So werden Europäer auf Dating-Apps betrogen – und wer dahintersteckt
Wenn wir den Begriff «Betrug» oder «Scam» hören, denken viele an eine einzige Person, die irgendwo in einem Kellerzimmer sitzt und über illegale Wege versucht, an Geld zu kommen. Doch hinter den sogenannten «Lovescams» steckt etwas ganz anderes. Ein ausgeklügeltes System und weit mehr als eine einzige Person.
Mit der wachsenden Aufmerksamkeit für die Betrüger verbessern sich auch ihre Tricks und die Hinterlistigkeit. Im südostasiatischen Land Myanmar gibt es ganze Häuserkomplexe, um nicht zu sagen Städte, in denen Scammer arbeiten.
«Scamfabriken»
Entlang der Grenze von Thailand und Myanmar stehen schätzungsweise 26 sogenannte «Scamcompounds». Reihen von Häusern und Überbauungen, die knapp hinter der Grenze von Myanmar und Thailand stehen. Hier leben und arbeiten die Scam‑Arbeiter.
Sie sitzen an Laptops und chatten mit ihren Opfern. Meist tun sie dies über Datingplattformen. Die Menschen, die von ihnen gescammt werden, werden nach klaren Schemata ausgesucht. Die Scammer suchen über die Datingplattformen gezielt nach Menschen aus Europa, mit weisser Hautfarbe und aus einer bestimmten Altersgruppe. Nicht zu alt, also noch keine Senioren, aber im besten Fall mit einem finanziellen Polster.
Auf den Datingplattformen suchen die Scammer gezielt nach Männern und Frauen, die schon lange nicht mehr in einer Beziehung waren. Dann beginnen sie, mit ihnen zu chatten, ihnen Honig ums Maul zu schmieren. Die Scammer wissen genau, was ihre Opfer hören wollen und was sie brauchen. Haben sie sie um den Finger gewickelt, fangen sie an zu fordern. Erst sind es nur wenige Hundert Franken oder Euro. Um einen Flug zu bezahlen oder weil sich der Scammer angeblich gerade in einem finanziellen Engpass befindet. Ist das erste Geld geflossen, fordern die Scammer immer mehr, mal für Miete oder einen Verwandten, der im Spital ist. So entlocken sie ihren Opfern immer mehr Geld.
Viele der Betrugsopfer werden durch die Scams in Schulden getrieben, sie nehmen Kredite auf, die sie nicht mehr zurückzahlen können.
Das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung schätzt, dass allein in Asien im Jahr 2023 zwischen 18 und 37 Milliarden US-Dollar ergaunert wurden. Was die Betrugsopfer jedoch nicht wissen, ist, dass es ihren Scammern oft ähnlich schlecht geht, wie ihnen selbst.
Bürgerkrieg in Myanmar
In Myanmar herrscht seit 2021 ein Bürgerkrieg. Eskaliert ist dieser durch einen Putsch des Militärs, der im Februar 2021 die demokratisch gewählte Regierung stürzte und seitdem an der Macht ist. Widerstand kommt von bewaffneten Milizen, die gegen die autoritäre Militärmacht ankämpfen.
Um sich Waffen, Essen und weitere Ressourcen zu leisten, brauchen die Milizen laufend Geld. Da die Scamfabriken teils auf Gebieten der Milizen stehen, haben sie Abkommen mit den Betreibern der Scamfabriken geschlossen. Die Milizen erhalten grosse Teile der Gelder, welche die Scammer einbringen. Dafür lassen sie die Scammer in Ruhe und verteidigen sie, falls nötig.
Scams sind wie Fliessbandarbeit
Somit werden die Scamfabriken zu illegalen, aber in Myanmar akzeptierten und teils sogar gewollten Arbeitgebern. Sie sind bis ins Detail organisiert und aufgebaut. So ist eine Person dafür zuständig, über Datingplattformen Opfer zu täuschen und ihnen Komplimente zu machen.
Sobald man Nummern ausgetauscht hat, wird das Opfer an die nächste «Station» weitergegeben. Ein anderer Scammer führt den Chat auf WhatsApp weiter, bis zum ersten Mal Geld überwiesen werden soll.
Sind die Opfer an diesem Punkt angelangt, werden sie erneut weitergegeben. Eine dritte Person übernimmt die Konversation. Dieser Scammer ist auch zuständig für die Überweisungen und weiteren Geldforderungen.
