Deutschland hat seit Mittwoch eine neue Regierung. Die erste Auslandsreise von Bundeskanzler Olaf Scholz führt ihn am Freitag der Tradition entsprechend nach Paris. Präsident Emmanuel Macron wird ihn mit militärischen Ehren empfangen. «Das nächste Kapitel werden wir zusammen schreiben», liess er vorab auf Deutsch verlauten.
Daraus spricht die Hoffnung, dass der Sozialdemokrat Scholz mehr Offenheit für seine ambitionierten Ideen zur Zukunft der Europäischen Union zeigen wird als die reservierte Angela Merkel, die Macron stets auf Distanz hielt. Und es reflektiert Macrons eigene Ambitionen, denn schon in vier Monaten findet in Frankreich die Präsidentschaftswahl statt.
Cher @OlafScholz, la suite, nous l'écrirons ensemble. Pour les Français, pour les Allemands, pour les Européens. À vendredi ! Das nächste Kapitel werden wir zusammen schreiben. Für die Franzosen, für die Deutschen, für die Europäer. Wir sehen uns am Freitag!
— Emmanuel Macron (@EmmanuelMacron) December 8, 2021
Seit dem letzten Wochenende steht das Feld der Bewerberinnen und Bewerber für den ersten Wahlgang am 10. April 2022 praktisch fest. Es ist eine illustre Truppe, die in den Elysée-Palast einziehen möchte. Das Spektrum reicht von ganz links bis ganz rechts. Gewonnen wird eine solche Wahl aber bekanntlich in der Mitte, und da ist einer im Vorteil.
Bis heute hat nur ein «seriöser» Kandidat seine Bewerbung noch nicht offiziell angekündigt: Emmanuel Macron. Das aber ist reine und fast schon anmassende Koketterie, denn der 43-jährige Staatschef lässt kaum eine Gelegenheit aus, um für eine zweite Amtszeit zu werben, etwa mit seinem Modernisierungsprogramm für die französische Wirtschaft.
Letzte Woche unternahm Macron einen weiteren Schritt mit der Gründung der neuen Allianz «Ensemble Citoyens!». Ihr gehören neben seiner Partei La République en Marche (LREM) das Mouvement Démocrate (MoDem) des Zentristen François Bayrou, der Macron schon vor fünf Jahren unterstützt hatte, sowie die neue Partei Horizons an.
Sie wurde im Herbst von Édouard Philippe gegründet, Macrons früherem Premierminister. Er wurde im Sommer 2020 durch Jean Castex ersetzt. Damals war Philippe der populärste Politiker Frankreichs und ein potenzieller Rivale des Staatschefs. Nun ist klar, dass er seine Präsidentschafts-Ambitionen auf 2027 «vertagt», wenn Macron nicht mehr antreten könnte.
Im linken Lager bewerben sich neben chancenlosen Aussenseitern zwei Männer und eine Frau. Der 70-jährige Linksaussen-Politiker Jean-Luc Mélenchon versucht es laut eigenen Angaben ein letztes Mal. Er polemisiert gerne gegen die EU und Deutschland und hat neu den Klimaschutz entdeckt, doch für eine Mehrheit der Franzosen gilt er als zu extrem.
Bessere Chancen hat Yannick Jadot, der Kandidat der Grünen. Die Zeiten, in denen die Franzosen Umweltschutz als deutschen «Spleen» belächelten, sind längst vorbei. Heute werden Bordeaux, Lyon und Strassburg, drei der grössten Städte des Landes, von den Grünen regiert. In den Umfragen kommt Jadot bislang allerdings nicht auf Touren.
Die national tief gefallenen Sozialisten versuchen es mit Anne Hidalgo, der Bürgermeisterin von Paris. Das ist auch ihr grösstes Problem: Die gebürtige Spanierin gilt als typische Vertreterin der arroganten, gentrifizierten Hauptstadt, in der das Leben für Normalverdiener kaum noch bezahlbar ist. Ihre Umfragewerte bewegen sich im einstelligen Prozentbereich.
Am Mittwoch ergriff Hidalgo die Flucht nach vorne: Auf dem Fernsehsender TF1 propagierte sie eine Vorwahl, um eine gemeinsame Kandidatur der Linken zu ermitteln. Die Grünen wiesen die Idee prompt zurück, und Mélenchon hält sich ohnehin für den einzigen Linken, der Macron schlagen kann. Am Ende dürfte es keiner von ihnen in die Stichwahl schaffen.
Bei der Rechten gibt es ebenfalls drei mehr oder weniger ernsthafte Kandidaturen. Für Les Républicains wird Valérie Pécresse ins Rennen gehen, eine frühere Ministerin im Kabinett von Ex-Präsident Nicolas Sarkozy und heutige Präsidentin der Hauptstadtregion Île-de-France. Sie setzte sich in der Vorwahl gegen den Abgeordneten Eric Ciotti durch.
Er bewegt sich am rechten Rand der Partei, wettert gegen Einwanderer und schaffte es damit in die «Barrage» gegen Pécresse, wo er fast 40 Prozent der Stimmen holte. Das Thema Migration ist bei Frankreichs Rechten hoch im Kurs. Auch Marine Le Pen vom Rassemblement National, die 2017 in der Stichwahl gegen Macron verlor, setzt darauf.
Gleichzeitig wird sie von noch weiter rechts bedrängt, durch den algerisch-jüdischen Publizisten Éric Zemmour. Er wurde zweimal wegen rassistischer Hetze verurteilt. Man bezeichnet ihn als «französischen Trump». Passender ist der Vergleich mit Tucker Carlson von Fox News, denn auch Zemmour verdankt seine Prominenz den Auftritten als TV-Polemiker.
In den Umfragen lag er zeitweise auf dem zweiten Platz, doch der Hype flaut bereits ab. Sein erster Wahlkampfauftritt wurde von Krawallen überschattet, und Zemmour ist eine One-Man-Show. Es ist unklar, ob er die für eine definitive Kandidatur notwendigen 500 Unterschriften von gewählten Amtsträgern zusammenbringt. Bis jetzt hat er laut der Zeitung «Le Figaro» etwas mehr als die Hälfte zugesagt erhalten.
In den Umfragen liegt Emmanuel Macron an der Spitze. Seine Popularität hat zeitweise stark gelitten, vor allem während der Gelbwesten-Krawalle. Für viele Franzosen ist er ein «Präsident der Reichen». Zuletzt aber erhielt er gute Noten für sein Corona-Management. Frankreich steht in der derzeitigen Delta-Welle besser da als der ewige Rivale Deutschland.
Macron dürfte es in die Stichwahl schaffen und dort gegen eine Frau antreten, entweder Marine Le Pen oder Valérie Pécresse. Sie könnte ihm gefährlich werden, doch Pécresse muss einen heiklen Spagat vollführen zwischen Rechtsaussen und der Mitte, die Macron faktisch «monopolisiert» hat. Auch deshalb hat er gute Wiederwahl-Chancen.
Bei uns steigt vielleicht die GLP auf, aber langsam. In Deutschland haben die jüngeren Parteien zum Glück noch nicht das Potenzial, Kanzler zu stellen. In Grossbritannien und den USA geht es faktisch eh nur um das ewig gleiche Entweder/oder von Labour/Democrats und Tories/Republicans. Aber in Frankreich chlepfts und tätschts, als wäre immer 14 juillet.