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Personenkult um Sahra Wagenknecht: Das macht sie so erfolgreich

epa10934022 German left-wing politician Sahra Wagenknecht talks to the media after presenting plans for a new political project called 'Alliance Sahra Wagenknecht' in Berlin, Germany, 23 Oct ...
Die deutsche Politikerin und Putin-Versteherin Sahra Wagenknecht will ihre eigene Partei gründen.Bild: keystone
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Personenkult um Sahra Wagenknecht: Das macht sie so erfolgreich (und gefährlich)

04.11.2023, 22:3505.11.2023, 13:48
Laura Czypull / watson.de
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Von einer friedlichen Trennung kann man beim Parteiaustritt von Sahra Wagenknecht aus der Linken sicher nicht sprechen, eher von einem geräuschvollen Abgang mit Türenknallen.

Neun weitere Abgeordnete hat die Politikerin mitgenommen. Ihre Gefolgschaft. Teil der Fraktion wollen sie vorerst bleiben. Darüber stimmt die Linke laut «Zeit»-Informationen aus Fraktionskreisen in der ersten Novemberhälfte ab.

Laut RND, das ebenfalls aus Fraktionskreisen zitiert, ist ein Verbleib der zehn Abgeordneten in der Fraktion eher unwahrscheinlich. Damit würde die Bundestagsfraktion der Linken stark dezimiert. Bislang ist von einer Rückgabe der Mandate durch die Wagenknechtler nämlich keine Rede. Stattdessen muss die Linke wohl sogar um ihren Fraktionsstatus bangen.

Wagenknecht währenddessen plant nun Grosses mit ihrem Namen: Sie will 2024 eine eigene Partei gründen. «Bündnis Sahra Wagenknecht» soll die voraussichtlich heissen. Es klingt wie ein Personenkult.

Ihre Worte polarisieren, sie ziehen offenbar genug Menschen in ihren Bann. «Die Geschichte der Linken seit der Europawahl 2019 ist die Geschichte eines politischen Scheiterns», erläutert Wagenknecht in einem Schreiben zu ihrem Parteiaustritt. Sie würde allerdings «ohne Groll und ohne Nachtreten» gehen, steht ein paar Absätze weiter. Ein Widerspruch.

Trotzdem: Wie schafft es Wagenknecht, die Menschen hinter sich zu versammeln?

Der Medienstar Wagenknecht – «eine bipolare Populistin»

«Wagenknecht benutzt den kompletten Werkzeugkasten populistischer Rhetorik», meint Politik- und Kommunikationsberater Johannes Hillje auf Anfrage von watson. «Sie polarisiert, emotionalisiert, provoziert. Wagenknecht verbindet linken mit rechtem Populismus, sie ist eine bipolare Populistin.»

From left, Lukas Schoen, Amira Mohamed Ali, Sahra Wagenknecht, Ralph Suikat and Christian Leye arrive for a news conference to announce the founding of a precursor to a new party in Berlin, Germany, M ...
Sahra Wagenknecht (Mitte) mit Mitstreitern. Das Medieninteresse ist gross.Bild: keystone

Wagenknecht ist vor allem ein Medienstar. In den vergangenen zehn Jahren war sie immer wieder auf Platz eins der am häufigsten geladenen Talkshow-Gäste. Der Grund: ihre schlagfertigen Antworten auf ökonomische Fragen, die Inszenierung als Reinkarnation von Rosa Luxemburg und natürlich der Kontakt zur richtigen Zeit zu den richtigen Menschen.

Die Ex-Linke erlangte in den vergangenen Jahren die Superkraft der Gesichtsbekanntheit. Wer sie einmal hat, wie etwa Jens Spahn (CDU) oder auch Publizistin Marina Weisband (Grüne), wird immer wieder zu Talkshows eingeladen. Denn die Zuschauer:innen bleiben eher hängen, wenn sie beim Durchzappen ein bekanntes Gesicht entdecken.

