In Myanmar hat das Militär die zivile Führung des südostasiatischen Landes um De-Facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi entmachtet und für die Dauer eines Jahres den Notstand ausgerufen. Das berichtete der vom Militär kontrollierte Fernsehsender Myawaddy am Montagmorgen.
Die Armeeführung hat in der Nacht zum Montag die frühere Freiheitsikone Aung San Suu Kyi sowie Staatspräsident Win Myint und weitere ranghohe Politiker auch kleinerer Parteien festgesetzt. Das bestätigte Myo Nyunt, ein Sprecher von Suu Kyis Regierungspartei Nationale Liga für Demokratie (NLD), der Deutschen Presse-Agentur. Ob die Politiker festgenommen oder unter Hausarrest gestellt wurden, war zunächst unklar.
Der frühere General und bisherige Vize-Präsident Myint Swe fungiere nun als Übergangsstaatsoberhaupt. Die eigentliche Macht liegt demnach aber bei Armeechef Min Aung Hlaing, der während des für die Dauer eines Jahres ausgerufenen Notstands die oberste Befehlsgewalt inne hat.
Das Militär in Myanmar will nach eigenen Angaben nach seiner Machtübernahme in einem Jahr eine Neuwahl abhalten.
Vertreter der Streitkräfte sagten am Montag im vom Militär kontrollierten Fernsehsender Myawaddy, im Land solle bis dahin eine «disziplinierte florierende Demokratie» aufrecht erhalten werden. Nach der Abstimmung werde der Sieger der Wahl die Macht übernehmen.
Auf den Strassen der Hauptstadt Naypyidaw und der grössten Stadt Yangon patrouillierten am Montag Soldaten. Telefonleitungen und das Internet in Naypyidaw wurden Berichten zufolge gekappt. Berichte über gewaltsame Zwischenfälle gab es zunächst nicht.
Aung San Suu Kyi hat in einer Erklärung die Bevölkerung aufgefordert, den Militärputsch im Land nicht hinzunehmen. Ihre Partei Nationale Liga für Demokratie (NLD) veröffentlichte das einseitige Schriftstück mit Aussagen der Friedensnobelpreisträgerin am Montag auf Facebook.
Die Machtübernahme der Armee zeige keinerlei Respekt für die Corona-Pandemie und ziele nur darauf ab, das Land wieder unter eine Militärdiktatur zu stellen, hiess es. «Die Öffentlichkeit ist dazu aufgerufen, sich dem Militärputsch voll und ganz zu widersetzen und sich entschieden dagegen zu wehren.»
Die EU hat den Militärputsch in Myanmar scharf verurteilt und die sofortige Freilassung der dabei festgenommenen Menschen gefordert. Die Ergebnisse von Wahlen müssen respektiert werden, erklärten der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell und EU-Ratspräsident Charles Michel am Montagmorgen. Borrell kündigte den Menschen im Land zudem Unterstützung an. «Das myanmarische Volk will Demokratie. Die EU steht an seiner Seite», schrieb er.
Der britische Aussenminister Dominic Raab twitterte: «Grossbritannien verurteilt den Ausnahmezustand in Myanmar und die rechtswidrige Inhaftierung von Vertretern der zivilen Regierung und der Bevölkerung durch das Militär.» Der Wille der Bevölkerung in Myanmar müsse respektiert werden. England war einst Kolonialmacht im heutigen Myanmar.
UN-Generalsekretär António Guterres verurteilte die Übernahme der Regierungsmacht und Aufhebung der Gewaltenteilung durch das Militär. «Diese Entwicklungen bedeuten einen schweren Schlag für die demokratischen Reformen in Myanmar», liess der UN-Chef über seinen Sprecher mitteilen. Die NLD habe bei der Wahl ein «starkes Mandat» des Volkes in Myanmar bekommen, das sich nach Demokratie, Frieden, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit sehne.
Ähnlich äusserten sich die Regierungen der USA und anderer Staaten sowie «Human Rights Watch» und andere Menschenrechtsorganisationen, die die Freilassung Suu Kyis und anderer vom Militär festgesetzter Politiker forderten.
