Hitzige Diskussionen um die Berichterstattung zu möglichen neuen Rekordtemperaturen in Europa am Wochenende: Deutsche Medien verschlimmbesserten Berichte, nachdem ihnen in sozialen Medien und von «Alternativmedien» Häme und Spott wegen eines angeblichen Fehlers entgegenschlug. Das reichte bis zu Vorwürfen, Medien würden plötzlich absurde Werte heranziehen, um Klima-Panik zu schüren. Tatsächlich beruhten die Ursprungsberichte nicht auf falschen Werten, sondern älteren Informationen. Die, die sich lustig machten, lagen dagegen völlig falsch.
Der «Spiegel» titelte, dass «Bis zu 48 Grad in Südeuropa» erwarten werden, «in Italien könnten in den kommenden Tagen 48 Grad erreicht werden» schrieb die Tagesschau. Auch t-online griff die Zahl auf: «Fast 50 Grad auf Ferieninsel – Hitzerekord naht». Gemeint war in den Berichten: die Lufttemperatur, standardmässig in einer Höhe von zwei Metern über dem Boden gemessen. Quelle für die Artikel war eine Mitteilung der europäischen Weltraumagentur ESA. Diese Nachricht wurde auch vielfach verbreitet, um damit die Klimakrise deutlich zu machen. Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang twitterte den Artikel und schrieb dazu: «(...) bis zu 48 Grad erwartet. Diese Hitze gefährdet unsere Gesundheit. Wer jetzt noch behauptet, dass man sich beim Klimaschutz Zeit lassen könne, ignoriert die Realität.»
In dem Originaltext der ESA stand, dass «Europa eine grosse Hitzewelle bevorsteht, mit erwarteten Temperaturen bis 48 Grad auf den Inseln Sizilien und Sardinien». Ein Detail davon wird später noch einmal wichtig. Doch dann wurde es verwirrend: Die ESA erklärte im Text auch, wie mit Radiometern der beiden Sentinel-3-Satelliten Temperatur von Meeres- und Landoberfläche gemessen werden. Eine eindrucksvolle Karte zeigte auch diese Temperaturen in Europa an der Erdoberfläche: 46 Grad in Rom. Erläuterung dazu: «Dieses Satelliteninstrument misst die tatsächliche Energiemenge, die von der Erde abgestrahlt wird.» Die dargestellte Temperatur zeige die der Landoberfläche dar, die höher ist als die Lufttemperatur.
Das war der Trugschluss: Nutzer unterstellten Medien und denen, die die Esa-Nachricht verbreiteten, sie würden mit der Bodentemperatur Stimmung machen. Der Boden heizt sich regelmässig deutlich stärker auf als die Luft, auch in Deutschland wird Asphalt in der prallen Sonne weich, was bei etwa 50 Grad beginnt. Der Aufenthalt über derart heissem Untergrund kann zwar durchaus eine Qual sein. Es ist aber natürlich etwas ganz anderes als eine so hohe Lufttemperatur. Eine Verwechslung beider Werte wäre peinlich.
Tatsächlich verbreiteten Nutzer Gegenüberstellungen der Karte mit den Bodentemperaturen einerseits und den deutlich niedrigeren Lufttemperaturen andererseits. 48 Grad Bodentemperatur wären kein Rekord in Europa, ein offizieller Rekord für Bodentemperaturen ist auch bisher gar nicht festgehalten. Deshalb sagt der Wert von 48 Grad Bodentemperatur auch kaum jemandem etwas, es ist kein geeignetes Argument, um auf die Gefahren des Klimawandels hinzuweisen.
Jörg Kachelmann kritisierte auf Twitter, es sei «Wasser auf die Mühlen der Klimawandelleugner» und «unwissenschaftlicher Schwachsinn», Temperaturen der Erdoberfläche mit der Lufttemperatur zu vergleichen.
Wasser auf die Mühlen der KlimawandelleugnerInnen, indem man den unwissenschaftlichen Schwachsinn verbreitet, dass die Temperaturen der Erdoberfläche (mit Satellit messbar) mit der Lufttemperatur (nicht mit der Satellit messbar) zu vergleichen wären. Alles für Klicks, ekelhaft. https://t.co/f9PdZy6QkQ
— Jörg @kachelmann@meteo.social (@Kachelmann) July 13, 2023
«Spiegel» und «Tagesschau» wurde es selbst zu heiss, sie bearbeiteten ihre Texte. Damit bestätigten sie aber den Eindruck, dass es mit den 48 Grad ein Problem gibt.
Die Tagesschau schrieb, «in Italien könnten in den kommenden Tagen 48 Grad am Boden erreicht werden», beim «Spiegel» wurde aus der Nachricht nun «Bis zu 48 Grad Bodentemperatur in Südeuropa erwartet» und wies auf die Änderung noch hin. Damit verschlimmbesserten sie die Texte. Beim «Spiegel» kam hinzu, dass der Text zuvor die 48 Grad vermischt hatte mit anderen Werten von der ESA, die sich tatsächlich auf Bodenwerte bezogen hatten: Die Prognose von 48 Grad Lufttemperatur in Sizilien mit gemessenen 46 Grad Bodentemperatur in Rom und 47 in Sevilla. Ricarda Lang löschte ihren Tweet kommentarlos.
