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Hunderte Polizisten rücken nach Lützerath vor – Lage droht zu eskalieren

Video: watson/lucas zollinger

Hunderte Polizisten räumen Lützerath – «für die Polizei läuft bislang alles nach Plan»

11.01.2023, 08:5511.01.2023, 16:27
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Unter überwiegend friedlichem Protest hat die Polizei am Mittwoch begonnen, den von Klimaschützern besetzten Ort Lützerath im Nordwesten Deutschlands zu räumen. Bis zum Nachmittag zeigte sich ein Sprecher «sehr zufrieden» mit dem Verlauf.

«Für die Polizei läuft bislang alles nach Plan», sagte er. Im Vorfeld war mit massivem Widerstand gerechnet worden. Beobachter sprachen dagegen von einer zum Teil entspannten Atmosphäre. Früh am Morgen war es zum Auftakt der Räumung im zu Erkelenz zählenden Ortsteil Lützerath im Land Nordrhein-Westfalen zu Rangeleien gekommen. Laut Polizei wurde ein Molotow-Cocktail, Steine und Pyrotechnik in Richtung der Beamten geworfen.

Deutschland steht derzeit unter besonderem Druck, neue Energiequellen zu erschliessen. Der vor Jahren vereinbarte komplette Ausstieg aus der Atomenergie soll nach den Worten von Kanzler Olaf Scholz endgültig Mitte April diesen Jahres erfolgen. Und aus Russland kommt im Zuge von Moskaus Angriffskriegs auf die Ukraine kein Erdgas mehr - dieses war aber für den Übergang von fossilen Brennstoffen und Atomstrom zu Erneuerbaren Energien als wesentlicher Pfeiler der vielzitierten Energiewende eingeplant gewesen.

Erster Räumungstag im Ort Lützerath. Die ersten Schritte zur Räumung des Dorfes Lützerath sind angelaufen Die Polizei räumt erste Barrikaden, trägt Demonstranten weg und räumt die Zuwegungen zum Ortsk ...
Polizei im Einsatz in Lützerath.Bild: www.imago-images.de

Die von den Grünen geführten Wirtschaftsministerien im Bund und in Nordrhein-Westfalen hatten mit dem Energiekonzern RWE einen um acht Jahre auf 2030 vorgezogenen Kohleausstieg vereinbart. Ausserdem sollen fünf bereits weitgehend leerstehende Dörfer am Tagebau Garzweiler in der Nachbarschaft von Lützerath erhalten bleiben. Im Gegenzug soll Lützerath weichen, um dort Kohle zu fördern.

Prominente und Wissenschaftler riefen in zwei voneinander unabhängigen offenen Briefen die Politik auf, die Räumung zu stoppen beziehungsweise ein Moratorium dafür zu verhängen. In ihrem Schreiben führen die Wissenschaftler der Gruppe «Scientists for Future» mehrere Gutachten an, die zu dem Schluss kommen, dass ein Abbau der Braunkohle für eine Versorgungssicherheit nicht nötig, «sondern politisch bestimmt» sei. «Vielmehr steht die Förderung und Verstromung dieser Kohle einer am Pariser Klimaabkommen und dem europäischen Klimagesetz ausgerichteten Energiepolitik entgegen», hiess es weiter. Ein Räumungsmoratorium würde nach ihrer Ansicht die Glaubwürdigkeit der deutschen Klimapolitik international - aber auch bei der jungen Generation - stärken.

Klimaaktivisten protestieren in dem zur Stadt Erkelenz gehoerenden Weiler gegen den Kohleabbau und wollen sich der Abbaggerung des Ortes durch den Energiekonzern RWE widersetzen. Foto vom 10.01.2023:  ...
Klimaaktivist in Lützerath.Bild: www.imago-images.de

Ab Mittag hatte die Polizei damit begonnen, Aktivisten von Bäumen und Podesten zu holen. Dabei setzten die Beamten an verschiedenen Stellen Hebebühnen ein. Am Ortseingang von Lützerath begannen Bagger mit Abrissarbeiten. Auch eines der Ortsschilder von Lützerath wurde am frühen Nachmittag entfernt. Später warfen Beamte selbstgebaute kleine Holzhäuser auf Stelzen um und setzten so die Räumung fort. Nach Angaben eines dpa-Reporters wurden die Beamten dabei in dem Hütten- und Baumhauscamp von Schmährufen der Aktivisten begleitet. Die Polizei entfernte dabei zum Beispiel auch Feuerlöscher, die von den Aktivisten in den Hütten aufbewahrt wurden.

