Als «polnischer Klempner» oder Helfer auf dem Bau suchten polnische Auswanderer nach der EU-Erweiterung ihr Glück vor allem in Grossbritannien. Die Brexit-Diskussion wird daher sowohl in der polnischen Heimat als auch bei den Insel-Polen genau verfolgt.
Nach der EU-Osterweiterung 2004 war Grossbritannien zusammen mit Irland und Schweden eines der ersten Länder der «alten» EU, die ihren Arbeitsmarkt für Menschen aus den neuen Mitgliedsstaaten öffneten.
600'000 Polen in Grossbritannien
Polen war das grösste und bevölkerungsreichste Land der neuen EU-Länder – entsprechend gross war der Anteil polnischer Einwanderer. Mittlerweile haben Schätzungen zufolge mehr als 600'000 Polen einen Arbeitsplatz in Grossbritannien, und Polnisch ist einer Untersuchung zufolge die meist gesprochene Fremdsprache im Königreich.
Jede Einschränkung der Freizügigkeit wäre für die polnischen Migranten eine Katastrophe – vor allem da fast die Hälfte von ihnen auf Dauer in Grossbritannien bleiben will.
Viele haben zudem Kinder oder Ehepartner in Polen zurückgelassen. Im Fall eines «Brexit» bestehen daher Sorgen über die Familienzusammenführung, höhere Kosten für Geldüberweisungen in die Heimat oder die Angst, bei Verlust des Arbeitsplatzes womöglich unerwünschter Ausländer zu sein.
Polen schicken viel Geld nachhause
Die polnische Nationalbank liess im vergangenen Jahr von einem Wirtschaftsinstitut eine Untersuchung über die Höhe der Gelder erstellen, die in EU-Länder ausgewanderte Polen in die Heimat überweisen.
Danach überwiesen sie in den Jahren 2004 bis 2013 insgesamt 36.1 Milliarden Euro nach Polen. Der Anteil dieser Gelder am polnischen Bruttosozialprodukt lag 2004 bei 1.4 Prozent, im Jahr 2013 betrug er 1.1 Prozent.
Mittlerweile überweisen die polnischen Migranten jährlich etwa vier Milliarden Euro. Zum Vergleich: Aus EU-Fonds erhielt Polen im Untersuchungszeitraum 108 Milliarden Euro.
Kompromiss für Polen akzeptabel
Daher will die polnische Regierung keinesfalls, dass ihre Landsleute in Grossbritannien benachteiligt werden - und nach dem Kompromissvorschlag der EU dürfte das für die gegenwärtigen Migranten auch nicht der Fall sein.
Die neue Regelung sieht zwar eine Einschränkung bestimmter Sozialleistungen vor, aber nur für neue Einwanderer - und hier sind nach Angaben des polnischen Soziologen Jacek Kuczarczyk gar nicht so viele Polen betroffen. Die derzeitigen Neueinwanderer stammten vor allem aus den Mittelmeerstaaten.
Der Kompromiss, den EU-Ratspräsident und Polens ehemaliger Regierungschef Donald Tusk vorgelegt hat, habe der polnischen Regierung eine Möglichkeit gegeben, das Gesicht zu wahren: Das Hauptziel, die Interessen der Hunderttausenden in Grossbritannien lebenden Polen zu verteidigen, sei erreicht.
(sda/dpa)