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«Notstand wegen Ungleichheit»: Ökonomen schlagen Alarm

«Notstand wegen Ungleichheit»: Ökonomen schlagen Alarm

Eine Gruppe von sechs anerkannten Ökonomen prangert einen globalen «Ungleichheitsnotstand» an.
04.11.2025, 03:5604.11.2025, 07:39

Die reichsten ein Prozent der Menschen hätten zwischen 2000 und 2024 rund 41 Prozent des globalen Vermögensaufbaus für sich vereinnahmt, heisst es in einem Bericht, der unter Federführung von Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph E. Stiglitz vor dem Gipfel der grossen Industrie- und Schwellenländer (G20) veröffentlicht wurde, der am 22. und 23. November im südafrikanischen Johannesburg stattfindet.

Eine Ikone sozialer Ungleichheit in São Paulo, Brasiliens größter Stadt: Das Paraisópolis Favela und die Luxusgebäude
Symbol der Ungleichheit: Die Favela Paraisópolis neben Luxusgebäuden in São Paulo.Bild: Shutterstock

Nur ein Prozent des in dem Zeitraum erwirtschafteten Vermögens komme den ärmsten 50 Prozent der Weltbevölkerung zugute, heisst es in dem Bericht. Das bedeute, dass das durchschnittliche Vermögen von einem Prozent der Weltbevölkerung in rund fünf Jahren um 1,3 Millionen Dollar (1,1 Millionen Euro) pro Person gestiegen sei, während das Durchschnittsvermögen der ärmsten 50 Prozent lediglich um 585 Dollar (507 Euro) pro Person angewachsen sei. Laut der Analyse wird eine Minderheit in den nächsten zehn Jahren voraussichtlich 70 Billionen Dollar (60,7 Billionen Euro) erben.

Ungleichheit schwächt Demokratie

Besonders gross blieben die Einkommensunterschiede zwischen dem Globalen Norden und Süden. Bei rund 90 Prozent der Weltbevölkerung, oder 83 Prozent aller Länder, differiert die Höhe der Einkommen laut Weltbank stark. Hohe Vermögensdisparität untergrabe die Demokratie, den gesellschaftlichen Zusammenhalt sowie die Wirtschaft, heisst es in dem Bericht. Länder mit hoher Disparität seien siebenmal häufiger von einer Verschlechterung des demokratischen Umfelds betroffen als Länder mit grösserer Gleichheit.

Seit 2020 hätten Ereignisse wie die Corona-Pandemie, der Krieg in der Ukraine, sowie die von den USA erlassenen neuen Zölle und die daraus resultierenden Handelsstreitigkeiten einen «perfekten Sturm» geschaffen, der Armut und Ungleichheit weiter verschärfe.

Der Bericht empfiehlt die Schaffung eines «Internationalen Gremiums für Ungleichheit», das ähnlich wie der Weltklimarat politische Entscheidungsträger und die internationale Gemeinschaft berät. «Die Welt hat erkannt, dass wir uns in einer Klimakrise befinden. Es ist an der Zeit, dass wir auch erkennen, dass wir uns in einer Ungleichheitskrise befinden», sagte Stiglitz. Weltweit müsse mittlerweile jeder Vierte regelmässig auf Mahlzeiten verzichten, während das Vermögen der Milliardäre den höchsten Stand in der Geschichte erreicht habe.

Wirtschaftsreformen notwendig

Um Disparität zu verringern, empfehlen die Autoren eine Reform internationaler Wirtschaftsregeln, wie eine fairere Besteuerung multinationaler Unternehmen und der sehr vermögenden Menschen. Auf nationaler Ebene sollten verstärkt arbeitnehmerfreundliche Regulierungen umgesetzt, Unternehmenskonzentration verringert, grosse Kapitalgewinne besteuert, in öffentliche Dienstleistungen investiert und eine progressivere Steuer- und Ausgabenpolitik implementiert werden.

Der G20-Gipfel findet in diesem Jahr unter dem Motto «Solidarität, Gleichheit und Nachhaltigkeit» statt. Der G20 gehören 19 Staaten, die Europäische und die Afrikanische Union an. Die Gruppe steht für etwa 80 Prozent der Weltbevölkerung und mehr als 85 Prozent der weltweiten Wirtschaftskraft. Südafrika will seine diesjährige Präsidentschaft nutzen, um die Schuldenlast von Entwicklungsländern zu mindern sowie eine gerechte Energiewende zu thematisieren. (sda/dpa)

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86 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Linus Luchs
04.11.2025 05:56registriert Juli 2014
Die Ökonomengruppe trifft den Nagel auf den Kopf. Die immer extremere Ungleichheit untergräbt die Demokratie. Das gilt auch für die Schweiz. Während das reichste Prozent in Milliarden schwimmt, weiss ein wachsender Teil der Bevölkerung nicht, wie die Wohnungsmiete und die Krankenkassenprämie bezahlt werden sollen. Von der wachsenden Existenzangst profitiert die Partei am rechten Rand, die eine autoritäre Politik bevorzugt. An den USA sehen wir, wohin das führt.
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Chnebeler
04.11.2025 06:06registriert Dezember 2016
Exakt das ist das Problem unserer Zeit! Die Gier wurde schlicht zu gross! Und dadurch dass dem Mittelstand der Anteil am Erfolg verwehrt blieb drohen einst grosse Volkswirtschaften in die Rezzession zu rutschen oder sind schon drin. Hätte sich das Reichste Prozent bloss mit 10% zufrieden gegeben wurde die Wirtschaft florieren, der Faschismus wäre weiter ein Relikt der Vergangenheit und die Diskussion würde sich mehr um die wirklichen Probleme drehen und nicht nur um Scheindebatten.
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Hadock50
04.11.2025 06:15registriert Juli 2020
Die wachsende Ungleichheit haben wir den rechten liberalen zu verdanken.
Mehr sozialismuss (nicht komunismus), täte auch der Wirtschaft gut.

Das Volk hungert, sollen sie kuchen essen.
Nicht mehr lange und die Geschichte wiederhohlt sich.
Es muss wohl zuerst noch schlimmer werden, bevor es besser wird.
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