«Plötzlich haben wir einen Mann gesehen, mit einem langem Messer, blutverschmiert. Egal, wie cool man sonst ist, in einem solchen Augenblick weiss man erst einmal gar nichts.» Jamel Chraiet war nur wenige Meter entfernt, als es zur Messer-Attacke in einem Hamburger Supermarkt kam.
Der gebürtige Tunesier sass mit Landsleuten vor einem Backshop in unmittelbarer Nähe beim Tatort – und sie reagierten schnell. Jeder habe einen Stuhl geschnappt, «dann sind wir auf ihn losmarschiert. Er wurde bereits von Leuten verfolgt, die auf ihn eingeredet haben».
Videoaufnahmen zeigen, wie sich die Männer dem Attentäter mit ihren Stühlen entgegenstellten:
Im Netz werden Chraiet und seine Kollegen als Helden gefeiert. Dieser winkt ab: «Das ist einfach eine normale Reaktion.» Er sei aber froh, dass er und seine Landsleute an der Verfolgung beteiligt gewesen seien, so der Tunesier, der seit 27 Jahren in Deutschland lebt und bei der Hamburger Hochbahn arbeitet. «Damit die Leute sehen, es gibt auch andere, die nicht so sind.»
Die Staatsanwaltschaft hat inzwischen Haftbefehl gegen den Messerangreifer erlassen. Der Verdächtige sitze nun in Untersuchungshaft, sagte die Hamburger Oberstaatsanwältin Nana Frombach am Samstagabend. Das Motiv des Palästinensers bleibt unklar.
Zur Sache habe er sich noch nicht geäussert, Aufschluss über das genaue Motiv gebe es deshalb noch nicht, sagte die Oberstaatsanwältin. Der Mann war den Sicherheitsbehörden als Islamist bekannt; es gab Anzeichen für eine Radikalisierung. Bei dem Angriff am Freitag wurde ein Mann getötet, mehrere Menschen wurden teils schwer verletzt.
«Wir gehen im Moment von einem psychisch labilen Einzeltäter aus», sagte Hamburgs Innensenator Andy Grote am Samstag an einer gemeinsamen Medienkonferenz mit Polizei und Staatsanwaltschaft. Es gebe aber auch eine Bezugnahme auf religiöse, islamistische Beweggründe, daher gebe es eine «Gemengelage», bei der noch nicht klar sei, was den 26-Jährigen zu seiner Tat bewogen habe.
Nach Polizeiangaben ging der mutmassliche Täter am Freitagnachmittag im Hamburger Stadtteil Barmbek in einen Supermarkt und kehrte nach Verlassen der Filiale wenig später dorthin zurück. Er habe dann ein Küchenmesser aus einem Regal gezogen und in dem Markt drei Menschen schwer verletzt. Ein 50-jähriger Mann sei später gestorben, sagte Kathrin Hennings vom Landeskriminalamt.
In der nahen Umgebung des Markts verletzte er vier weitere Menschen, bevor sich ihm die Passanten um Jamel Chraiet in den Weg stellten und er schliesslich von der Polizei überwältigt werden konnte.
Den Ermittlern zufolge gibt es keine Hinweise auf Hintermänner oder ein Unterstützer-Netzwerk. Der Mann handelte möglicherweise spontan.
Die bei der Messerattacke verletzten Menschen sind nach den Worten von Grote ausser Lebensgefahr. Der Innensenator sprach von einer «erbärmlichen, verachtenswerten Tat» eines Menschen, der offensichtlich als Schutzsuchender nach Deutschland gekommen sei. Der Angriff habe die Opfer wie aus dem Nichts getroffen. «Es hätte jeden von uns genauso treffen können», sagte Grote.
Der Angreifer sei ausreisepflichtig gewesen und habe sich im Ausreiseverfahren befunden, sagte Grote. Er sei den Behörden als Islamist bekannt gewesen, nicht aber als Dschihadist. Man sei nicht zu der «Einschätzung einer unmittelbaren Gefährlichkeit» gelangt.
Der Mann ist offenbar auch weder in Deutschland noch im Ausland vorbestraft, wie Fröhlich sagte. Ein Diebstahlverfahren gegen ihn wurde den Angaben zufolge wegen Geringfügigkeit eingestellt.
Der Palästinenser habe gegen seinen negativen Asylbescheid keine Rechtsmittel eingelegt und auch bei der Organisation von Passersatzpapieren mitgewirkt, berichtete Grote. Der 26-Jährige sei willens gewesen auszureisen.
Noch am Freitag habe er sich bei der Ausländerbehörde erkundigt, ob seine Passersatzpapiere eingetroffen seien. Polizeipräsident Ralf Meyer sagte, der Mann sei in dieser Hinsicht eine «fast vorbildhafte Person» gewesen.
Der Hamburger Innenstaatsrat Bernd Krösser erklärte, der Angreifer sei 2015 nach Deutschland eingereist. Zuvor sei er in Norwegen, Schweden und Spanien gewesen. Über Norwegen sei er im März 2015 nach Deutschland gekommen, zunächst nach Dortmund.
Von dort aus sei er im klassischen Asylverteilungsverfahren nach Hamburg weitergeleitet worden. Hier habe er schliesslich im Mai 2015 einen Asylantrag gestellt. (sda/dpa/afp/reu/jbu)