Einige Klimaschützer folgten der Aufforderung der Polizei und gingen freiwillig. Sie wurden vom Gelände eskortiert. Viele wollen aber weiter Widerstand leisten. «Die Menschen sind fest entschlossen dazubleiben, auszuharren, die Bäume und die Gebäude zu schützen», sagte Mara Sauer, eine Sprecherin der Initiative «Lützerath lebt».

Erster Räumungstag im Ort Lützerath. Die ersten Schritte zur Räumung des Dorfes Lützerath sind angelaufen Die Polizei räumt erste Barrikaden, trägt Demonstranten weg und räumt die Zuwegungen zum Ortsk ...
Räumung in Lützerath.Bild: www.imago-images.de

Zu verletzten Polizisten lagen bis zum Nachmittag nach Auskunft eines Sprechers keine Informationen vor. Auch zu möglichen Festnahmen könne er noch nichts sagen. «Wir haben hier ganz überwiegend friedlichen Protest erlebt, in Sitzblockaden, auf Tripods - und das sind Protestformen, mit denen wir super parat kommen», betonte er. Wenn die Aktivisten sich wegtragen liessen, sei das noch passiver Protest und damit ihm Rahmen dessen, was angemessen sei.

Die führende Klimaaktivistin Greta Thunberg will für Proteste nach Lützerath kommen. Die junge Schwedin wird nach dpa-Informationen am Samstag (ab 12.00 Uhr) an einer Demonstration gegen die Räumung der von Klimaaktivisten besetzten Ortschaft teilnehmen. Thunberg war bereits im September 2021 nach Lützerath gereist, um gegen den Kohleabbau und für die Einhaltung des 1,5-Grad-Klimaziels zu demonstrieren - einen Tag vor der damaligen Bundestagswahl.

So geht es weiter

RWE kündigte an, dass als Erstes ein eineinhalb Kilometer langer Zaun um den Ort gebaut werde.

«Er markiert das betriebseigene Baustellengelände, wo in den nächsten Wochen die restlichen Gebäude, Nebenanlagen, Strassen und Kanäle der ehemaligen Siedlung zurückgebaut werden. Zudem werden Bäume und Sträucher entfernt.»
Erster Räumungstag im Ort Lützerath Die Vorbereitungen zur Räumung des Dorfes Lützerath laufen auf Hochtouren. Die Polizei räumt erste Barrikaden, trägt Demonstranten weg und räumt die Zuwegungen zum  ...
Räumung in Lützerath.Bild: www.imago-images.de

Weiter meldet der Konzern: «Das Unternehmen bedauert, dass der anstehende Rückbau nur unter grossem Polizeischutz stattfinden kann und dass Gegner des Tagebaus zu widerrechtlichen Störaktionen und auch Straftaten aufrufen.»

(yam/sda/dpa)

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162 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Pi ist genau Drei!
11.01.2023 09:47registriert Februar 2017
Ich finde, die Aktivisten hanen bereits hervorragende geleistet indem sie Öffentlichkeit hergestellt haben. Ohne sie wüsste ich nicht dass in deutschhland auch 2023 noch ganze dörfer dem schädlichen Kohleabbau weichen müssen. Um ganz ehrlich zu sein: das ist ein absoluter skandal. Vor allem weil es in D passiert!
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Dr no
11.01.2023 09:16registriert Mai 2018
Genau mein Humor: Diesel verteufeln und Elektroautos pushen, aber Braunkohle abbauen
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Pal_01
11.01.2023 10:45registriert Juli 2020
Wenn man mit zwang ein Dorf räumen kann, wieso dann nicht gleich mit zwang Windräder aufstellen, wäre wenigstens sinnvoll.
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