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Darum geht's in Lützerath gerade drunter und drüber – in vier Punkten

Darum geht's in Lützerath grade drunter und drüber

11.01.2023, 14:1311.01.2023, 18:39
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Krawall im Rheinland: Was sich nach Boxkampf anhört, ist in Wahrheit ein Ringen zwischen Aktivistinnen und Polizei. Es geht um das Mini-Dorf Lützerath und dessen bevorstehenden Abriss. Hier das Wer, das Wie und das Warum.

Was ist Lützerath?

Lützerath ist ein Weiler, also ein Ortsteil oder eine grössere Siedlung der 43'000-Einwohner-Stadt Erkelenz in Nordrhein-Westfalen. Der Weiler liegt zwischen Düsseldorf und Aachen und ist von beiden Städten aus in ca. 40 Minuten mit dem Auto zu erreichen.

Lützerath vor Abrissbeginn, 2019
Lützerath vor Abrissbeginn, 2019.Bild: Wikipedia

In Lützerath lebten im Jahr 2010 noch 55 Menschen (Statista), die Einwohnerzahl war aber schon lange abnehmend. Im Juni 2022 waren es gerade noch 8 Personen, die in Lützerath wohnten. Grund für die Bevölkerungsflucht war die stetige Ausweitung des Tagebaus Garzweiler und die schlussendlich bevorstehende Räumung des Weilers.

Was ist der Tagebau Garzweiler?

Der Tagebau Garzweiler ist, wie der Name vermuten lässt, ein Tagebau – für Braunkohle. Auf einer Fläche von rund 31 km² werden dort pro Jahr gut 25 Millionen Tonnen Kohle gefördert. Die Wurzeln des Tagebaus liegen in den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts, offiziell gibt es den Garzweiler aber erst seit 1983. Die ursprüngliche Abbaufläche (Garzweiler I) ist heute grösstenteils erschöpft; es gibt keine Kohle mehr, die dort gefördert werden könnte. Darum expandiert die Muttergesellschaft «RWE-Power» kontinuierlich nach Westen.

Absetzer im Tagebau Garzweiler in der blauen Stunde, Grevenbroich, Nordrhein-Westfalen, Deutschland, Europa iblfhr04017711.jpg

Absetzer in Mining Garzweiler in the blue Hour Grevenbroich North Rhin ...
Damit man die Dimensionen des Lochs verstehen kann: Der zu sehende Schaufelradbagger 288 ist rund 96 Meter hoch.Bild: imago stock&people

Lützerath ist somit nicht die erste Ortschaft, die dem wachsenden Tagebau zum Opfer fällt. Im Laufe der Jahre sind bereits 14 solcher Weiler abgerissen und die Anwohner umgesiedelt worden. Total verloren so über 10'000 Menschen ihre Heimat im Gebiet des Tagebau Garzweilers. Wo jetzt nichts mehr gefördert wird, wurde die Natur «restrukturiert», also aufgeschüttet und zur landwirtschaftlichen Nutzung aufbereitet, teils sogar bewaldet.

Das soll auch mit dem Rest des Tagebaus geschehen, wenn die Erde vollends erschöpft ist: Geplant ist gar ein grosser See. Die abgerissenen Weiler kommen dadurch aber nicht zurück.

Die amtliche Bewilligung für eine Vergrösserung der Abbaufläche westlich der ehemaligen Autobahn, wo eben auch Lützerath betroffen ist, wurde bereits 1997 nach jahrelangem Hin und Her im Parlament bewilligt. Während die Grünen und das Bündnis 90 geschlossen gegen das Projekt stimmten, waren die linke SPD sowie die konservative CDU intern zerrissen, was den Ausbau anging. Am Ende unterlagen die Garzweiler-Gegner.

Der Ausbau des Tagebaus Garzweiler im Dezember '22. Auch erkennbar: Mit den Beschlüssen von 2016 und 2022 wurde die geplante Abbaufläche massiv verkleinert.
Der Ausbau des Tagebaus Garzweiler im Dezember '22. Auch erkennbar: Mit den Beschlüssen von 2016 und 2022 wurde die geplante Abbaufläche massiv verkleinert.bild: wikipedia.org/wiki/Tagebau_Garzweiler#

Der Plan sah vor, 68 km² Abbaufläche dazuzugewinnen und so den Tagebau bis 2045 in Betrieb zu lassen. Die Autobahn wurde dazu abgerissen, 2006 schaufelten die Bagger zum ersten Mal im neuen Gebiet «Garzweiler II». Nacheinander fielen Otzenrath, Holz und Spenrath dem Loch zum Opfer.