Dann tauchte die reisserische Schlagzeile von der «heissesten Klimalüge des Jahres» auf. So schrieb es die neue Internetseite des früheren «Bild»-Chefredakteurs Julian Reichelt, die massgeblich von einem Milliardär getragen wird. Hier hatte die Redaktion aber noch weniger verstanden: Die Medien hätten berichtet, dass bis zu 48 Grad auf Sizilien gemessen worden seien, behauptete die Seite – dabei ging es ja um eine Vorhersage. Ausserdem verbreitete das Portal, die ESA erkläre im Tweet, dass sich die angegebenen Temperaturen auf den Boden beziehen. Das stand dort aber nie, sondern war die – falsche – Interpretation.
After the hottest June on record, July is not looking so fresh either. 🌡️
— ESA Earth Observation (@ESA_EO) July 13, 2023
A major heatwave is predicted to rise temperatures as high as 48°C.
This map shows Land surface temperatures reaching 46°C in Rome and Madrid, and 47°C in Seville.#Cerberus
🔗 https://t.co/lEwVxkecb2 pic.twitter.com/LAyKdL4LDF
In der Meldung der Esa waren Boden- und Lufttemperatur vermischt: Bei den 48 Grad ging es tatsächlich um die erwartete Lufttemperatur auf Sizilien, während sich alle anderen Werte im Text auf von den Satelliten gemessene Bodenwerte bezogen. Die Esa merkte wohl selbst, was dieses Durcheinander ausgelöst hatte und änderte den Text minimal: Vor «Temperaturen bis 48 Grad» wurde noch zur Verdeutlichung «Luft-» ergänzt.
Allerdings hätte man sich vorher schon erschliessen können. Auf ihrer Internetseite hatte die Esa einen Link dazu gesetzt, dass Temperaturen bis 48 Grad erwartet werden. Quelle für diese Aussage war nicht die Esa selbst, sondern ein Artikel des englischen «Guardian». Und dort sagte der Luca Mercalli, Präsident der Meteorologischen Gesellschaft Italiens, so etwas: Nachdem es schon 2021 48.8 Grad auf Sizilien gegeben habe, könnten wir dem Rekord nahekommen. Nun werde es Temperaturen über 40 oder über 45 Grad geben.
Das ist trotzdem das Problem mit den 48 Grad: Italiens bekanntester Meteorologe hat tatsächlich gesagt, dass Lufttemperaturen bis an den Rekordwert erreicht werden könnten. Allerdings erschien der Artikel des «Guardian» bereits am Montag um 16 Uhr. Die Vorhersage, die die Esa am Donnerstag verbreitet hatte und die Medien zum Teil am Freitag aufgriffen, stammte also bereits vom Montag. Das ist eigentlich ein Problem, sie könnte sich seither noch deutlich verändert haben. Und bei «La Stampa» war zu lesen, dass die Werte von bis zu 48 Grad für den vergangenen Mittwoch erwartet wurden. Derart hohe Temperaturen wurden aber gar nicht gemessen.
Dass auch in aktuellen Wettervorhersagen diese Werte nicht auftauchen, muss nicht unbedingt heissen, dass einzelne Stationen ihr nicht doch nahekommen. Das zeigt das Beispiel des bisherigen Rekordhalters: Als am 11. August 2021 in Floridia auf Sizilien der Rekordwert von 48.8 Grad gemessen wurde, war es an einer anderen Messstelle der Insel 14 Grad kühler.
La Regione rileva periodicamente importanti dati meteorologici e li rende disponibili tramite il SIAS (https://t.co/31g3ZBE5cd).
— Regione Siciliana (@Regione_Sicilia) August 11, 2021
Oggi a #Floridia (#Siracusa) è stata registrata la temperatura #record di 48,8 °C, la massima in #Europa dall'inizio della raccolta dei dati.#Sicilia pic.twitter.com/2yJeBX7FQL
Und die Hitzewelle mit Werten von deutlich über 40 Grad ist noch nicht vorbei: Mercalli hatte bereits angekündigt, dass sie zehn Tage anhalten wird. Das hat sich bestätigt: Nur im Norden Italiens lässt sie leicht nach, in zentralen und südlichen Teilen Italiens setzt sie sich noch fort.
Mercalli sagte aber auch der Agenzia Italia, dass die Frage nach einem neuen Rekord in Italien gar nicht so zentral sei: Die wirkliche Neuigkeit sei, dass global neue Rekorde erreicht wurden: «An vier aufeinanderfolgenden Tagen zwischen dem 3., und dem 6. Juli haben wir alle globalen Durchschnittstemperaturrekorde gebrochen. Es sind die vier heissesten Tage in der Geschichte des Planeten Erde, seit es Temperaturaufzeichnungen gibt.»
Verwendete Quellen: