Sie will nicht auf ihr Alter und ihr Geschlecht reduziert werden. Das stellte die neue finnische Premierministerin Sanna Marin nach ihrer Wahl am Montag klar. Und dennoch: Ihre 34 Jahre machen sie zur jüngsten Premierministerin der Welt und ihr Geschlecht zur Aussenseiterin unter der Mehrheit der männlichen Regierungschefs. Doch die Wahl von Marin ist nicht genug: Die finnische Fünf-Parteien-Regierungskoalition besteht nun mehrheitlich aus Frauen, drei von ihnen sind unter 40 Jahre alt.
Für die Schweiz ist es ein ungewohntes Bild. In den letzten 171 Jahren regierten bis heute gerade einmal neun Frauen im Bundesrat. Drei von zwölf der im Nationalrat vertretenen Parteien haben eine Parteipräsidentin, der Frauenanteil im Parlament liegt bei 42 Prozent. Sanna Marin ist alles, was in der Schweiz bisher unvorstellbar ist: jung, in der höchsten politischen Position und Mutter.
Doch was macht Finnland anders? Warum ist es für Frauen einfacher, politische Karriere zu machen? Ein Erklärungsversuch in drei Punkten:
Finnland war 1906 das erste Land in Europa, das das Frauenwahlrecht eingeführt hat. Bereits bei den darauffolgenden Wahlen 1907 wurden 19 Frauen ins Parlament gewählt, somit war Finnland das erste Land der Welt mit Frauen im Parlament. «Die finnischen Frauen konnten bereits früh politische Entscheide mitbestimmen und die Gleichberechtigung mit vorantreiben», sagt Sirpa Rajasärkkä, Botschaftssekretärin der finnischen Botschaft in Bern. Deshalb sei es bei ihnen normal, dass Frauen politisieren und Vollzeit arbeiten, man sei es sich schon von den Müttern und Grossmüttern gewohnt.
1972, als in der Schweiz das Frauenwahlrecht erst ein Jahr alt war, gründete Finnland bereits einen Beratungsausschuss für Gleichstellungsfragen. Eine weitere Massnahme zur Gleichstellung folgte 1995: In staatlichen Gremien müssen sowohl Frauen als auch Männer mit mindestens 40 Prozent vertreten sein.
In Finnland gilt ein Vaterschaftsurlaub von neun Wochen, rund drei Wochen dürfen gleichzeitig wie der Mutterschaftsurlaub genommen werden. Im Anschluss an den Mutterschaftsurlaub gibt es zudem einen Elternurlaub, der entweder von der Mutter oder vom Vater genommen werden darf.
Finnland hat früh dafür gesorgt, dass Frauen und Männer auch mit Familie möglichst gleichberechtigt am Arbeitsleben teilnehmen können. Bereits seit 1973 müssen die Kommunen für jedes Kind einen Betreuungsplatz zur Verfügung stellen. 1948 entschied das Parlament, dass an allen Schulen den Kindern kostenlose Schulmahlzeiten angeboten werden.
Heute bieten zudem viele Kindertagesstätten eine 24h- und Wochenendbetreuung an, damit auch Schichtarbeitende oder Alleinerziehende arbeiten können.
Rajasärkkä von der finnischen Botschaft in Bern ist überzeugt: «Ohne diese Angebote würden Frauen auch in Finnland zuhause bleiben müssen.» Denn auch in Finnland würden Frauen noch weniger verdienen als Männer. «Doch dank dieses Systems ist es in Finnland ganz normal, dass Frauen auch mit kleinen Kindern Vollzeit arbeiten», sagt Rajasärkkä.
In Finnland gibt es in der Privatwirtschaft zwar keine Frauenquote, aber einen sogenannten «Corporate Governance Kodex». In diesem Kodex ist festgehalten, dass in den Entscheidungsgremien sowohl Frauen als auch Männer sitzen. Wer das nicht einhält, muss sich öffentlich erklären. Innerhalb der ersten zwei Jahre seit dem Beschluss dieses Kodex' ist der Frauenanteil in den Aufsichtsräten um rund 20 Prozent gestiegen. Wer etwas für die Gleichstellung tut, wird in Finnland auch belohnt. Mit dem «International Gender Equality Prize» werden Leistungen für die Gleichstellung gewürdigt.
Um Kinder bereits früh für das Thema Gleichstellung zu sensibilisieren, verteilte das Ministerium für Kultur und Bildung 2017 eine auf finnisch übersetzte Version des Buchs «We Should All be Feminists» an Schülerinnen und Schüler in der neunten Klasse.
Die Wahl ist nicht finnisch, die Premierministerin schon :-)