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Frankreich

Eine Missbrauchsaffäre erschüttert die Pariser Machtelite

Sex, Drogen und Parlament: Eine Missbrauchsaffäre erschüttert die Pariser Machtelite

Frankreich empört über den Fall eines ehrwürdigen Senators, der einer Abgeordneten offenbar in sexueller Absicht Drogen ins Glas schüttete. Ein Einzelfall ist das nicht.
21.11.2023, 13:24
Stefan Brändle, Paris / ch media
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Joël Guerriau ist nicht irgendjemand: Der 66-jährige parteilose Senator gilt als einflussreicher Parlamentarier; er sitzt seit 13 Jahren im französischen Oberhaus und hat dabei schon prestigereiche Gremien wie die aussenpolitische Kommission geleitet. Auch zur Nationalversammlung, dem Erstrat, pflegt er enge Kontakte. Vor einer Woche lud er seine langjährige Bekannte, die Abgeordnete Sandrine Josso, in einer Sitzungspause zu sich ein, um, wie er sagte, seine kürzliche Wiederwahl zu feiern.

French Senate - Paris Senator, Joel Guerriau attends a session of Questions to the Government at the Senate, on July 16, 2020 in Paris, France. Photo by David Niviere/ABACAPRESS.COM PARIS France PUBLI ...
Joel Guerriau von der Zentrumspartei Horizons, bei einer Fragestunde im französischen Senat.Bild: www.imago-images.de

Wie Josso am Dienstag am Fernsehen berichtete, hiess sie der Senator im Wohnzimmer Platz nehmen, während er in der Küche den Champagner entkorkte. Er brachte die bereits gefüllten Gläser und prostete der Politikerin zu. Der erste Schluck sei etwas süsslich gewesen, fand die Abgeordnete der Mittepartei Modem. Ihr Gegenüber habe ihr aber noch ein zweites und drittes Mal zugeprostet.

Sie fand das seltsam – und sah dann, wie der Senator in der Küche ein «weisses Säckchen» in einer Schublade verschwinden liess. Dann habe ihr Herz zu flattern begonnen, der Schweiss sei ihr ausgebrochen. Da habe sie kapiert, dass ihr der langjährige Berufskollege eine chemische Substanz in den Drink geschüttet habe – höchstwahrscheinlich, um sie sexuell gefügig zu machen. Sie rief ein Taxi und verliess die Wohnung, obwohl sie kaum mehr gehen konnte. «Ich hatte Angst zu sterben, einen Herzinfarkt zu erleiden», berichtete Josso (48).

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Die Abgeordnete der französischen Nationalversammlung, Sandrine Josso, von der Mittepartei MoDemBild: www.imago-images.de

Auf der Notfallstation wurden in ihrem Blut Spuren von Ecstasy gefunden. Sofort festgenommen, hatte Guerriau eine Erklärung dafür: Er habe von einem anderen Senator in einer «dünklen» Phase ein Aufputschmittel erhalten; allerdings habe er es zu sich genommen, obwohl er es bereits in ein Glas geschüttet habe. Dann habe er das Ganze vergessen und der befreundeten Abgeordneten dummerweise das gleiche Glas serviert.

Die Justiz glaubt dieser Version nicht: Sie ermittelt wegen «Verabreichung einer Substanz mit der Absicht, eine Vergewaltigung oder eine sexuelle Aggression zu begehen». Darauf stehen bis zu fünf Jahre Gefängnis. Da es sich um ein Schnellverfahren handelt, gilt die parlamentarische Immunität nicht.

Ex-Premierminister Edouard Philippe, dessen Partei «Horizons» Guerriau angehört, hat den Senator umgehend suspendiert; Senatspräsident Gérard Larcher forderte Rücktritt Guerriaus, der sich in früheren Reden gegen jede Art von Drogenkonsum stark gemacht hatte.

Im Job, in der Verwandtschaft oder in der Disco

Die Entrüstung ist landesweit gross. Die grüne Abgeordnete Sandrine Rousseau erklärte, es handle sich nicht um eine Drogenaffäre, sondern um sexuelle Gewalt. 2022 war in Paris schon der Direktor des renommierten Thinktanks «Institut Montaigne» zu einer bedingten Haftstrafe von einem Jahr verurteilt worden, nachdem er einer Untergebenen und zugleich Ex-Schwägerin eine Droge ins Getränk geschüttet hatte.

Laut der Vorsteherin des Vereins «M'endors pas» (Schläfere mich nicht ein), Caroline Darrieu, kennen die Drogenverabreicher ihre Opfer in den meisten Fällen, sei es im Beruf oder privat. Viele Diskotheken wüssten zudem von der Verwendung der Partydroge GHB. Die Abgeordnete Sandrine Josso, die seit einer Woche unter Panikschüben leidet, berichtete von einer hingeworfenen Bemerkung eines Helfers, seine Notfallstation habe «dreimal am Tag» mit Fällen heimlicher Drogenverabreichung zu tun.

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23 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Kramer
21.11.2023 14:02registriert September 2021
Die Ausreden die solche scheusale von sich geben lassen mir die Haare zu berge stehen
"Er habe die drogen selber genommen weil er vergessen hatte dass er sie bereits in ein Glas getan habe"
Wie kann man so dämlich sein?
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Snowy
21.11.2023 17:08registriert April 2016
Neben der Abscheulichkeit seines Tatversuchs, stellt sich auch noch die Frage nach seiner riesigen Dämlichkeit.

Selbst wenn die Dame betäubt gewesen wäre in seinem Appartement... glaubte er ernstens, sie hätte ihn danach nicht angezeigt...??!

Unfassbar diese Geschichte!
Zeigt wie komplett abgehoben Menschen werden, wenn sie zu lange an den Schalthebeln der Macht sitzen. Er dachte wohl, er sei unangreifbar.
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Lölibueb
21.11.2023 14:48registriert November 2023
Früher schenkten sich die Senatoren gegenseitig eine CD-Gesamtausgabe mit der Musik von Aznavour oder ähnliches. Heute kommt Ecstasy unter den Weihnachtsbaum. Schrecklich, diese heutigen Senioren!
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