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Ein V-Mann packt aus – der Spitzel, der vor Terrorist Amri gewarnt hatte

Ein V-Mann packt aus – der Spitzel, der vor Berlin-Terrorist Amri gewarnt hatte

19.05.2020, 15:01
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epa05684720 An undated handout composite photo made available by German Federal Criminal Police Office (BKA) on 21 December 2016 shows suspect Anis Amri who is searched for in connection to the 19 Dec ...
Er verübte den Anschlag von Berlin: Anis Amri.Bild: EPA/DPA/BKA

Hätte der islamistische Terroranschlag in Berlin im Dezember 2016 verhindert werden können? Vor dem Islamisten Amri hat besonders ein V-Mann gewarnt. Aber er wurde nicht gehört. Nun legen «Spiegel»-Journalisten seine Geschichte vor.

VP01 heisst er in den Akten, der V-Mann, der mit dem späteren islamistischen Attentäter Anis Amri unterwegs war. Er ermittelte verdeckt für die Kriminalpolizei in Nordrhein-Westfalen unter Dealern, Mördern, Dieben und schliesslich unter Islamisten und Terroristen.

Murat Cem ist sein Deckname, wie der «Spiegel» Anfang März berichtete. In «Undercover - Ein V-Mann packt aus» beschreiben die «Spiegel»-Reporter Jörg Diehl, Roman Lehberger und Fidelius Schmid detailliert seine Einsätze.

Vor dem islamistischen Terroranschlag auf einem Berliner Weihnachtsmarkt im Dezember 2016 hatte Cem die Polizei mehrfach vor Amri gewarnt. Die Autoren bezeichnen ihn als «wohl wichtigsten Polizeispitzel der deutschen Kriminalgeschichte».

Geheimwaffen der Polizei

V-Männer sind die Geheimwaffen der Polizei gegen Verbrecher und Extremisten. Und oft die einzige Chance, um Mörder zu überführen oder in abgeschottete Kreise von Drogenhändlern oder Islamisten vorzudringen. Sie werden Vertrauenspersonen (VP) genannt. Selten erfährt die Öffentlichkeit von ihren Einsätzen.

Murat Cem wird auf Verdächtige angesetzt, um sie auszuhorchen. Was er dabei nicht darf: selber Straftaten begehen oder andere dazu drängen. Vertrauen unter Kriminellen gewinnt man aber nur, wenn man nicht zimperlich ist. Der V-Mann ist auf einer ständigen Gratwanderung. Die Regeln legt Cem «situationsbedingt» aus, wie die Autoren schreiben.

Der junge Mann mit freundlichem Auftreten und fundierten Kenntnissen der Kleinkriminalität geht wochenlang auf Polizeikosten mit Dealern und Mördern trinken, zum Glücksspiel und ins Bordell, nimmt Drogen und plant grosse Rauschgiftgeschäfte. Bei der Übergabe des Stoffs schlägt dann regelmässig ein Spezialeinsatzkommando (SEK) zu.

Die Polizei lobt und bezahlt Cem. 100 Euro gibt es pro Tag in bar. Sie schickt ihn aber auch immer wieder in neue Einsätze, ohne Rücksicht auf sein Familienleben oder andere Jobs. Die Fahnder brauchen Erfolge, Cem geniesst sein Leben als eine Art Geheimagent.

Von insgesamt 60 Einsätzen in 17 Jahren ist in dem Buch die Rede. Selten geht etwas schief. Einmal durchschaut ein türkischer Zuhälter mitsamt seiner Schlägertruppe in Köln Cem, trotzdem bleiben sie befreundet. Eine Fahnderin schimpft gegenüber seinen VP-Führern, die Polizei könne nicht die ganze Zeit «Murats Fickerei» bezahlen.