Die Schweiz hat die Armee des südostasiatischen Landes aufgefordert, ihre Aktionen unverzüglich zu annullieren. Das Aussendepartement EDA forderte zudem die Freilassung aller Regierungsmitglieder und Leiter der Zivilgesellschaft.
«Das EDA unterstützt das Streben des myanmarischen Volkes nach Demokratie, Frieden und Entwicklung und ruft die Armee dazu auf, ihre Aktionen unverzüglich ausser Kraft zu setzen», teilte das EDA der Nachrichtenagentur Keystone-SDA am Montag auf Anfrage mit.
Der Schweizer Aussenminister Ignazio Cassis schrieb auf Twitter: «Ich bin sehr besorgt über die Lage in Myanmar.» Er rief zu einer unverzüglichen Wiederaufnahme des Dialogs und zur Freilassung der Verhafteten auf.
I am gravely concerned about the situation in Myanmar 🇲🇲. I call for an immediate resumption of dialogue and the release of those arrested. https://t.co/2bkkuqYplt
— Ignazio Cassis (@ignaziocassis) February 1, 2021
Ja, Im November waren Parlamentswahlen. Die Friedensnobelpreisträgerin Suu Kyi hatte sich dabei eine zweite Amtszeit in dem Land mit knapp 54 Millionen Einwohnern gesichert. Ihre Partei NLD holte nach offiziellen Angaben die absolute Mehrheit, die Wahlbeteiligung lag über 70 Prozent. Das Militär weigerte sich jedoch, das Ergebnis anzuerkennen. Die Armeespitze erhob Vorwürfe wegen Wahlbetrugs – bislang unbelegt.
Ein ranghoher Militärsprecher hatte in der vergangenen Woche vor Medienvertretern angedeutet, dass es zu einem Putsch kommen könnte, falls die Regierung nicht auf die Vorwürfe des Wahlbetrugs eingehen sollte.
Ja. Trotz des Wahlsiegs blieb Suu Kyi auf die Kooperation mit dem Militär angewiesen. Ein Viertel der Sitze in den Parlamentskammern blieb für die Streitkräfte reserviert. So steht es in der Verfassung von 2008, die die Junta aufgesetzt hatte, um auch nach der Einleitung demokratischer Reformen nicht entmachtet zu werden.
Wegen einer anderen Klausel konnte Suu Kyi nicht Präsidentin werden, sondern regierte als Staatsrätin und somit De-Facto-Regierungschefin das frühere Birma. Ohne das Militär sind auch Verfassungsänderungen nicht möglich, zudem kontrollierte es bislang schon die wichtigsten Ministerien. Nach einem Putsch im Jahr 1962 stand das Land fast ein halbes Jahrhundert lang unter einer Militärherrschaft.
Aung San Suu Kyi ist die Tochter von Aung San, Vorkämpfer für die Unabhängigkeit des damaligen Birmas vom Vereinigten Königreich. Suu Kyi setzte sich in den 1980er Jahren für einen gewaltlosen Demokratisierungsprozess ein und wurde deshalb 15 Jahre unter Hausarrest gestellt. 1991 erhielt sie für ihren Einsatz gegen Unterdrückung und soziale Ungerechtigkeit den Friedensnobelpreis.
Im eigenen Land ist die Politikerin sehr beliebt. International ist die frühere Freiheitsikone mittlerweile aber umstritten. So sind die versprochenen demokratischen Reformen in dem buddhistisch geprägten Land bislang weitgehend ausgeblieben und Suu Kyi zeigte selbst einen immer autoritäreren Regierungsstil.
Vor allem wegen der staatlichen Diskriminierung der Rohingya und ihres Schweigens zur Gewalt gegen die muslimische Minderheit steht Suu Kyi international in der Kritik. Mehr als eine Million Rohingya sind vor den Übergriffen des Militärs nach Bangladesch geflohen. In einem Völkermord-Verfahren in Den Haag wies Suu Kyi die Vorwürfe 2019 zurück. Von Genozid könne keine Rede sein, die Armee verteidige nur das Land gegen Angriffe bewaffneter Rebellen, sagte sie damals.
(jaw/mlu/sda/dpa)