International
EU

EU will für Krieg bereit sein – doch der Weg zur Supermacht ist steinig

Europas steiniger Weg zur Supermacht

Die EU-Staats- und Regierungschefs wollen Europa bis in fünf Jahren kriegstauglich machen. Ein Blick hinter den Vorhang offenbart jedoch: Das wird schwierig werden.
21.03.2025, 17:1421.03.2025, 17:14
Remo Hess, Brüssel / ch media

Jetzt soll es schnell gehen: Bis in fünf Jahren will Europa «verteidigungsfähig» sein. Darauf haben sich die EU-Staats- und Regierungschefs bei ihrem Gipfeltreffen am Donnerstag in Brüssel verständigt.

European Union foreign policy chief Kaja Kallas speaks with the media as she arrives for an EU summit at the European Council building in Brussels, Thursday, March 20, 2025. (AP Photo/Geert Vanden Wij ...
Wird sie zu Europas Kassandra? Die hohe Aussenbeauftragte der EU, Kaja Kallas.Bild: keystone

Mindestens 800 Milliarden Euro braucht es dazu. So steht es im sogenannten «Weissbuch zur Verteidigung», welches die EU-Kommission tags zuvor präsentiert hat. Es ist der Plan, aus Europa bis zum Jahr 2030 eine militärische Supermacht zu machen. Oder zumindest eine, die sich gegen einen Angriff Russlands behaupten kann. Auch ohne amerikanische Hilfe, wenn es sein muss.

Doch der neue EU-Verteidigungskommissar Andrius Kubilius hat recht, wenn er sagt: «Wladimir Putin lässt sich nicht abschrecken, indem wir ihm das Weissbuch vorlesen.» Der Litauer fordert: «Umsetzen, umsetzen, umsetzen!»

Leider wird das nicht ganz einfach. 800 Milliarden Euro fallen nicht vom Himmel. Und schiebt man den Vorhang der neuen Selbstverteidigungs-Rhetorik etwas zur Seite, tun sich in Europa durchaus tiefe Gräben auf. Eine Übersicht:

Frankreich sagt: «Wir haben es schon immer gewusst»

Seit seinem Amtsantritt im Jahr 2017 spricht der französische Präsident Emmanuel Macron unentwegt von der «Souveränität», die Europa erreichen müsse. Er kann gut reden, denn Frankreich ist souverän. Es hat eigene Atomwaffen, es baut eigene Kampfjets, eigene U-Boote, eigene Flugabwehrsysteme.

French President Emmanuel Macron speaks to soldiers at the Luxeuil-Saint-Sauveur airbase, in Saint-Sauveur, north-eastern France, Tuesday, March 18, 2025. (Ludovic Marin, Pool via AP)
France Defense
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron auf der Luftwaffenbasis Luxeuil-les-Bains, die zum vierten französischen Atomwaffen-Stützpunkt werden soll.Bild: keystone

Das hat Paris viel Geld gekostet. Frankreich gehört zu den am höchsten verschuldeten Staaten in Europa. Deshalb sagt Macron jetzt auch: Wenn wir schon Hunderte Milliarden in die europäische Aufrüstung investieren, sollten wir eigene Waffen kaufen und nicht das Geld der europäischen Steuerzahler nach Amerika überweisen. Und natürlich sagt Macron mit Blick auf die eigene Haushaltskasse auch, dass man die Anstrengungen zusammen schultern müsse. Das heisst: gemeinsame EU-Schulden machen, sogenannte «Verteidigungsbonds».

Deutschland bleibt in der US-Nostalgie gefangen

Deutschland sieht das anders. Nach einer langen Politik der «Schwarzen Null» hat es sich eben durchgerungen, viel Geld für die Bundeswehr in die Hand zu nehmen. Jetzt will man nicht auch noch die Rechnungen der anderen bezahlen. Noch-Bundeskanzler Olaf Scholz sperrt sich deshalb vehement gegen jegliche EU-Verteidigungsbonds und hört nicht auf zu betonen, dass das auch bei der kommenden Regierung von Friedrich Merz so sein werde.

epa09937877 A German soldier looks on as he shows how it works at the launching station of NATO's Patriot missile air defense system operated by German army unit Flugabwehrraketengruppe 26 (Air D ...
Deutschland hat rund 70 Prozent seiner Rüstungseinkäufe in den USA getätigt. Im Bild: ein Patriot-Luftabwehrsystem der Bundeswehr.Bild: keystone

Deutschland ist anders als Frankreich auch in einer US-Abhängigkeit gefangen. Das Land hat 70 Prozent seines Kriegsgeräts in den USA gekauft. Von einer «Hergestellt in Europa»-Klausel will Berlin deshalb nichts wissen. Es hofft, dass vom neuen 150 Milliarden schweren EU-Kreditprogramm zum Beispiel auch Flugabwehrraketen des US-Systems «Patriot» gekauft werden können. Zum Beispiel solche, die in der Fabrik in Bayern gebaut werden.

