Am letzten Tag des G20-Gipfels haben in Hamburg erneut Tausende Menschen gegen das Treffen der Wirtschaftsmächte demonstriert. Zunächst blieb es bei den Protestaktionen am Samstag laut Polizei friedlich.
Nach der zweiten heftigen Krawallnacht in Folge rechnen die Beamten allerdings erneut mit gewaltsamen Protesten. Die Gewalttäter würden sich mit hoher Wahrscheinlichkeit unter die Demonstration «Grenzenlose Solidarität statt G20» mischen, erklärte Hamburgs Polizeipräsident Ralf Martin Meyer.
Unter dem Motto «Grenzenlose Solidarität» versammelten sich am Deichtorplatz nahe dem Hauptbahnhof laut Polizei zunächst rund 15'000 Demonstranten – auf der Route wuchs der Zug bis zum frühen Nachmittag auf 22'000 Teilnehmer an. Die Veranstalter bezifferten die Zahl der Teilnehmer mit 76'000.
Der Linken-Bundestagsabgeordnete Jan van Aken führte die Demonstration an. Sie richtete sich vor allem gegen Armut, Krieg und die Ursachen von Flucht. Linke Gruppen und Friedensinitiativen, aber auch Autonome und Linksextreme unterstützten sie. Die Demonstration erreichte kurz vor 16 Uhr den Millerntorplatz. Dort sollte es noch eine Abschlusskundgebung geben.
Bei der Demonstration «Hamburg zeigt Haltung», zu der bürgerliche Parteien und Kirchen aufgerufen hatten, marschierten Tausende Demonstranten mit Luftballons und Friedenstransparenten in Richtung Fischmarkt. New Yorks Bürgermeister Bill de Blasio sollte am Nachmittag bei der Abschlusskundgebung sprechen.
Die Aufräumarbeiten kamen nach den heftigen Ausschreitungen in der Nacht zum Samstag im linksalternativen Schanzenviertel schnell voran. Dort waren die Proteste eskaliert: Zunächst konnten Autonome mehrere Stunden lang an der Strasse Schulterblatt ungehindert randalieren. Ein Laden der Drogerie-Kette Budnikowsky und ein Rewe-Supermarkt wurden geplündert.
Danach ging die Polizei mit einem massiven Aufgebot und Spezialkräften gegen mehrere hundert Randalierer vor. Mit gepanzerten Fahrzeugen wurden brennende Barrikaden weggeschoben. Die Polizei setzte Wasserwerfer und Tränengas ein. Im Laufe der Nacht beruhigte sich die Lage, vereinzelt kam es in den frühen Morgenstunden noch zu Flaschenwürfen auf Polizeifahrzeuge.
«G20: Eine solche Nacht darf sich in unserem Rechtsstaat nicht wiederholen!», twitterte die Gewerkschaft der Polizei (GdP). Der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach sprach von «bürgerkriegsähnlichen Zuständen». Kanzleramtschef Peter Altmaier bezeichnete die Hamburger G20-Krawalle als «Terror».
Linksextremer Terror in Hamburg war widerwärtig und so schlimm wie Terror von Rechtsextremen und Islamisten. Danke Polizei. Danke Hamburg.
— Peter Altmaier (@peteraltmaier) 8. Juli 2017
Hamburgs CDU-Oppositionschef André Trepoll warf Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) und seinem rot-grünen Senat vor, bei der Einschätzung der Sicherheitslage rund um den G20-Gipfel versagt zu haben. «Wie kam es zu der Einschätzung, man könne den Gipfel mit dem Hafengeburtstag gleichsetzen?» Weshalb Scholz seine «markige Sicherheitsgarantie» für den Gipfel nicht habe halten können, müsse politisch aufgearbeitet werden.
Über allem steht die Frage: Warum hält man den G20-Gipfel mitten in einer Großstadt ab und wessen Idee war das? Wie entkoppelt... 1/2
— Jan Böhmermann (@janboehm) 7. Juli 2017
...von "den Menschen", Polizei, Anwohnern und friedlichen Demonstranten muss man eigentlich sein, dass man das für eine gute Idee hält? #G20
— Jan Böhmermann (@janboehm) 7. Juli 2017
Auch die Hamburger FDP warf Scholz vor, den Gipfel «massiv unterschätzt» zu haben. «Olaf Scholz hat Hamburg weltweit blamiert und in Verruf gebracht» erklärte die Vize-Bundesvorsitzende und Hamburger Landeschefin Katja Suding. Scholz selbst äusserte sich sehr besorgt über die schweren Ausschreitungen und forderte gewalttätige Demonstranten zum sofortigen Rückzug auf.
Ein Grossteil der Geschäfte in der Hamburger Innenstadt blieb am Samstag geschlossen, wie City-Managerin Brigitte Engler sagte. Die Geschäftsleute hätten dies mit dem Schutz der Mitarbeiter angesichts der Bilder aus der Krawallnacht begründet.
Die Polizei griff nach eigenen Angaben bei den schweren Krawallen in der Nacht zum Samstag nicht früher ein, weil sie um das Leben ihrer Beamten fürchtete. Nach Erkenntnissen der Polizei seien auf Dächern Gehwegplatten abgelegt und Brandflaschen vorbereitet gewesen.
Beamte seien mit Stahlkugeln beschossen worden, sagte Sprecher Timo Zill. «Es ging eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben der Polizeibeamten aus. Wir wollten nicht schlecht vorbereitet in das Schanzenviertel gehen und die Räumung nicht durchbekommen.»
Unsere Befürchtungen haben sich bestätigt. Mehrere Kollegen wurden bei den gestrigen Krawallen durch Zwillengeschosse verletzt. #G20HAM17 pic.twitter.com/f8dbK3ubtV
— Polizei Hamburg (@PolizeiHamburg) 7. Juli 2017
Die Randalierer hinterliessen eine Spur der Verwüstung: Zerstörte Velos, Mülltonnen, Steine und Trümmer lagen auf der Strasse, Fensterscheiben waren eingeschlagen. Auf dem Rollladen eines Geschäfts stand «Chaostage Hamburg».
Andreas Blechschmidt vom linksautonomen Kulturzentrum «Rote Flora» distanzierte sich von den Gewaltexzessen. «Wir haben den Eindruck gehabt, dass sich hier etwas verselbstständigt hat, dass hier eine Form von Militanz auf die Strasse getragen wurde, die sich so ein bisschen an sich selbst berauscht hat – und das finden wir politisch und inhaltlich falsch», sagte Blechschmidt dem Sender NDR.
Militianz war "politisch und inhaltlich falsch" - Andreas Blechschmidt von der Roten Flora verurteilt die Eskalation. #G20HH2017 #G20 pic.twitter.com/MjKKTxjSjG
— NDR.de (@ndr) 8. Juli 2017
(dsc/sda/dpa)
Sie waren nicht darauf vorbereitet, mit tödlichen Waffen angegriffen zu werden. Hätten sie eingegriffen, wäre das wie wenn sie mit Schlagstöcken zu einem Banküberfall gehen würden.
Die Politik und die Leitung der Polizei müssen sich das nächste Mal auf solche bei uns für undenkbar gehaltenen Bedrohungen einstellen. Es darf nicht sein, dass der Staat nicht für Ordnung sorgen kann.