Touristen strömen wieder ins Land. Die Strassencafés an der Promenade des Flusses Tejo in Lissabon sind voll. In der malerischen portugiesischen Hauptstadt, die gerne von europäischen Wochenendtouristen besucht wird, erinnert nur noch wenig an die Pandemie. Die meisten Coronaregeln sind abgeschafft. Auch die Masken sind weitgehend aus dem Alltag verschwunden.
Doch seit einigen Tagen wird die Hoffnung auf einen normalen Sommer durch einen massiven Anstieg der Coronazahlen getrübt. Mehr als 30'000 Infektionen werden derzeit alle 24 Stunden registriert. Hotspot ist vor allem der Grossraum Lissabon. Virologen sprechen von einer «Explosion neuer Ansteckungen» und schliessen nicht aus, dass es bald täglich 60'000 Fälle geben könnte.
Entsprechend wächst die Zahl der Covid-Toten. Zuletzt waren es 230 in einer Woche, die meisten Opfer sind ältere Menschen. Die Belastung der Spitäler nimmt ebenfalls wieder zu. In den portugiesischen Hospitälern liegen knapp 2000 Covid-19-Patienten. Die Bettenbelegung mit Coronakranken kletterte innerhalb einer Woche um 27 Prozent.
Allerdings ist die Lage im Gesundheitssystem nicht kritisch, wie es noch vor einem Jahr der Fall war. Damals waren die Intensivstationen völlig überfüllt. Krankenwagen stauten sich an den Notaufnahmen. Vor den Kliniken mussten Kühlcontainer aufgestellt werden, weil in den Leichenkellern kein Platz mehr war.
Inzwischen ist Portugal besser gerüstet. Vor allem dank einer vorbildlichen Impfkampagne: Nach Angaben des Portals «Our World in Data», das von der Oxford-Uni betrieben wird, sind 87 Prozent der Gesamtbevölkerung doppelt geimpft, 63 Prozent sind geboostert. Damit gehört Portugal zu den europäischen Spitzenreitern.
Aber dieser Coronarückfall weckt trotzdem Sorgen. Denn immer mehr Arbeitnehmer fallen in diesen Tagen durch Quarantänemassnahmen aus. Was wichtige Wirtschaftszweige wie etwa Gastronomie, Hotelgewerbe und Textilwirtschaft zunehmend in Schwierigkeiten bringt. Das lässt immer mehr Rufe nach der Rückkehr der Maskenpflicht aufkommen.
Nach der Statistik des EU-Zentrums für Krankheitskontrolle (ECDC) verzeichnet Portugal derzeit die höchste Inzidenz auf dem gesamten europäischen Kontinent. Die offiziellen Zahlen sind möglicherweise nur die Spitze des Eisberges. «In Wirklichkeit könnte es doppelt so viele Fälle geben», warnt der portugiesische Mediziner Gustavo Tato Borges, Präsident des Ärzteverbandes. Viele Infektionen ohne oder nur mit leichten Symptomen bleiben unentdeckt.
Verantwortlich für den heftigen Ausbruch in Portugal ist ein Subtyp der Omikron-Virusvariante, die auf den Namen «BA.5» getauft wurde. Diese Mutation hat in Portugal den bisher vorherrschenden Subtyp BA.2 verdrängt und ist mittlerweile für 80 Prozent aller neuen Infektionen verantwortlich, erklärt das nationale Gesundheitsministerium.
Die Untervariante BA.5 sei vermutlich ansteckender als andere Virustypen, sagt der Epidemiologe João Paulo Gomes. «Aber BA.5 scheint nicht schwerere Krankheiten zu verursachen als andere Varianten.» Vor allem deswegen schliesst Gesundheitsministerin Marta Temido die Rückkehr von Coronarestriktionen derzeit noch aus. Sie setzt auf die Eigenverantwortung der Portugiesen. Und auf eine zweite Auffrischungsimpfung für die verwundbaren Senioren.
Inwieweit BA.5 inzwischen auch in Portugals Nachbarland Spanien ankam, ist unklar. Spanien hat sich Anfang April von einer umfassenden Pandemie-Kontrolle verabschiedet: Es wird nicht mehr getestet, die Quarantänepflicht für Infizierte wurde abgeschafft. Entsprechend gibt es auch keine zuverlässigen Werte mehr über die Inzidenz oder über Varianten.
Übrigens: Urlauber benötigen für die Einreise nach Spanien wie nach Portugal immer noch ein Gesundheitszertifikat. Sie müssen also entweder den EU-Impfnachweis mitbringen oder die Bescheinigung über einen frischen negativen Coronatest.