Im August herrscht meist eine Newsflaute, welche die Journalisten zwingt, nach jedem Strohhalm zu greifen. Man spricht deshalb von einer «Saure-Gurken-Zeit» und bezichtigt die Medien des Clickbaits.
Auf den ersten Blick scheint der Wirbel um eine Jeans-Werbung in den USA ein Musterexemplar für diesen Vorwurf zu sein. Er ist doppelt falsch: Zum einen sorgt Donald Trump dafür, dass das Sommerloch in diesem Jahr ausbleibt. Es gibt mehr Stoff – Alaska, Epstein, Zollstreit –, als uns Journalisten lieb sein kann. Zum anderen ist diese Kontroverse ein deutliches Anzeichen für eine Wende im Kulturstreit.
Doch zunächst: Worum geht es überhaupt?
Der Jeans-Hersteller American Eagle befindet sich in Nöten. Deshalb verpflichtet er Sydney Sweeney, eine 27-jährige, aufstrebende Schauspielerin, für eine Werbekampagne. Sweeney ist keine zufällige Wahl. Die «Financial Times»-Kolumnistin Jo Ellison beschreibt sie wie folgt: «Sie ist zierlich, hat blaue Augen und Schlafzimmerblick und wird gemeinhin als Frau betrachtet, die, wie ihre Grossmutter einst sagte, ‹die besten Titten in Hollywood› hat.»
Der TV-Spot hat es ebenfalls in sich. Sweeney räkelt sich in einem Jeans-Anzug und säuselt dabei verführerisch die Worte: «Gene werden von den Eltern ihren Kindern weitergegeben. Sie bestimmen oft die Haarfarbe, die Persönlichkeit und die Farbe der Augen. Meine Gene sind blau.» Zum besseren Verständnis muss man wissen, dass im Englischen «Genes» und «Jeans» gleich ausgesprochen werden.
Die Rechnung ist voll aufgegangen. Kaum wurde der TV-Spot ausgestrahlt, sprang der Kurs von American Eagle um 24 Prozent in die Höhe. (Inzwischen ist er wieder gesunken, aber das ist eine andere Geschichte.) Vor allem jedoch hat dieser Spot eine weitere Schlacht im amerikanischen Kulturkrieg ausgelöst.
Nicht die Demokraten sind dabei die Schuldigen, sondern die Republikaner. Sie triumphieren, nicht nur, weil Sweeney ein eingeschriebenes Mitglied der Grand Old Party ist – sie hält sich allerdings mit politischen Kommentaren zurück –, sondern weil sie eine weitere Gelegenheit gekommen sahen, die Demokraten zu trollen, will heissen, sie lächerlich zu machen.
Der Präsident hat höchstpersönlich den Startschuss zu dieser Kulturschlacht abgefeuert. Auf seiner Plattform Truth Social postete er: «Das ist der derzeit heisseste Werbespot überhaupt. Zeig’s ihnen, Sydney.» Gleichzeitig erklärte er: «Ich liebe den Spot, und ihr würdet überrascht sein, wie viele Republikaner dies ebenfalls tun.»
Andere prominente Republikaner folgten auf der Stelle. Senator Ted Cruz postete: «Jetzt werden die Linken eine Hatz auf eine wunderschöne Frau veranstalten.» Rechtsradikale Blogger wie Charlie Kirk und Clay Davis widmeten dem Thema Stunden, in denen sie über die «hirnverbrannte Kultur der Linken» polemisierten.
Natürlich durfte auch Vize J.D. Vance nicht fehlen. In einem Podcast-Interview stellte er die rhetorische Frage: «Haben die Demokraten nichts aus den Wahlen gelernt? Die Lektion, die ihnen geblieben ist, lautet offenbar: ‹Wir werden Menschen, die Sydney Sweeney attraktiv finden, als Nazis verunglimpfen.›»
Dumm bloss, dass die Demokraten ihre Lektion tatsächlich gelernt haben und diesmal nicht in die Troll-Falle der Republikaner tappten. Natürlich gab es ein paar Unverbesserliche, die in den sozialen Medien Sweeney attackierten. Doch die Demokraten hielten sich insgesamt vornehm und weise zurück. Eric Swalwell, ein einflussreicher Abgeordneter aus Kalifornien, postete auf X unmissverständlich: «Den Spot von Sydney Sweeney anzugreifen, ist dumm.»
Das Trolling der Republikaner ist für einmal nach hinten losgegangen. Der Werbespot jedoch ist ein weiterer Meilenstein für eine Trendwende im Kulturkrieg. In Hollywood ist «heiss, geil und weiss» wieder angesagt, wie Sharon Waxman in einer Kolumne in der «New York Times» feststellt. «Die Unterhaltungsindustrie hat ein sehr ausgeprägtes Sensorium für kulturelle Signale. Nach dem Mord an George Floyd hat das Pendel nach links ausgeschlagen, seit 2023 jedoch hat es begonnen, sich wieder in die andere Richtung zu bewegen.»
Der weibliche Busen spielt dabei eine zentrale Rolle. An der Hochzeit von Jeff Bezos und Lauren Sánchez bestimmten aus engen Korsetts quellende Brüste der Frauen die Bilder. «Wer sich nun wundert, was ein so frivoles Thema mit Politik zu tun hat, unterschätzt das Talent der Brust zur Früherkennung gesellschaftlicher Beben», stellt Nicole Althaus in der «NZZ am Sonntag» fest.
Der wogende Busen ist eine Absage an die Transgender-Kultur. Er stehe «in einer Ära, in der Geschlecht fluide, Identität verhandelbar und Rollen austauschbar sind, für das, was einige offenbar schmerzlich vermissen: Eindeutigkeit».