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65'000 gegen Fremdenhass und Gewalt

Konzerte gegen Rassismus in Chemnitz

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Konzerte gegen Rassismus in Chemnitz
65'000 Menschen protestierten am Montag bei einem Konzert in Chemnitz gegen Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und Gewalt.
quelle: ap/ap / jens meyer
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65'000 gegen Fremdenhass und Gewalt: So verlief #wirsindmehr in Chemnitz

04.09.2018, 03:3604.09.2018, 07:57
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65'000 Teilnehmer

Gegen Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und Gewalt haben gut 65'000 Menschen am Montag bei einem Konzert in Chemnitz protestiert. Die Veranstaltung war eine Reaktion auf den gewaltsamen Tod eines 35-jährigen Deutschen vor gut einer Woche sowie die folgende Vereinnahmung der Bluttat durch rechtspopulistische Kräfte wie Pro Chemnitz beziehungsweise AfD und Pegida.

Die Infrastruktur von Chemnitz war angesichts der vielen Konzertbesucher teilweise arg überlastet. Nach Polizeiangaben kam das Mobilfunknetz im Bereich der Veranstaltung zum Erliegen. Der öffentliche Nahverkehr im Stadtzentrum wurde zeitweise eingestellt.

Am Rande des Konzertes wurden Spendengelder gesammelt. Nach Angaben der Organisatoren soll die Hälfte des Geldes der Familie des Getöteten zugute kommen, die andere Hälfte ist für antifaschistische, antirassistische und zivilgesellschaftliche Initiativen in Sachsen vorgesehen.

Den Liveticker zum Konzert kannst du hier nachlesen: 

Zwischenfälle

Die Lage rund um das Konzert blieb störungsfrei, wie eine Polizeisprecherin sagte. Die Polizei in Chemnitz wurde nach den Angaben aus sechs Bundesländern und der Bundespolizei unterstützt. Eine genaue Anzahl der eingesetzten Beamten nannte sie nicht.

Allerdings spielten sich am späten Abend am Gedenkort des getöteten Daniel H. skurrile Szenen ab. Neben den trauernden Angehörigen und Freunden des Opfers traten vereinzelt Rechtsradikale in Erscheinung. Darauf begaben sich einige Konzertbesucher zur Gedenkstätte. Die Polizei konnte ein Aufeinandertreffen der beiden Gruppierungen nicht immer verhindern. Zudem störten die Demonstranten mit ihren Parolen die Trauernden.

Später kam es noch zu einer Sitzdemonstration, welche teilweise durch die Beamten aufgelöst werden konnte.

Rechte Demo untersagt

Vor dem Konzert hatte die Stadt Chemnitz zwei Kundgebungen gegen das Konzert untersagt. Die fremden- und muslimfeindliche Thügida wollte sich in unmittelbarer Nähe zum Veranstaltungsgelände unter dem Motto «Gegen antideutsche Kommerzhetze» versammeln.

Begründet wurde die Absage damit, dass die Veranstaltungsfläche bereits belegt sei. Mit dem gleichen Argument wurde auch eine Kundgebung von Pro Chemnitz erneut vor dem Karl-Marx-Monument untersagt.

Lautes Zeichen setzen

Bands wie die Toten Hosen, Kraftklub, Materia oder Feine Sahne Fischfilet spielten unter dem Motto «#wirsindmehr» gratis in der drittgrössten sächsischen Stadt. Mit dem Konzert wollten die beteiligten Musiker ein lautes Zeichen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit setzen.

03.09.2018, Sachsen, Chemnitz: Sänger Felix Brummer der Rockband Kraftklub aus Chemnitz steht bei einem Konzert unter dem Motto «#wirsindmehr» auf dem Parkplatz vor der Johanniskirche auf der Bühne. B ...
Kraftklub-Sänger Felix BrummerBild: dpa

«Wir sind nicht naiv. Wir geben uns nicht der Illusion hin, dass man ein Konzert macht und dann ist die Welt gerettet», sagte Kraftklub-Sänger Felix Brummer, der aus Chemnitz stammt, vor Beginn des Open Airs. «Aber manchmal ist es wichtig, zu zeigen, dass man nicht allein ist.»