So steckt hinter den Scams ein vielschichtiges System. Die jeweiligen Scammer werden je nach Zuständigkeit ausgebildet und erhalten Schulungen und Einführungen zu ihren zugewiesenen «Rollen», die sie in den Scams spielen. Die Hierarchie und Rollenverteilung, welche in den «Scam-Compounds» herrscht, wurde auch vom «ASPI» , dem Australischen Institut für strategische Studien, aufgenommen. Sie zeigten auch die Problematik hinter der Rekrutierung der Scammer auf, die in den «Compounds» arbeiten.
Wer scammt die Scammer?
Hinter den Scammern stecken oft Leute, die selbst einmal gescammt wurden. Sie kommen aus Indien, Thailand, China, Vietnam oder Pakistan, sind oft gut gebildet und können Englisch. Aus politischen oder gesellschaftlichen Gründen haben sie in ihren Heimatländern keine Chancen auf einen guten Job, müssen jedoch ihre Familie unterstützen, weshalb sie anfangen, im Ausland nach Jobangeboten zu suchen. So stossen sie auf die Scammer, ohne zu wissen, dass sie somit selbst zu Betrügern werden.
Ihnen werden gut bezahlte Jobs angeboten, sie nehmen diese an und reisen nach Myanmar. Bei den «Scamcompounds» angekommen, werden ihnen ihre Pässe und sämtliche Papiere abgenommen. Sie werden zu Scammern ausgebildet und verbringen bis zu 16 Stunden am Tag vor Bildschirmen und in betrügerischen Chats, geben an, jemand zu sein, der sie nicht sind.
Einen Ausweg gibt es kaum. Die Familien der neu rekrutierten Scammer werden erpresst. Wenn sie ihre Angehörigen wiedersehen möchten, sollen sie eine hohe Summe an Geld überweisen, doch dieses haben die meisten nicht. So entstehen aus Gescammten Scammer.
Der Alltag in den Scam-Städten
Was einst nur einzelne Container waren, in denen die Scammer arbeiteten, ist mittlerweile zu ganzen Städten geworden. Es gibt Gebäude, in denen nur reihenweise Tische und Computer stehen, und es gibt Baracken, in denen die Scammer schlafen. Zusätzlich gibt es Gebäude, in denen die Aufseher schlafen und leben. Die Aufseher sind lediglich dafür zuständig, zu überwachen, dass die Scammer ihre Jobs machen, und sie zu bestrafen, falls sie dies nicht tun. Dies berichtet «The Guardian».
Die Scammer müssen eine gewisse Anzahl Opfer pro Woche anlocken. Oder eine gewisse Summe Geld pro Woche ergaunern, je nach Position. Falls sie diese nicht erreichen, drohen ihnen Strafen. Diese variieren von Schlägen, über Mahlzeiten, die sie auslassen müssen, bis hin zu Elektroschocks.
Im Februar 2025 wurden über 7000 Personen aus den «Scamcompounds» gerettet. Dies geschah durch eine gegnerische Miliz, die die «Scam-Stadt» stürmte, um deren Betreiber festzunehmen. Immer wieder versuchen auch thailändische und chinesische Regierungen, einen Schlag gegen die «Scam-Compounds» zu starten. Oft jedoch erfolglos.
Das Militär von Myanmar hatte in der Vergangenheit erklärt, dass die «Scam-Compounds» und die dort Angestellten nicht Probleme von Myanmar seien, sondern von den Heimatländern der Angestellten. Mit der Begründung, dass die Scammer aus eigenem Willen nach Myanmar gereist seien. Solange Myanmar keine einheitliche Regierung hat, werden sich die Milizen weiterhin auf diese Branche stützen. Somit entscheiden letztendlich die politische Stabilität und die Beendigung des Bürgerkriegs in Myanmar, ob und wie erfolgreich diese «Scam-Compounds» weiterhin so existieren, wie sie es heute tun.
Quellen:
- The Guardian - Revealed: the huge growth of Myanmar scam centres that may hold 100,000 trafficked people
- Ronzheimer Podcast - Die Mafia der Liebesbetrüger
- The ASPI - How conflict and crime syndicates built a global fraud industry
- The ASPI - Myanmar scam centres are a global cyber and humanitarian threat
