Es schien ein Morgen wie jeder andere, als Pierre Grandgirard Ende Mai seinen regulären Morgen-Einkauf erledigte. Doch plötzlich wurde der Restaurantbesitzer mit einem ganz neuen Problem konfrontiert: Er fand keinen Senf.
Er klapperte diverse Läden ab, blieb aber erfolglos. Ein Problem für Grandgirard und dessen Restaurant La Régate. Er ist auf Meeresfrüchte-Platten spezialisiert und bietet auch das traditionelle Gericht «steak frites salade» an. Die Mayonnaise und die Saucen würden im Restaurant alle selber gemacht und die Leute erwarteten ihr Steak mit dem Senf, schilderte Grandgirard sein Problem gegenüber France24.
Schliesslich wurde er dennoch fündig – dank eines Ladens, der eine rigorose Ein-Senfglas-pro-Person-Regel eingeführt hat. Wichtig anzumerken ist an dieser Stelle, dass für die französische Bevölkerung Senf nicht gleich Senf ist. Denn diese gibt sich nicht etwa mit dem gewöhnlichen Thomy-Senf zufrieden. Die Begierde gilt einzig dem prestigeträchtigen Dijon-Senf. Und dieser war plötzlich wie weggefegt.
Die Ladenbesitzer fanden Erbarmen mit Grandgirard und erlaubten ihm, zwei Senfgläser zu kaufen. Für Grandgirard nur ein Trostpflaster. Pro Monat werden bei ihm etwa 5 Kilo Senf konsumiert. Mit anderen Worten: Die zwei Gläser würden ihm nur für eine Woche reichen. Dies schreibt er in einem verzweifelten Appell auf Facebook, wo er seine Mitmenschen dazu aufruft, von Senf-Hamsterkäufen abzusehen.
Sein Beitrag löste etwas aus. Menschen aus ganz Europa hätten ihn angerufen und angeboten, ihm Senf zu senden, so Grandgirard. Insgesamt habe er schliesslich zwischen 35 und 40 Gläser erhalten. Diese hielten ihn bis Mitte Juli über Wasser.
Zwischenzeitlich fand man sogar Angebote auf Amazon, die zwei Dijon-Senf-Gläser für 25 Euro verkauften. Der übliche Preis: 1.60 Euro für ein Glas.
It’s getting bad. #mustardshortage #France #Dijon pic.twitter.com/2dknUZLQ97
— Jim Lockard on Wine 🇫🇷🇺🇸 (@JimLockardWine) September 1, 2022
Die Senf-Krise ist auf drei verschiedene Faktoren zurückzuführen: den Klima-Wandel, den Ukraine-Krieg und die grosse Nachfrage nach Senf in Frankreich. Pro Jahr wird in Frankreich ein Kilo Senf pro Person konsumiert. Ein Grossteil davon fällt auf den Dijon-Senf. Dieser unterscheidet sich grundlegend vom milderen, gelben Senf. Gemäss französischen Richtlinien muss der Dijon-Senf aus braunen oder schwarzen Samen bestehen. Diese werden zu 80 Prozent aus Kanada importiert – sie müssen nicht, wie der Name dies vermuten liesse, aus Dijon stammen.
Die Krise nahm ihren Anfang in Kanada: Letztes Jahr wurden die Provinzen Alberta und Saskatchewan – wo am meisten Senf angebaut wird – von Dürren heimgesucht. Es konnten nur halb so viele Senfkörner wie üblich geerntet werden. In Frankreich derweil, wo auch Senf angebaut wird, sind die Felder aufgrund eines milden Winters den Insekten zum Opfer gefallen.
Verschlimmert wurde der Senfkorn-Mangel noch zusätzlich durch den Ukraine-Krieg. Statt der braunen oder schwarzen Senfkörner werden in der Ukraine und in Russland hauptsächlich die weissen Senfkörner angebaut, welche beispielsweise in gelbem oder englischem Senf gebraucht werden. Mit dem Krieg wurde der Senfkorn-Export allerdings erschwert und so mussten Fans des gelben Senfes auf den von Franzosen begehrten Dijon-Senf zurückgreifen. Die weltweite Senf-Versorgung geriet unter Druck und trieb die Preise in die Höhe.
Auch wenn die Senf-Krise für Restaurant-Besitzerinnen und Besitzer problematisch ist, so nehmen sie auch viele Leute mit Humor. Eine glückliche Twitter-Userin, die ein Senfglas ergattern konnte, liess auf Twitter scherzhaft verlauten, dass sie offen für Angebote sei.
Les enchères sont ouvertes🤑
— Kristina D'Agostin (@KAgostin) August 29, 2022
Prix pas sérieux s’abstenir #moutarde #encheres #penurie pic.twitter.com/W90yOIfO9t
In Internet-Foren und sozialen Medien geben sich Menschen derweil gegenseitig Tipps, wie sie selbst Senf herstellen können.
Keine schlechte Idee, denn ein Ende der Senf-Krise ist vorerst noch nicht in Sicht: Es wird davon ausgegangen, dass der Dijon-Senf erst 2023 wieder in normalen Mengen in französischen Regalen anzutreffen ist. (saw)