Das Konzert in voller Länge kannst du dir hier nochmals ansehen. Video: YouTube/wirsindmehr

Der Rapper Marteria fühlte sich durch die Vorkommnisse in Chemnitz an die fremdenfeindlichen Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen erinnert. Er habe damals 1992 in Rostock gewohnt und jahrelang damit zu kämpfen gehabt, dass Rostock als «Nazi-Stadt» abgestempelt gewesen sei. «Mir geht es darum, dass die Leute, die aus Sachsen, aus Chemnitz sind, auch sagen können: ‹Hey, ich bin aus Chemnitz›, ohne dass gesagt wird: ‹Ah, musst du also ein Nazi sein›».

epa06994576 Campino of the German band 'Die toten Hosen' attends a press conference in Chemnitz, Germany, 03 September 2018. German music groups give a free concert to support the civil soci ...
Tote-Hosen-Sänger CampinoBild: EPA/EPA

Laut Tote-Hosen-Sänger Campino sind die beteiligten Bands heftigen Anfeindungen im Internet ausgesetzt. Auf den Facebook-Seiten gebe es «immense Shitstorms» gegen die Musiker, sagte Campino in Chemnitz. «Man muss schon ein dickes Fell haben um zu sagen: Ich gehe trotzdem nach vorne.»

So erklärt der Pro-Chemnitz-Organisator die Hitlergrüsse

Video: watson/watson.de

Solidarität in Zürich

Zeitgleich zu dem Konzert im deutschen Chemnitz traten am Montagabend auch in Zürich fünf Bands auf, die sich mit dem Widerstand in Deutschland solidarisieren wollten. Dies teilte die JUSO Kanton Zürich am späten Montag in einem Communiqué mit.

Demnach versammelten sich an dem Zürcher Konzert rund 1500 Personen am Bürkliplatz, um etwa ein Zeichen gegen Faschismus, Rassismus und Sexismus zu setzen. Es fand von 19.00 bis 21.30 Uhr statt und sei von Jonas Kampus sowie Jonathan Daum initiiert worden.

Gemäss dem untenstehenden Tweet kam es auch in anderen Städten im deutschsprachigen Raum zum Solidaritätskundgebungen. 

Ermittlungen laufen

Im Zusammenhang mit den Protesten und Demonstrationen in Chemnitz gibt es bisher 51 Ermittlungsverfahren. In den meisten Fällen sind die Tatverdächtigen vom 26. und 27. August unbekannt, wie ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Dresden mitteilte.

Es gehe um das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen wie den Hitlergruss, Körperverletzung und versuchte gefährliche Körperverletzung, Verdacht des Landfriedensbruchs, Beleidigung sowie gefährlichen Eingriffs in den Luftverkehr durch Blendung der Piloten von Polizeihelikoptern mit Laser-Pointern. (sda/dpa/vom)

Rechtsextreme in Chemnitz bedrohen Journalisten

Video: watson/felix huesmann, lia haubner, marius notter
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27 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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sheimers
04.09.2018 06:03registriert April 2014
Gut, dass die Deutschen endlich aufstehen und Stellung beziehen gegen die Rechten. Und das Konzert war super, ich hab am Radio zugehört!
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Anam.Cara
04.09.2018 07:13registriert November 2015
Bei einem anderen Artikel zu den Demos stellte jemand die Frage, wo denn die grosse Mehrheit sei. Also jene, die nicht rechts und links aussen sind. Die müssten doch mal den 11000 Demonstranten entgegentreten.

Et Voilà: 65000 friedliche Menschen, die für Offenheit und Mässigung sind.
Ein starkes Zeichen...
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Seraohara
04.09.2018 06:54registriert März 2018
❤️
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