In der AfD entbrennt ein Machtkampf um die Nachfolge des Vorsitzenden Alexander Gauland und die Neubesetzung der Vorstandsposten. Gauland hatte angekündigt, beim Parteitag am Wochenende eigentlich nicht mehr kandidieren zu wollen. Vorstandsintern, so hiess es in Medienberichten, einigte man sich auf den Görlitzer Abgeordneten Tino Chrupalla als Thronerben. Er hat, wie Gauland, die Unterstützung des mächtigen rechtsradikalen Flügels der Partei, ohne offiziell als Vertreter desselben zu gelten. Ohne den «Flügel» um Höcke, so die begründete Erwartung, wird sich ein Kandidat wohl nicht durchsetzen können.
Seit Jahren fällt dem Bundesvorstand die Rolle zu, zwischen den Rechtsradikalen in der Partei und den vergleichsweise Moderaten zu vermitteln. Am deutlichsten wurde das, als beim Parteitag vor zwei Jahren der «Flügel» den Berliner Landesvorsitzenden Georg Pazderski als Bundesvorsitzenden verhinderte – und stattdessen fast die heute aus der Partei ausgeschlossene Doris von Sayn-Wittgenstein an die Macht brachte. Gauland sprang ein, vermittelte, wurde Vorsitzender. Sayn-Wittgenstein ist heute, gegen grosse Widerstände, aus der Partei ausgeschlossen, wegen Unterstützung eines rechtsextremen Vereins.
Doch mit Gaulands möglichem Abschied könnte die mühsam austarierte Machtbalance nun kippen. Schon im Laufe des Jahres waren beide Strömungen in den Bundesländern auf Konfrontationskurs zueinander gegangen. In NRW zerfiel der Vorstand des grössten Landesverbandes, in Bayern stufte ein Schiedsgericht den «Flügel» als Konkurrenz zur Partei ein. Höcke hingegen kündigte auf dem «Kyffhäusertreffen» der Strömung an, in die Wahlen zum Bundesvorstand einzugreifen und bestimmte Personalien zu verhindern. Das galt als Drohung gegenüber den Gemässigten.
Nach den erfolgreichen Wahlen in Thüringen ist Höcke nun noch gestärkt – und meldet Ansprüche für den «Flügel» an. Bislang wird er durch Andreas Kalbitz und Frank Pasemann im Vorstand vertreten. Statt der bislang zwei Vertreter im dreizehnköpfigen Vorstand, wolle man zumindest vier, schrieb Höcke auf Facebook. Schliesslich repräsentiere der «Flügel» mindestens ein Drittel aller Mitglieder. Ausserdem müsse einer der beiden Vorsitzenden ein ostdeutscher Kandidat sein. Das kann als Hinweis auf die aus seiner Sicht wohl notwendige Wahl Chrupallas gewertet werden – und als Absage gegenüber anderen Kandidaten, die ihm zufolge wegen «ihrer politischen Egomanik und Unduldsamkeit» nicht ins oberste Führungsgremium der Partei gehören.
Denn während Parteispitze und «Flügel» sich offenbar hinter den Kulissen auf eine Doppelspitze Chrupallas mit dem derzeitigen Co-Vorsitzenden Jörg Meuthen geeinigt zu haben schienen, streben nun andere aussichtsreiche Kandidaten ebenfalls das höchste Parteiamt an. Als einer der gefährlichsten Konkurrenten Chrupallas gilt der Berliner Bundestagsabgeordnete Gottfried Curio. Er erschüttert immer wieder mit rhetorisch geschickten, aber scharfen und skandalträchtigen Reden den Bundestag. Er ist deswegen ausserhalb der Partei relativ bekannt. Auch er gilt als dem «Flügel» verbunden.
Kommt es also zum Showdown zwischen dem vermittelnden Chrupalla und dem schärfer auftretenden Curio? Oder wird auch Meuthen von den Querelen in Mitleidenschaft gezogen und büsst möglicherweise sein Vorstandsamt ein? Übernimmt der «Flügel» komplett?
Klar ist: Meuthen geht mit schweren Hypotheken in den Parteitag. Vielen vergleichsweise Gemässigten gilt er schon lange als zu nah am «Flügel», den Radikalen gilt er oft als illoyal. Sein Stimmrecht auf dem Parteitag hat er bereits eingebüsst: Sein baden-württembergischer Kreisverband machte ihn nicht zum Delegierten. Ein Grund dafür soll Meuthens Kritik an AfD-Rechtsaussen Björn Höcke gewesen sein.
Denn als Höcke auf dem «Kyffhäusertreffen» den Bundesvorstand scharf angriff, Parteifreunde «Feindzeugen» nannte, von denen er in «Antifa-Manier» angegriffen werde – da wurde es vielen in der Partei zu bunt. In einem Appell kritisierten rund hundert teils prominente AfD-Politiker den «exzessiv zur Schau gestellten Personenkult» Höckes. Meuthen teilte die Kritik – und büsste wenig später sein Stimmrecht auf dem Parteitag ein. Er sieht sich nun in seiner Haltung offenbar bestätigt und schliesst eine Co-Spitze mit Höcke aus. «Sie können nicht auf der Kommandobrücke stehen und in zwei Richtungen fahren», sagte Meuthen in der ARD-Talksendung «Maischberger». Das wird ihn erneut Sympathien unter den Radikalen gekostet haben.
Doch auch aufgrund der zahlreichen Spendenaffären wird es Meuthen nicht leicht haben auf dem Parteitag. Mittlerweile hat ein heikler Antrag prominente Unterstützer: Er sieht vor, die Verursacher der vom Bundestag verhängten Strafzahlungen künftig persönlich dafür haften zu lassen. Im Zentrum der Affären stehen unter anderem Jörg Meuthen sowie die Fraktionsvorsitzende Alice Weidel . Werden die dubiosen Wahlkampfhilfen nun zum Werkzeug der parteiinternen Gegner?
Sollte der Machtkampf ausarten, so hält sich Gauland weiter bereit. Verhindern wolle er niemanden, sagte Gauland zwar im Deutschlandfunk. Aber: «Wenn Chrupalla und Meuthen gewählt werden, würde ich es gerne so lassen, wie es geplant war», sagte Gauland dem «Focus». «Ansonsten behalte ich mir eine Kandidatur für den zweiten Sprecherposten vor.“ Damit – so hatte es zunächst den Anschein – will er wohl vor allem Curios erfolgreiche Kandidatur verhindern. »Viele Leute kennen Curio und er hält gute Reden. Die Partei ist anarchisch. Ich weiss nicht, wie es ausgeht."
Vgl. https://www.nzz.ch/feuilleton/geschichtsrevisionismus-der-afd-liegt-offen-auf-dem-tisch-ld.1523714