Mit der Nuklearkatastrophe von Fukushima änderte sich die Energiepolitik Deutschlands, man wollte weg von Atom und Kohle. So beschloss die (mittlerweile) rot-grüne Regierung von Nordrhein-Westfalen, dass die geplante Abbaufläche verkleinert werden sollte. 2016 wurde beschlossen, dass Holzweiler und Dackweiler nun nicht mehr abgerissen werden sollten. Mit der Erklärung des Bundeskanzlers Olaf Scholz im Dezember 2022, man wolle den Betrieb früher als geplant, bereits 2030, einstellen, wurde die Fläche noch einmal verkleinert. So ist nun Lützerath der letzte Weiler, der im Garzweiler fällt.

Warum soll Lützerath geräumt werden?

Dass der Abriss schon lange beschlossen wurde, ist klar. Aber hätte man Lützerath nicht auch gleich stehen lassen können, wie die anderen Weiler weiter westlich und nördlich? Nein, sagt der Energiekonzern RWE. Die Menge, die man fördern dürfe, sei mit den neuen Flächenverkleinerungen deutlich geschrumpft. Die Kohle unter dem Gebiet von Lützerath werde aber benötigt, um in der Energiekrise die Braunkohlekraftwerke hochfahren zu können, wie die Frankfurter Allgemeine (FAZ) schreibt.

Damit spielt RWE auf den andauernden Ukraine-Krieg und die damit verbundene Gasmangellage an. Als Reaktion auf das Ausbleiben russischen Gases soll mehr Braunkohle verstromt werden: Zwei grosse Kraftwerksblöcke, die eigentlich schon Ende 2022 abgeschaltet werden sollten, sollen bis Ende März kommenden Jahres am Netz bleiben. So viel zum Kohleausstieg.

«Die bergbauliche Inanspruchnahme der ehemaligen Siedlung Lützerath in diesem Winter ist notwendig, um inmitten der Energiekrise eine sichere Versorgung der Kraftwerke zu gewährleisten und Gas bei der Stromversorgung einzusparen sowie ausreichend Abraum und Löss für eine hochwertige Rekultivierung zu gewinnen»
RWE-Statement zu Lützerathfaz

Die RWE und die nordrhein-westfälische Wirtschaftsministerin Mona Neubaur stützen sich dabei auf mehrere «unabhängige» Berechnungen, nach denen die Lützerath-Kohle eben notwendig sei. Neubauer hat die Ergebnisse als «unbestreitbar» eingestuft, so die FAZ. Von Gegnern der Räumung sowie Umweltverbänden wie der «Coal Exit Research Group» werden die Berechnungen angezweifelt.

Warum protestieren die Protestierenden?

Eigentlich geht es den Aktivistinnen nur um etwas: Raus aus der Kohle, ASAP. Das bestätigte auch Luisa Neubauer, die man durchaus als Gesicht der Bewegung bezeichnen kann, in einer Rede bei Lützerath am Sonntag:

«Es muss Schluss sein mit der Zerstörung hier, wenn wir irgendwann mal weniger Krise haben wollen.»
Luisa Neubauer

Besetzter Weiler Lützerath wird geräumt

Video: watson/lucas zollinger

Für sie ist der Kohleabbau (zu Recht) ein essenzieller Faktor in der Klimakrise. Neubauer hat vorgerechnet, dass mit der Kohle, die unter Lützerath liegt, auch rund 280 Millionen Tonnen CO² vergraben sind – das sind etwa 70 Millionen Flüge von Zürich nach New York und retour.

Für viele der Aktivistinnen und Aktivisten geht es aber nicht nur um den symbolischen Wert Lützeraths: Einige leben schon seit über zwei Jahren dort. Teils in den leer stehenden Häusern, teils aber auch in selbst gebauten Holzhütten. Der Weiler war schon länger Ort des Protests, doch erst jetzt eskalierte das Ganze mit dem Beginn des Abrisses.

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107 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Mike Shivago
11.01.2023 15:09registriert Juli 2017
Was soll das mit dieser "1"? Ist das die offizielle Bezeichnung des Projekts oder bin ich zu alt um den neusten Mist in Sachen Ausdrucksweise zu verstehen?
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Nordkantonler
11.01.2023 14:33registriert September 2020
"Krawall im Ruhrgebiet[...]Was ist 1 Lützerath"

Weiter muss man gar nicht lesen. Lützerath mag so einiges sein, aber Ruhrgebiet ist es sicher nicht (ebenso wenig wie Düsseldorf, das zumindest noch mal eine ganze Ecke näher dran ist).

"Was ist 1 Recherche" sollte wohl eher die Frage, "offenbar nicht so wichtig" scheint die Antwort zu sein. Leider.
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The Danisher
11.01.2023 14:36registriert Juni 2019
"Was ist 1 Lützerath?" Wirklich? Wie alt seid ihr?
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