Hillje bestätigt:

«Wagenknechts Erfolg beruht auf ihrer medialen Sichtbarkeit, nicht auf ihrem politischen Gewicht. Ihre rhetorischen Fähigkeiten nützen ihr, um Menschen bei Reden oder in Talkshows für sich zu gewinnen. Populistische Rhetorik arbeitet mit Feindbildern, kann daher auch die Gegenseite mobilisieren.»

Auf den Punkt gebracht, gelang ihr all das als linke Kritikerin mit ökonomischer Kompetenz. Ein Feld, in dem sie nahezu keiner Konkurrenz ausgesetzt war.

So könnte es nun auch für Wagenknechts künftige Partei aussehen.

Wagenknecht könnte Kluft zwischen Linke und AfD schliessen

«Wagenknechts Rhetorik ist geprägt von eingängigen Dualismen wie ‹Gut gegen Böse›, ‹Volk gegen Elite› oder ‹Arm gegen Reich›», sagt Hillje. «Einfache Antworten auf komplexe Fragen machen sie attraktiv», schliesst er.

Sie wirft der Linkspartei etwa «fehlende Konzentration auf soziale Gerechtigkeit und Frieden» vor, erzählt anhand dessen die Geschichte ihrer «Ausgrenzung». Dabei hätten sie und die anderen ausgetretenen Abgeordneten sie doch «angemahnt, dass die Fokussierung auf urbane, junge, aktivistische Milieus unsere traditionellen Wähler vertreibt».

Bislang gilt Wagenknecht als Alternative für Wut, Zorn, Protest – und in Talkshows als Alternative zum Faschisten Björn Höcke (AfD). Aktuelle Umfragen zum möglichen Erfolg ihrer Partei sind stark widersprüchlich. Eines haben sie jedoch gemein: Jede Berichterstattung darüber framet die künftige Partei als Protestpartei (nicht ganz zu Unrecht).

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Björn Höcke ist Thüringer AfD-Fraktionschef. Unter ihm gilt die Partei als rechtsextrem.Bild: EPA

Laut der Forschungsgruppe um die Politikwissenschaftlerin Sarah Wagner hätte eine Sahra-Wagenknecht-Partei das Potenzial, «die Kluft zwischen der Linken und der AfD zu überbrücken». Denn:

«Während Wagenknechts wirtschaftlich linke Positionen grösstenteils mit ihrer Partei übereinstimmen, versetzen sie ihre kulturell rechten Vorlieben in eine einzigartige und unbesetzte Position in der deutschen Politik.»

Damit könnte Wagenknecht sowohl klassische Sozialdemokraten als auch Konservative überzeugen. Die Forschungsgruppe betitelt diese Wahllücke als «linksautoritär». Also eine klassische linke Idee der Verteilungsgerechtigkeit in Verbindung mit dem gesellschaftlich Konservativen statt Progressiven, wie mehr Umweltschutz oder liberaler Migrationspolitik. Wagenknecht selbst spricht vom «Linkskonservatismus».

Ihre Absichten ähneln einer derzeit zentralen Erzählung von Konservativen bis (extremen) Rechten: Die Unzufriedenheit der Menschen beruht nicht etwa auf der Klimakrise, sondern den Vorschlägen zu ihrer Bekämpfung. Nicht auf der Diskriminierung von Minderheiten, sondern deren Empörung darüber. Nicht auf einer gescheiterten Migrationspolitik, sondern den Geflüchteten selbst.

Wagenknecht steht trotz erfolgreicher Rhetorik vor Problemen

Man dürfe dabei allerdings nicht vergessen, dass Menschen am Ende nicht nur eine Person wählen, sondern auch ein Programm – «daran könnte Wagenknecht scheitern», sagt Johannes Hillje. Und: «Wagenknecht ist mehr Marke als Partei. Bisher überzeugt sie nicht durch konkrete Programmatik, sondern durch Personenkult.»