Schilderungen des V-Manns im Zentrum

Das Buch beruht vor allem auf Cems Schilderungen. Vieles sei durch Akten und Gespräche mit Weggefährten überprüft worden, beteuern die Autoren. Manche Passagen stützen sich trotzdem nur auf Cems Erinnerungen - auch wenn der «Spiegel» sie so erzählt, als sei er dabei gewesen.

2013 setzt die Kriminalpolizei Cem auf Islamisten in Nordrhein-Westfalen an. Monatelang betet er in Moscheen, lässt sich einen Bart wachsen und dringt in die Salafistenszene im Ruhrgebiet vor. Er liefert Informationen über Hassprediger und mögliche Anschlagspläne, die zu einem umfangreichen Ermittlungsverfahren führen.

Am 17. November 2015 lernt Cem den Tunesier Anis Amri kennen, der in den nächsten Monaten viel von Anschlägen spricht. Cem informiert das Landeskriminalamt (LKA) Nordrhein-Westfalen. Dort ist man alarmiert. Gleichzeitig wiegelt das Bundeskriminalamt (BKA) ab und hält Cem als Quelle für nicht zuverlässig. Im Februar fährt Cem mit Amri nach Berlin in die islamistische Fussilet-Moschee. Bis zu seinem Anschlag zehn Monate später geht Amri dort ein- und aus. Cem kehrt zurück ins Ruhrgebiet, wenig später gibt es Streit. Beide sehen sich nie wieder.

Berlin trauert

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Berlin trauert
Der Schock sitzt Berlin am Tag nach dem Attentat tief in den Knochen.
quelle: x02197 / hannibal hanschke
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Im Herbst 2016 zieht das LKA Cem aus der Islamistenszene ab. Es gibt Razzien, die Islamisten nennen ihn einen Spion und rufen zu seiner Tötung auf. Cem warnt das LKA noch einmal vor Amri. Doch der ist dort nicht mehr wichtig, zuständig ist inzwischen Berlin. Murat Cems V-Mann-Karriere läuft aus, das LKA schickt ihn samt Familie in ein Zeugenschutzprogramm. Der ehemalige Top-Spitzel ist unglücklich. Kurz nach dem Terroranschlag am 19. Dezember 2016 in Berlin klingelt sein Handy. «Es war Anis Amri», sagt ein Polizist.

2017 wird durch Zeitungsberichte bekannt, dass ein V-Mann an Amri dran war. Ab 2019 erzählt Cem dem «Spiegel» in langen Sitzungen seine Geschichte. Demnächst hat er noch andere Zuhörer: Der Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags zum Berliner Terroranschlag beschloss Anfang Mai, die VP01 vorzuladen und als Zeugen zu befragen. (aeg/sda/dpa)

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20 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Stinkstiefel
19.05.2020 16:53registriert Juni 2015
Die Reaktion auf Terror ist immer eine politische Forderung nach mehr Überwachung, sprich; mehr Daten.

Regelmässig kommt dann nachträglich raus, dass man die Informationen eigentlich gehabt hätte. Die Behörden haben‘s massiv verkackt. Und das wird mit grösseren Bergen von Daten alles andere als besser...
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Ehrenmann
19.05.2020 16:21registriert Januar 2018
Nun haben Sie ja Bushido als V Mann in Berlin.
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Tschowanni
19.05.2020 16:05registriert Oktober 2015
Ich hoffe das war ist nicht wirklich sein Deckname? Zu jedem Namen gibt es ein Gesicht, dieses lässt sich beschreiben und festhalten. Kann mir Vorstellen das es einige sind die daran Interesse haben. Welche Motivation das LKA hatte diese Quelle als nicht zuverlässig zu bezeichnen, obwohl er schon Jahrelang erfolgreich im Einsatz war, werden wir wohl nie erfahren. Was mich aber ärgert ist die Tatsache das auch dieser Fall benutzt wurde um den Bürgern mehr Überwachung zu verkaufen. Dabei hätte man einfach auf den Mann hören sollen und ermitteln.
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