Ein entspanntes Wochenende hat Emmanuel Macron nicht verbracht. Stundenlang sass der französische Präsident am Telefon, um Russland am Einmarsch in die Ukraine zu hindern. Zweimal sprach er während insgesamt fast drei Stunden mit Staatschef Wladimir Putin, dazwischen während 15 Minuten mit US-Präsident Joe Biden.
Im Anschluss an diese virtuelle Pendel-Diplomatie telefonierte Macron mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Dieser sicherte die Dialogbereitschaft seines Landes im Konflikt mit Russland zu. Daneben fand Macron am Samstag noch Zeit für ein Gespräch mit dem iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi über eine Neuauflage des Atomabkommens.
Die Verhandlungen in Wien befinden sich in einer heiklen Phase, doch sie werden wie alles andere vom Ukraine-Konflikt überlagert. Macron erreichte von Biden und Putin die grundsätzliche Zustimmung zu einem Gipfeltreffen, wie der Elysée-Palast am Sonntagabend mitteilte. Dies unter der Bedingung, dass Russland nicht die Ukraine einmarschiere.
Die Modalitäten sollen an einem Treffen der Aussenminister Antony Blinken und Sergej Lawrow am Donnerstag besprochen werden. Am gleichen Tag sollen Lawrow und der französische Aussenminister Jean-Yves Le Drian neue Gespräche zur Deeskalation im Normandie-Format zwischen Russland, Ukraine, Frankreich und Deutschland aufgleisen.
Emmanuel Macrons hektische Telefon-Diplomatie – er unterhielt sich auch mit dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz und dem britischen Premierminister Boris Johnson – fand vor dem Hintergrund einer Zuspitzung in der russisch-ukrainischen Grenzregion statt. An der Frontlinie in der Ostukraine haben sich die Spannungen verschärft.
Die Marionettenherrscher von Moskaus Gnaden in den «Volksrepubliken» Donezk und Lugansk riefen die Bevölkerung zur Flucht nach Russland und zur Mobilisierung der «Reservisten» auf. Westliche Beobachter sehen darin den Versuch, einen vermeintlichen ukrainischen Angriff zu inszenieren und den Vorwand für eine russische Invasion zu liefern.
Die für ein Manöver nach Belarus entsandten russischen Truppen wiederum wurden am Sonntag nicht wie versprochen abgezogen. Sie sollen nicht nur auf unbestimmte Zeit im Land bleiben, sondern sich in Richtung der ukrainischen Grenze bewegt haben. Belarus wäre der ideale Ausgangspunkt für einen Vormarsch auf die Hauptstadt Kiew.
Russland streitet Angriffspläne ab, dennoch stehen die Zeichen auf Sturm. Es ist eine Gelegenheit für Emmanuel Macron, um sich als Friedensstifter zu inszenieren. Die Legitimation liefern ihm die französische EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2022 sowie das Vakuum nach dem Abgang der deutschen Langzeit-Kanzlerin Angela Merkel.
Nachfolger Olaf Scholz gilt zwar als gewiefter Verhandler, aber er muss auf dem weltpolitischen Parkett noch Tritt fassen. «Wenn es derzeit im Ukrainekonflikt eine diplomatische Krisenzelle in einem Post-Merkel-Europa gibt, dann liegt sie in der Rue du Faubourg St. Honoré 55 in Paris. Es ist die Adresse des Elysée», meinte der «Spiegel».
Macron rühmt sich seiner guten Kontakte zu Wladimir Putin. Dieser soll ihn in als einzigen westlichen Staatsmann bezeichnet haben, mit dem er «tiefgründige Gespräche» führen könne, erzählt man sich angeblich im Elysée. Experten warnen vor russischer Propaganda, und für den «Spiegel» betreibt Macron ein «riskantes Doppelspiel» aus Nähe und Distanz.
Konkret hat der französische Staatschef bislang so gut wie nichts erreicht. Dennoch sieht Macron in der aktuellen Krise eine Chance, wie die «Süddeutsche Zeitung» kommentiert. Der Schlüssel liege in seinem eigenen Aufstieg. Er sei Präsident geworden, weil er es geschafft habe, «die Leerstelle in der Mitte einer zerfallenden Parteienlandschaft zu füllen».
Dieses Erfolgsrezept wolle Macron auch geopolitisch umsetzen. Und natürlich geht es auch um seine Wiederwahl. Am 10. April findet die erste Runde der Präsidentschaftswahl statt. Noch immer hat Macron seine Kandidatur nicht offiziell erklärt. Er hat bis zum 4. März Zeit, um sie mit den 500 nötigen Unterschriften von gewählten Amtsträgern einzureichen.
Er könne doch nicht in den Wahlkampf einsteigen, «so lange der Höhepunkt der aktuellen geopolitischen Krise nicht hinter uns ist», sagte Macron im Interview mit der Zeitung «La Voix du Nord». Dabei befindet sich der Amtsinhaber seit Monaten im Wahlkampfmodus. Seine Kampagne ist in den Startlöchern, seine Auftritte sind exakt choreografiert.
Die Konkurrenz spielt ihm in die Hände. Frankreichs zersplitterte Linke zerfleischt sich gegenseitig, und die beiden Rechtsaussen Éric Zemmour und Marine Le Pen haben anscheinend Mühe, die 500 Unterschriften zusammenzukratzen. Als grösste Rivalin verbleibt Valérie Pécresse, die Kandidatin der konservativen Republikaner.
Sie versucht den Spagat zwischen der Mitte und dem rechten Rand und bekundet dabei Mühe, ein klares Profil zu entwickeln. Laut aktuellen Umfragen würde Emmanuel Macron alle potenziellen Herausforderer in der Stichwahl am 24. April besiegen. Seine Inszenierung als Weltpolitiker mit umfassender Telefon-Diplomatie kann ihm dabei nicht schaden.
Möge Macron die Wahl gewinnen! Bei den Konkurrent:innen läuft es mir teilweise kalt den Rücken herunter.
Vordergründig "verhandelt" Putin und gleichzeitig erhöht er stetig die Truppenstärke seiner Invasionsarmee.