Mit der gleichen Rechtfertigung kann Trump jetzt auch die Anführer des geplanten Staatsstreichs vom 6. Januar 2021 legitimieren.

Nicht nur der amerikanische Rechtsstaat ist in Gefahr. Der Kolumnist David Brooks weist in der «New York Times» darauf hin, dass sich in seinem Land ein Paradigmenwechsel in Sachen Moral abzeichnet. Was meint er damit?

Die Moral eines anständigen bürgerlichen Politikers unterscheidet sich grundsätzlich von derjenigen eines MAGA-Vertreters. «Menschen, die ich als anständig und bewundernswert betrachte, betrachten die MAGA-Vertreter als schändlich, und die Personen, die ich als korrupt und egoistisch einschätze, sind für die MAGA-Vertreter Helden», stellt Brooks fest.

FILE - Mitt Romney smiles during a campaign event, June 20, 2018, in American Fork, Utah. (AP Photo/Rick Bowmer, File)
Mitt Romney
Beispiel der alten Moral: Mitt Romney.Bild: keystone

Als Beispiel für einen typisch anständigen Politiker nennt Brooks Mitt Romney. Dieser verhält sich nach den Normen der bürgerlichen Moral und respektiert die staatlichen Institutionen. Der typische MAGA-Held hat ganz andere Eigenschaften. «In dieser Moral ist der tugendhafte Mann selbstbewusst, kämpferisch, übergriffig und rachsüchtig. Er scheut sich nicht, die bestehenden Regeln zu brechen und seine eigenen Schlussfolgerungen zu ziehen» so Brooks. «Er verachtet die Institutionen und ist gerne bereit, sie zu zerschlagen. Der Zorn der Elite kümmert ihn nicht, im Gegenteil, er unternimmt alles, um diesen Zorn hervorzurufen.»

In der zweiten Amtszeit von Trump droht ein fundamentaler Angriff auf den Rechtsstaat, eine Politisierung der Justiz, der Biden mit seiner Begnadigung Vorschub geleistet hat. Und es droht der Triumph einer neuen Moral, wie wir sie bereits aus autoritären Staaten wie Russland kennen. Werden die bestehenden «checks and balances» diesem Sturm standhalten können?

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Joe Biden - sein Leben in Bildern
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Joe Biden - sein Leben in Bildern
1942 wird im US-Bundesstaat Pennsylvania ein Bub geboren, der später zu höchsten politischen Weihen gelangen sollte: Joseph Robinette Biden, genannt «Joe». Joe ist eines von vier Kindern, die Bidens eine Arbeiterfamilie.

Bild: Präsidentschaftskampagne Joe Biden.
quelle: https://joebiden.com/joes-story/
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Donald Trump und Joe Biden treffen sich in Washington
Video: watson
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194 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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banda69
02.12.2024 13:53registriert Januar 2020
«Er verachtet die Institutionen und ist gerne bereit, sie zu zerschlagen. Der Zorn der Elite kümmert ihn nicht, im Gegenteil, er unternimmt alles, um diesen Zorn hervorzurufen.»

Unter dem Vorwand die Elite zu bekämpfen, bekämpfen diese verlogenen Rechtspopulisten das gemeine Volk und rauben es hemmungslos zu ihren Gunsten aus.

Und ja. Rechtspopulisten schaden.
Immer. Und überall.
17839
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Der Micha
02.12.2024 13:57registriert Februar 2021
"War's das mit dem US-Rechtsstaat?"

Das Strafrecht in der USA kann man spätestens mit der Ernennung der konservativen Richter im Supreme Court kritisieren und hinterfragen.

Die Begnadigung Bidens kam für mich zwar überraschend, aber dies ändert nichts am jetzigen Zustand des Strafrechts.
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Meierli
02.12.2024 15:21registriert November 2019
Charlie Kushner, Paul Manafort, Roger Stone, Margaret Hunter, Topeka Sam, James Batmasian, John Boultbee, Peter Atkinson, Mark Shapiro, Irving Stitsky, John Tate, Jesse Benton, Gary Brugman, Mary McCarty, Christopher Wade.

Alle haben eins gemeinsam, Trump hat sie begnadigt. Und das ist nur ein kleiner Teil von hunderten.

Lasst mal die Kirche im Dorf...
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