Julia Klöckner findet: «Dorfkinder sind zur Stelle. Da, wo man sie braucht.» Zumindest tweetete die Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft das am Sonntagabend und löste damit eine Lawine von Tweets aus, die die neue Kampagne von Klöckners Ministerium nach Strich und Faden zerlegten.
Unter dem Hashtag #Dorfkinder möchten Klöckner und ihr Ministerium das Leben auf dem Dorf promoten. «#Dorfkinder lenkt den Blick auf die Menschen, die Tag für Tag daran mitwirken, die Dörfer und Landgemeinden voranzubringen – mit Engagement, Ideen, Leidenschaft», heisst es auf der Internetseite des Landwirtschaft-Ministeriums. Man wolle zeigen: «Wir haben allen Grund stolz zu sein auf unserer ländlichen Regionen.»
Dumm nur: Die Kampagne kommt mit lauter Allgemeinplätzen daher, dass sich Stadtkinder unwillkürlich fragen müssen: Sind wir nicht auch zur Stelle? Da, wo man uns braucht? Haben wir nicht auch «den Dreh raus» und bringen «neues Leben in alte Mauern»?
So erntete Deutschlands oberste Landwirtin am Montag mit ihrer Kampagne vor allem Spott und Häme.
Wie #dorfkinder die Kampagne sehen: pic.twitter.com/AxnCGum1N7
— Clara Nathusius (@CNathusius) January 20, 2020
#dorfkinder klettern auf Jagdstände im Wald, um in Ruhe die NYTimes zu lesen.
— Petra Bahr (@bellabahr) January 20, 2020
#Dorfkinder können diese Bilder nicht Laden, weil die Bundesregierung die Infrastruktur im ländlichen Raum seit Jahren konsequent vernachlässigt. Ich komme auf diese Ignoranz nicht klar. https://t.co/m1FFMdRqff
— Mattheus Berg (@MattheusBerg) January 20, 2020
Viele Userinnen und User nahmen die Kampagne auch zum Anlass, um auf Sorgen der Landbevölkerung hinzuweisen. Besonders grossen Raum nahmen hier Tweets ein, die Zwangsumsiedlungen erwähnen, wenn mal wieder ein Dorf dem Braunkohletagebau zum Opfer fällt.
#Dorfkinder werden zwangsumgesiedelt, weil für Kohle weiter ihre Heimat vernichtet wird (sorry @BMWi_Bund, wir bleiben bei der korrekten Beschreibung). #AlleDörferBleiben https://t.co/eQITvz4yDy
— Fridays For Future Germany (@FridayForFuture) January 20, 2020
Wir sind #Dorfkinder und sollen von @CDU @ArminLaschet und @BMWi_Bund aus unserem Zuhause vertrieben und enteignet werden, weil darunter klimaschädliche Braunkohle lagert.#Wirbleiben trotzdem!#AlleDoerferBleiben pic.twitter.com/gA6GPGXA0I
— Alle Dörfer Bleiben (@AlleDoerfer) January 20, 2020
Und bei manchen Dorfkindern wird dank dem Kohleausstiegsplan der Bundsregierung jetzt das Zuhause weggebaggert. #Dorfkinder https://t.co/txMv5s4nPB
— Ricarda Lang (@Ricarda_Lang) January 20, 2020
Den Dorfkindern, den ihr Zuhause nicht «weggebaggert» wird, fiel zur Kampagne ein, dass es ja mal ganz nett wäre, wenn ein Bus nicht nur zweimal am Tag führe (oder überhaupt ein Bus käme). Oder (siehe oben) das Internet tatsächlich schnell wäre. Oder Krankenhäuser nicht geschlossen würden.
Dorfkinder hätten gerne einen vernünftig ausgebauten ÖPNV, Dorfkinder wollen 4G an jeder Milchkanne, Dorfkinder brauchen mehr Kulturangebote u insbesondere queere Dorfkinder wünschen sich mehr Akzeptanz und Möglichkeiten zur freien Entfaltung anstatt dumme Sharepics. #Dorfkinder https://t.co/DNs0lUhkLx
— Lasse Rebbin (@lasse_rebbin) January 20, 2020
Ob sich Julia Klöckner das so vorgestellt hatte? Offenbar schon, denn sowohl sie als auch ihr Ministerium reagierten am Montagabend auf die Kritik.
Unsere #Dorfkinder-Kampagne hat heute viel Aufmerksamkeit bekommen.
— Julia Klöckner (@JuliaKloeckner) January 20, 2020
Das ist gut so, weil es mir ein großes Anliegen ist, dass das Leben auf dem Land attraktiver wird.
Ich hoffe, die Debatte von heute ist ein Anstoß für uns alle, um bestehende Probleme auf dem Land anzugehen.
Was wir mit #Dorfkinder wollen:
— BMEL (@bmel) January 20, 2020
- eine Debatte über das Leben auf dem Land anstoßen ✅
Was wir nicht wollen:
- Dorf vs. Stadt ausspielen ❌
Was wir schon lange tun:
- ländliche Regionen stärken ✅
- Modellprojekte fördern ✅
Was wir wissen:
- Es gibt noch viel zu tun 💪
Besonders interessant ist an dieser Stelle, was das Ministerium twitterte. Man wolle nicht Stadt und Dorf gegeneinander ausspielen. Das ist, es lässt sich nicht anders sagen, gründlich misslungen.
Denn wie gesagt: keiner der Claims aus der Kampagne beschreibt Eigenschaften, die nur Dorfkinder haben. Andersherum formuliert: Indem Klöckner und ihr Ministerium Dorfkindern etwa bescheinigen, sie hätten «den Dreh raus», nehmen sie die Eigenschaft den Stadtkindern weg.
Und mehr noch, es häufen sich nun Tweets, in denen Menschen auf ihre negativen Erfahrungen mit der Landbevölkerung hinweisen. Von Nazis ist da die Rede, von Mobbing und Ausgrenzung.
Dieses Bild, das da auf Twitter entsteht, bestätigt jeden, der auf dem Land gross geworden ist (und keine Hakenkreuzflagge in der Scheune hängen hat) doch vor allem darin, das Gefühl haben zu müssen, irgendwie als Bürgerin oder Bürger zweiter Klasse aufgewachsen zu sein.
Diese Menschen werden jetzt unter einem Hashtag in einen Topf geworfen mit dem Teil der Landbevölkerung, der mit einer anderen Hautfarbe oder Religion ein Problem hat. Statt zusammenzuführen, spaltet diese Kampagne weiter.
Ganz ehrlich, ich verstehe diese Kampagne nicht. All das erlebe ich auch bei #Stadtkindern.
— Miriam Hollstein (@HollsteinM) January 20, 2020
Und mal abgesehen davon: Wie sinnvoll ist es, in einer gespaltenen Gesellschaft Kampagnen zu starten, die Spaltung als Grundlage haben? #Dorfkinder https://t.co/zt1XJDIOkQ
Am Ende hat Julia Klöckner als genau das erreicht, was sie eigentlich nicht wollte. Wie heisst es bei Tocotronic so schön?
Das Gegenteil von gut ist gut gemeint.
Man kann in alles etwas schlechtes reininterpretieren, weil aus Gründen 🥱😴😴😴