Für die meisten Franzosen ist der Stierkampf ein rotes Tuch: 77 Prozent sind laut Umfragen dagegen. Doch in Südfrankreich und der Gascogne-Region ist die Corrida noch sehr verwurzelt und populär. Insgesamt 60 Städte von Arles über Nîmes und Béziers bis nach Bayonne am Atlantik organisieren in ihren Arenen noch Stierkämpfe. Nicht alle enden mit dem Tod des Stiers: Bei der «course landaise» am Atlantik oder der «course camarguaise» geht es darum, eine Kokarde zwischen den Hörnern des Stiers zu schnappen, und der Bulle kann durchaus gewinnen; im Normalfall überlebt er.
Jetzt fordert der bekannte Linksabgeordnete Aymeric Caron aber ein Verbot des Stierkampfes in Frankreich. Die Nationalversammlung berät die Parlamentsmotion ab Mittwoch. Sie lässt bereits die Leidenschaften hochkochen.
Caron begründet seinen Vorstoss so: «In der Corrida zerschneiden berittenene Picadore mit ihren Lanzen die Halsmuskeln und Nackenbänder des Stiers, sodass er den Kopf nicht mehr heben kann. Dann treiben Toreros Banderillas mit Widerhaken in den Rücken des Tieres. Dann durchstossen sie seinen Körper bis zum Brustkorb - oft mehrmals. Im Schlussgang sticht der Matador ein Messer ins verlängerte Rückenmark.
«Ist das nun Kunst oder Folter?», fragt Caron an die Adresse der Aficionados, die den Stierkampf als kulturelles Brauchtum verteidigen. Er zitiert ein Gutachten des Nationalen Veterinärrates von 2016, laut dem die Schmerzen des Stiers schon deshalb «unbestreitbar» seien, da sie ihn erst zum Kämpfen anstachelten.
Carons Eingabe bringt die Stierkampffans in Südfrankreich auf, noch bevor die Parlamentsdebatte begonnen hat. Vincent Bouget, Stadtrat der Kommunistischen Partei in Nîmes, konterte im Lokalradio: «Die Corrida besteht nicht darin, ein Tier ohne Verteidigung zu peinigen. Der von Natur aus kampfgewillte Stier reagiert auf eine Verletzung nicht durch Flucht, sondern durch Angriff. Der Torero riskiert sein Leben, denn er darf nur über die Hörner, also von vorne zustechen.»
Südamerikanische Länder oder die spanische Region Katalonien haben die Corrida zumindest suspendiert. Dass die «courses landaises» am Atlantik auch ohne Tötung enden, beeindruckt Bouget nicht: «Das Töten gehört zum Stierkampf. Der Bulle kann nicht mehrere Corridas absolvieren, denn er lernt schon beim ersten Mal zu viel und würde dem Torero zu gefährlich.»
Das geharnischte Fernduell zwischen Caron und Bouget lässt erahnen, wie hitzig die Parlamentsdebatte ausfallen wird. Die Meinungen gehen quer durch die Parteien. Die Befürworter der Corrida finden sich meist im Süden, weibliche Abgeordnete sind eher dagegen. Die konservativen Republikaner, aber auch Sozialisten und Kommunisten zaudern, denn lokale Traditionen sind in Frankreich nun einmal sakrosankt.
Ausschlaggebend wird das Verhalten der Regierungspartei «Renaissance» von Präsident Emmanuel Macron sein. Sie hat Stimmfreigabe beschlossen; doch der Staatschef hat verlauten lassen, er wolle Frankreich nach allen Covid- und anderen Einschränkungen kein neues Verbot auferlegen.