Im Süden ist der Weckruf noch nicht angekommen

Die Wahrnehmung bestimmt die Realität und diese sieht so aus, dass im Süden Europas der Weckruf durch die russische Bedrohung noch nicht angekommen ist. Italien und Spanien, immerhin die dritt- und viertstärksten Volkswirtschaften in der EU, haben nicht nur der Ukraine sehr überschaubare Militärhilfen geliefert. Sie gehören mit 1,6 Prozent respektive 1,3 Prozent Verteidigungsausgaben gemessen an der Wirtschaftskraft auch zu den Schlusslichtern in Europa.

epa11977274 Prime Minister of Spain Pedro Sanchez speaks with the media during a European Council summit in Brussels, Belgium, 20 March 2025. Competitiveness, the latest developments in Ukraine, and t ...
«Die Herausforderungen im Süden sind andere als an der Ostflanke», sagt der spanische Premierminister Pedro Sanchez.Bild: keystone

Viel Lust, das zu ändern, ist im Moment nicht zu spüren: «Unsere Gefahr ist nicht, dass Russland seine Soldaten über die Pyrenäen schickt», sagte der spanische Premier Pedro Sanchez unlängst. Seine Prioritäten liegen eher in der Cybersicherheit, der Bekämpfung der illegalen Migration und beim Klimaschutz. In Italien führt Premierministerin Giorgia Meloni derweil eine Regierung mit dem Lega-Chef Matteo Salvini, der auf die Demütigung von Wolodimir Selenski bei US-Präsident Donald Trump mit russischem Vodka angestossen hat, wie italienische Medien berichten.

Ungarn ist sein eigenes Lager

Anders als das «Nicht unser Problem»-Lager ist Viktor Orbáns Ungarn schon mehr oder weniger offen auf der Seite Russlands. Orbán blockiert in Brüssel systematisch alles, was mit der Ukraine-Unterstützung zu tun hat. «Strategische Abweichung», nennt er es. Es ist normal geworden, dass an EU-Gipfeln zur Ukraine mittlerweile im Format 26 minus 1 beschlossen werden muss. So auch am Donnerstag. Der slowakische Premier Robert Fico ist zwar oft gleicher Meinung wie Orbán, scheut aber den offenen Widerstand.

Slovakia's Prime Minister Robert Fico, left, speaks with Hungary's Prime Minister Viktor Orban during a round table meeting at an EU summit in Brussels, Thursday, March 20, 2025. (AP Photo/O ...
Kumpels unter sich: der slowakische Premier Robert Fico mit Ungarns Viktor Orbán (rechts).Bild: keystone

Die Kassandrarufer

Niemals Illusionen über Putins imperiale Absichten gemacht haben sich andere osteuropäische Länder wie Polen oder das Baltikum. Sie investieren proportional auch am meisten in ihre Verteidigung. Während sie in anderen Bereichen traditionell eher gegen EU-Schulden sind, ist es bei der Verteidigung anders. Pragmatisch sind sie für alles, was die Verteidigungsfähigkeit erhöht.

Als ehemalige estnische Premierministerin gehört die EU-Aussenbeauftragte Kaja Kallas heute in der EU zu jenen Stimmen, die am eindringlichsten zur Eile drängen. Tragisch wäre es, wenn sie und ihre osteuropäischen Kollegen am Schluss das gleiche Schicksal erlitten wie die griechische Hellseherin Kassandra. Deren Warnungen verhallten bekanntlich ungehört. (aargauerzeitung.ch)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
Du hast uns was zu sagen?
Hast du einen relevanten Input oder hast du einen Fehler entdeckt? Du kannst uns dein Anliegen gerne via Formular übermitteln.
39 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
memento
21.03.2025 17:50registriert September 2015
"What ever it takes.." wie Merz sagte, dann schmeißt mal endlich diese Ungarn aus der EU oder schließt den Geldhahn. Als Steuerzahler in der EU, würde ich schon lange durchdrehen, wenn man weiss wie wohin das Geld fließt.
5910
Melden
Zum Kommentar
avatar
Ichsagstrotzdem
21.03.2025 19:14registriert Juni 2016
Europa hat das Zeug dazu zur Supermacht zu werden. Und: Europa MUSS irgendwie zu einer Supermacht werden. Wir dürfen die letzte Bastion der Demokratie nicht für einzelne individuelle Vorteile aufgeben.
Ich glaube an die Demokratie und ich glaube daher an ein starkes Europa!
224
Melden
Zum Kommentar
39
Klimawandel treibt bereits Millionen Menschen in die Flucht
Die Folgen des Klimawandels treiben Millionen Menschen weltweit in die Flucht.
In den vergangenen zehn Jahren hätten rund 250 Millionen Menschen wegen Wetterkatastrophen aus ihren Dörfern und Städten fliehen müssen – rechnerisch seien das 70'000 Menschen pro Tag, berichtet das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) vor Beginn der Weltklimakonferenz in Brasilien.
Zur Story