Angestrengt wirkt Emmanuel Macron dieser Tage – zumindest will er dieses Bild vermitteln. Auf einem Foto starrt Frankreichs Präsident mit verkrampften Händen und hochgekrempelten Ärmeln auf seinen Schreibtisch, auf dem eine Telefonanlage mit der Aufschrift «Gesicherte Kommunikation» steht. Mal blickt er gedankenverloren an die Decke seines Büros, mal vergräbt er sein Gesicht in den Händen: Es sieht aus, als wolle er nicht glauben, was er da gerade aus den Lautsprechern hört.
Es sind Bilder, die Macrons offizielle Fotografin auf ihrem Instagram-Profil veröffentlicht hat. Abgesehen von dem Datum der Fotos macht sie keine Angaben, in welchem Zusammenhang die Aufnahmen entstanden sind. Doch sie liegen in zeitlicher Nähe zu den Telefonaten, die der französische Präsident zuletzt mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin geführt hat.
Den Krieg des russischen Präsidenten konnte Macron nicht verhindern. Doch die Fotos passen zu dem Bild, das er seit Beginn der Kämpfe vermitteln will: Während zwischen Kreml und Westen gerade auf vielen Ebenen Funkstille herrscht, positioniert sich Macron als die starke Stimme Europas. Einen Monat vor der Präsidentschaftswahl in Frankreich scheint er dadurch im eigenen Land Eindruck zu machen – während seine Konkurrenten von ihrer putinfreundlichen Vergangenheit eingeholt werden.
«Macron ist jetzt ganz Staatsmann», sagt Dominik Grillmayer vom Deutsch-Französischen Institut in Ludwigsburg im Gespräch mit t-online. Es zeige sich auch in dieser Krise, dass man eher Politikerinnen und Politikern vertraue, die man bereits gut kennt. «Ob man ihn mag oder nicht: Macron scheint aus Sicht der Bevölkerung dem Amt gewachsen.»
Zwar konnte der Präsident schon vor Ausbruch des Krieges in Umfragen seine insgesamt elf Konkurrenten auf Abstand halten, doch sein Vorsprung ist in den letzten Tagen gewachsen. Aktuell käme er im ersten Wahlgang laut dem Meinungsforschungsinstitut Ifop auf 30.5 Prozent. Ende Februar kam er noch auf Werte zwischen 24 und 25 Prozent.
Einen noch grösseren Sprung machte der Präsident bei seinen persönlichen Beliebtheitswerten: 51 Prozent der Französinnen und Franzosen haben aktuell eine gute Meinung von ihm, in der vorherigen Umfrage kam er auf 40 Prozent.
Dabei kann Macron insgesamt auf eine gemischte Amtszeit zurückblicken. Ähnlich wie bei Angela Merkel waren die vergangenen fünf Jahre des damals jüngsten französischen Präsidenten aller Zeiten von mehreren Krisen geprägt, die er zum Teil mitverschuldet hatte.
Vor der Corona-Pandemie hatte es bereits schwere Ausschreitungen durch die Gelbwesten-Bewegung gegeben. Sie entstand zunächst als Reaktion auf eine höhere Benzinsteuer, die Macron verhängt hatte. Zudem wird das Land immer wieder von islamistischen Terroranschlägen erschüttert. Die Abschaffung der Vermögenssteuer brachte ihm den Vorwurf ein, er mache eine Politik für Besserverdiener. Gleichzeitig sind heute weniger Französinnen und Franzosen arbeitslos als noch vor fünf Jahren – trotz der Corona-Pandemie.
Doch mit dem Krieg in der Ukraine scheint all das in Frankreich vorerst in den Hintergrund zu treten. Europa und den Multilateralismus hatte Macron schon 2017 ins Zentrum seines Wahlkampfes gestellt – damals als Gegengewicht zur Rechtspopulistin Marine Le Pen .
Nun wirkt der Präsident wie ein Gegengewicht zu Putins nationalistischen Expansionsgelüsten. «Ich kandidiere, um gemeinsam mit Ihnen angesichts der Herausforderungen des Jahrhunderts eine einzigartige französische und europäische Antwort zu erfinden», hatte Macron zuletzt in einem Brief bekräftigt, mit dem er seine Kandidatur verkündete.
Auf der anderen Seite bringt Putins Krieg viele von Macrons Konkurrenten aktuell in Erklärungsnot: Seine ärgste Verfolgerin Le Pen gilt schon seit Langem als grosse Bewunderin des russischen Präsidenten. Ungewöhnlich kurz vor der vergangenen Wahl war sie 2017 zu Gast im Kreml. Die völkerrechtswidrige russische Annexion der Krim bezeichnete sie einst als «nicht illegal». Auch soll Le Pens Partei Kredite von russischen Banken erhalten haben.
Der Rechtspopulist Éric Zemmour hatte noch 2018 davon gesprochen, dass er von einem französischen Putin träume. Auch der Linkspopulist und Nato-Gegner Jean-Luc Mélenchon warb bis zuletzt um Verständnis für den russischen Präsidenten.
Mittlerweile haben alle den russischen Einmarsch in die Ukraine kritisiert. Schaden haben die Kampagnen dennoch genommen. Experte Grillmayer glaubt, dass vor allem die rechten Kandidaten umdenken müssen. Ihre harte Hand bei Migrationsfragen werde durch den Ukraine-Krieg «wohl nicht mehr so stark verfangen».
Eigentlich könnte nun die Stunde der konservativen Kandidatin Valérie Pécresse schlagen, die aktuell auf Rang vier liegt: Die Republikaner schicken mit ihr erstmals eine Frau in das Rennen um den Posten im Élysée-Palast. Die 54-Jährige steht aber vor einer schwierigen Gratwanderung: Sie muss auf der einen Seite Wähler aus dem rechtsextremen Lager Zemmour / Le Pen überzeugen und gleichzeitig unzufriedene ehemalige Macron-Unterstützer gewinnen.
Bisher scheint ihr das nicht zu gelingen. Auch Nicolas Sarkozy , der bisher als letzter Republikaner zum Präsidenten gewählt worden war, hat ihr öffentlich noch nicht die Unterstützung ausgesprochen. «Teile des gemässigten-konservativen Lagers fremdeln mit Pécresse», glaubt auch Grillmayer. Für viele sei auch dort Macron die bessere Wahl.
Aber auch Macron müsse weiter aufpassen: Neben Migration und innerer Sicherheit ist aktuell die Kaufkraft wohl das grösste Thema im Wahlkampf. Auch in Frankreich ziehen zurzeit die Spritpreise an: Vergangene Woche lag der Benzinpreis nur knapp unter der Zwei-Euro-Marke: «Die Gefahr, dass es zu einer neuen Gelbwesten-Bewegung kommt, besteht auf jeden Fall», glaubt Grillmayer. Dementsprechend müsse Macron die Entwicklung genau beobachten. Ansonsten könnten seine Werte auch wieder nach unten gehen.
Im zweiten Wahlgang am 24. April könnte es ohnehin knapper werden: Ifop prognostiziert aktuell eine erneute Stichwahl zwischen Macron und Le Pen, in der der Präsident mit 56 Prozent vorne liegt. 2017 hatte er die Rechtspopulisten noch mit 66 Prozent geschlagen.