Die Medienmaschine Wagenknecht arbeitete vor allem Anfang der 10er-Jahre unermüdlich und effizient. Auf Dauer aufrechterhalten konnte sie diesen Erfolg jedoch nicht. Als Massnahmenkritikerin der Corona-Pandemie war sie weniger präsent als in ihrer Rolle als linke Ökonomiekritikerin. Anfang des Jahres rief sie dann gemeinsam mit der umstrittenen «Emma»-Herausgeberin Alice Schwarzer zu Friedensverhandlungen mit Russland auf.

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Alice Schwarzer (v. l.) und Sahra Wagenknecht initiierten Anfang des Jahres den «Aufstand für Frieden».Bild: keystone

Ein Aufschrei – davon blieb jedoch realpolitisch wenig übrig. Und das ist ebenfalls die Herausforderung, vor der Wagenknecht nun mit ihrer Partei stehen könnte: Kurzfristig könnte sie grosse Wählerschaften anziehen. Wenn sie die Basis allerdings nicht mobilisiert bekommt, könnte das langfristig zu ihrem Scheitern führen.

Wagenknecht – eine narzisstische Populistin?

Und noch ein weiterer, nicht ganz unwesentlicher Punkt könnte Wagenknecht Probleme bereiten: die Namensgebung ihrer künftigen Partei – «Bündnis Sahra Wagenknecht». Zwar soll der nicht von Dauer sein, zunächst wolle sie so aber Wähler:innen gewinnen, erklärte sie.

«Es handelt sich um eine Personality-Partei, die von einem Medienhype lebt. Der Name der Partei steht stellvertretend für die Hyperpersonalisierung», meint Hillje.

Dieses Trimmen einer Partei auf eine einzige Person wirkt unüblich für Deutschland. Doch wir erinnern uns an Gerhard Schröder (SPD) – er stieg auf, weil er in Medien und Bevölkerung populär wurde. Es gibt also schon lange Potenzial für charismatische Populist:innen. Allerdings kaperte Schröder, im Gegensatz zu Wagenknecht, damit seine eigene Partei.

Hillje stellt der Wagenknecht-Partei ein pessimistisches Zeugnis aus: «Eine Partei, die von einer Person abhängt, kann nicht dauerhaft überleben. Die Hyperpersonalisierung der Wagenknecht-Partei könnte schon bald zum Problem werden.»

Konkret bedeutet das: Wagenknecht könne beispielsweise nicht bei Europa- und Landtagswahlen gleichzeitig antreten, das müssten andere Personen übernehmen. «Die Projektionsfläche der Wagenknecht-Partei wird durch mehr Personal und mehr Programmatik schrumpfen.» Hillje warnt jedoch auch: «Die aktuellen Umfragen sind mehr Wahrsagerei als Wissenschaft, weil noch viele Aspekte der Partei unklar sind.»

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154 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Snowy
04.11.2023 23:51registriert April 2016
Die guten Umfragewerte sind nicht in erster Linie der Bekanntschaft Sahra Wagenknechts geschuldet, sondern dem Umstand, dass es offensichtlich viele Menschen links der Mitte gibt, welche migrationskritisch sind.

Offensichtlich gibt es hier ein echtes Wählerbedürfnis.
Zu Recht.

Als linker Mensch wünsch ich mir unbedingt eine ähnliche Bewegung für die Schweiz.
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FrancoL
04.11.2023 23:42registriert November 2015
Links-reaktionär würde es weit besser treffen, als Links-konservativ.
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Mupfele
05.11.2023 07:52registriert August 2020
Die Menschen fallen immer wieder auf die gleichen Rattenfänger/innen rein. Schuld sind mangehafte Bildung, schlechte soziale und wirtschaftliche Verhälntnisse. Eine Demokratie muss immer daran arbeiten, die Kluft zwischen arm und reich nie allzu sichtbar werden zu lassen: das bedeutet, in einer Demokratie muss es auch dem Armen möglich sein gut zu leben und Bildung zu erlangen - sonst wird eine Demokratie über kurz oder lang zerstört. Deutschland ist leider wohl auf dem Weg in eine kaputte Demokratie. Zu lange hat der Staat die grossen sozialen Probleme verdrängt.
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