Dem «Schweizer Tesla» droht das Aus – oder die Abwanderung nach China
Als die CH-Media-Redaktion den Microlino vor zwei Jahren testete, schienen die Aussichten gut. Der kleine Elektroflitzer, entwickelt in Küsnacht ZH, gebaut in Turin (Italien), sorgte auf den Strassen für Staunen und Sympathiebekundungen. Überall, wo der Microlino auftauchte, blieben Menschen stehen, schmunzelten, zückten ihre Handys. Das Gefährt – eine Mischung aus Auto und Roller – ist ein Hingucker und ein Statement: klein, effizient, wie gemacht für den kleinräumigen Schweizer Alltag.
Doch die Erwartungen haben sich nicht erfüllt, wie Informationen von CH Media zeigen. Die Gründer beschönigen nichts. Es handelt sich dabei um die Familie Ouboter: Wim Ouboter, der um die Jahrtausendwende die legendären Kickboards erfunden hat, und seine beiden Söhne Oliver und Merlin Ouboter, die für das Elektroauto zuständig sind. Sie sagen:
Bis heute hat Microlino in Italien rund 4767 Microlinos produziert, über 70 Millionen Franken hat die Familie Ouboter aus eigener Tasche investiert. In der Schweiz entwickelt, in Europa produziert – das ist die Grundidee. Doch bald könnte es heissen: Made in China.
Benachteiligt in EU, gefördert in China
Grund ist die europäische Regulierung: Die sogenannte L7e-Kategorie – also die Klasse der Microcars – fällt bislang durch alle Förderraster. Keine Subventionen, keine CO₂-Gutschriften, keine tieferen Steuern, im Gegenteil: Während Besitzer von Elektro-SUVs und Luxuslimousinen von Steuererleichterungen profitieren, gehen ultraleichte Stadtflitzer leer aus.
Anders in China. Dort winken staatliche Zuschüsse und günstige Produktionsbedingungen. «Wenn Europa nicht handelt, wird die Produktion künftig nicht mehr hier stattfinden», sagt Wim Ouboter.
China habe gegenüber Microlino bereits Interesse signalisiert, die Fahrzeuge in einer bestehenden Fabrik zu produzieren – zu rund 50 Prozent tieferen Kosten als aktuell in Turin. China wäre offenbar auch bereit, Millionen in das Unternehmen einzuschiessen.
Ein Microlino kostet in der Schweiz, je nach Modell und Ausstattung, zwischen 14'990 und 24'990 Franken. Ouboter:
Kleinwagen mit Verbrennungsmotor bieten zu ähnlichen Preisen mehr Volumen.
Der Staat bevorzugt die Grossen
Besonders ärgert Ouboter, dass der Microlino in der EU nicht als «richtiges» Auto gilt – obwohl er zwei Sitze, eine selbsttragende Karosserie und 90 km/h Spitzengeschwindigkeit bietet. «Ein Mercedes G-Klasse in elektrisch bekommt CO₂-Anrechnung und Fördergeld. Der Microlino, der 80 Prozent weniger CO₂ verursacht, bekommt nichts», kritisiert er.
Auch in der Schweiz werde der Kleinwagen benachteiligt. Hier wird der Microlino bei der Zulassung als Kleinmotorrad behandelt – beim Import aber plötzlich als Personenwagen, mit entsprechender Versteuerung. Ouboter appelliert an Verkehrsminister Albert Rösti und fragt: «Wo ist da die Logik?» Der Kanton Luzern will an der Diskriminierung festhalten, wie Anfang Woche bekannt wurde.
Kleine Hersteller spannen zusammen
Im Rahmen der sogenannten «Microcar Coalition» kämpfen kleinere europäische Hersteller gemeinsam für eine neue Politik. Die EU plant ein Förderprogramm für «Small EVs». Allerdings bleibt vorerst unklar, ob die L7e-Klasse überhaupt einbezogen wird.
Die Microlino-Macher verstehen das nicht. Ein Microlino leiste den grösseren Beitrag zum Klimaschutz als schwere Elektrowagen. Eine Steckdose genügt zum Laden, der Stromverbrauch ist viel kleiner, der Platzbedarf auf der Strasse ein Drittel eines SUV.
«Die CO₂-Reduktion geht nur über das Portemonnaie», sagt Ouboter desillusioniert. «Ohne Anreize bleibt alles beim Alten.» Er fordert eine SUV-Abgabe, deren Erträge kleinen Elektroauto-Herstellern zugutekommen sollen. Norwegen zeige, dass Lenkungsabgaben wirken – dort fahren 85 Prozent der Neuwagen elektrisch.
Erinnerungen an Hayeks Smart
Für Ouboter ist der Microlino mehr als ein Geschäftsmodell. Es ist die logische Fortsetzung seines Lebenswerks – nach dem Scooter und dem E-Trottinett nun das Mikroauto für die Stadt. Doch der Automarkt ist brutal.
Das musste schon Nicolas Hayek senior erfahren. Er erfand Anfang der 1990er-Jahre den Swatch Car (später Smart) und wurde dafür gefeiert. Das Projekt stockte aber bald. Hayek verkaufte schliesslich seine Anteile 1998 an Mercedes. Ebenfalls desillusioniert.
Bei Microlino ist noch nichts entschieden. In Turin läuft die Produktion weiter, die Nachfrage ist stabil. Aber die Geduld der Gründerfamilie schwindet. «Ich glaube noch immer an unsere Vision. Wir haben eine Lösung für die Mobilitätswende gefunden», sagt Ouboter.
(aargauerzeitung.ch)
