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Dem «Schweizer Tesla» droht das Aus – oder die Abwanderung nach China

microlino
Weniger Verbrauch und weniger Platzbedarf: Microlino sieht sich als klimafreundliche Alternative im Stadtverkehr.Bild: keystone

Dem «Schweizer Tesla» droht das Aus – oder die Abwanderung nach China

Microlino kämpft um seine Zukunft. Die Gründerfamilie fühlt sich von der Politik benachteiligt: «Ohne Unterstützung überleben wir nicht.»
05.11.2025, 05:5105.11.2025, 12:25
Patrik Müller / ch media

Als die CH-Media-Redaktion den Microlino vor zwei Jahren testete, schienen die Aussichten gut. Der kleine Elektroflitzer, entwickelt in Küsnacht ZH, gebaut in Turin (Italien), sorgte auf den Strassen für Staunen und Sympathiebekundungen. Überall, wo der Microlino auftauchte, blieben Menschen stehen, schmunzelten, zückten ihre Handys. Das Gefährt – eine Mischung aus Auto und Roller – ist ein Hingucker und ein Statement: klein, effizient, wie gemacht für den kleinräumigen Schweizer Alltag.

Doch die Erwartungen haben sich nicht erfüllt, wie Informationen von CH Media zeigen. Die Gründer beschönigen nichts. Es handelt sich dabei um die Familie Ouboter: Wim Ouboter, der um die Jahrtausendwende die legendären Kickboards erfunden hat, und seine beiden Söhne Oliver und Merlin Ouboter, die für das Elektroauto zuständig sind. Sie sagen:

«Wenn wir aus Europa nicht mehr Unterstützung erhalten, müssen wir die Produktion einstellen – oder nach China verlagern.»

Bis heute hat Microlino in Italien rund 4767 Microlinos produziert, über 70 Millionen Franken hat die Familie Ouboter aus eigener Tasche investiert. In der Schweiz entwickelt, in Europa produziert – das ist die Grundidee. Doch bald könnte es heissen: Made in China.

microlino familie ouboter
Die Brüder Oliver Ouboter (im Auto sitzend) und Merlin Ouboter zusammen mit ihrem Vater, Kickboard-Erfinder Wim Ouboter.

Benachteiligt in EU, gefördert in China

Grund ist die europäische Regulierung: Die sogenannte L7e-Kategorie – also die Klasse der Microcars – fällt bislang durch alle Förderraster. Keine Subventionen, keine CO₂-Gutschriften, keine tieferen Steuern, im Gegenteil: Während Besitzer von Elektro-SUVs und Luxuslimousinen von Steuererleichterungen profitieren, gehen ultraleichte Stadtflitzer leer aus.

Anders in China. Dort winken staatliche Zuschüsse und günstige Produktionsbedingungen. «Wenn Europa nicht handelt, wird die Produktion künftig nicht mehr hier stattfinden», sagt Wim Ouboter.

China habe gegenüber Microlino bereits Interesse signalisiert, die Fahrzeuge in einer bestehenden Fabrik zu produzieren – zu rund 50 Prozent tieferen Kosten als aktuell in Turin. China wäre offenbar auch bereit, Millionen in das Unternehmen einzuschiessen.

Ein Microlino kostet in der Schweiz, je nach Modell und Ausstattung, zwischen 14'990 und 24'990 Franken. Ouboter:

«Wir waren bei der Lancierung euphorisch und rückblickend etwas blauäugig. Wir dachten, Konsumenten und Politik meinten es ernst mit der E-Mobilität. Aber am Ende zählt doch nur der Preis.»

Kleinwagen mit Verbrennungsmotor bieten zu ähnlichen Preisen mehr Volumen.

Der Staat bevorzugt die Grossen

Besonders ärgert Ouboter, dass der Microlino in der EU nicht als «richtiges» Auto gilt – obwohl er zwei Sitze, eine selbsttragende Karosserie und 90 km/h Spitzengeschwindigkeit bietet. «Ein Mercedes G-Klasse in elektrisch bekommt CO₂-Anrechnung und Fördergeld. Der Microlino, der 80 Prozent weniger CO₂ verursacht, bekommt nichts», kritisiert er.

Auch in der Schweiz werde der Kleinwagen benachteiligt. Hier wird der Microlino bei der Zulassung als Kleinmotorrad behandelt – beim Import aber plötzlich als Personenwagen, mit entsprechender Versteuerung. Ouboter appelliert an Verkehrsminister Albert Rösti und fragt: «Wo ist da die Logik?» Der Kanton Luzern will an der Diskriminierung festhalten, wie Anfang Woche bekannt wurde.

Kleine Hersteller spannen zusammen

Im Rahmen der sogenannten «Microcar Coalition» kämpfen kleinere europäische Hersteller gemeinsam für eine neue Politik. Die EU plant ein Förderprogramm für «Small EVs». Allerdings bleibt vorerst unklar, ob die L7e-Klasse überhaupt einbezogen wird.

Die Microlino-Macher verstehen das nicht. Ein Microlino leiste den grösseren Beitrag zum Klimaschutz als schwere Elektrowagen. Eine Steckdose genügt zum Laden, der Stromverbrauch ist viel kleiner, der Platzbedarf auf der Strasse ein Drittel eines SUV.

«Die CO₂-Reduktion geht nur über das Portemonnaie», sagt Ouboter desillusioniert. «Ohne Anreize bleibt alles beim Alten.» Er fordert eine SUV-Abgabe, deren Erträge kleinen Elektroauto-Herstellern zugutekommen sollen. Norwegen zeige, dass Lenkungsabgaben wirken – dort fahren 85 Prozent der Neuwagen elektrisch.

Erinnerungen an Hayeks Smart

Für Ouboter ist der Microlino mehr als ein Geschäftsmodell. Es ist die logische Fortsetzung seines Lebenswerks – nach dem Scooter und dem E-Trottinett nun das Mikroauto für die Stadt. Doch der Automarkt ist brutal.

Das musste schon Nicolas Hayek senior erfahren. Er erfand Anfang der 1990er-Jahre den Swatch Car (später Smart) und wurde dafür gefeiert. Das Projekt stockte aber bald. Hayek verkaufte schliesslich seine Anteile 1998 an Mercedes. Ebenfalls desillusioniert.

Nicolas Hayek war seiner Zeit voraus: Er wollte mit einem kleinen Elektroauto durchstarten.
Nicolas Hayek war seiner Zeit voraus: Er wollte mit einem kleinen Elektroauto durchstarten.Bild: keystone

Bei Microlino ist noch nichts entschieden. In Turin läuft die Produktion weiter, die Nachfrage ist stabil. Aber die Geduld der Gründerfamilie schwindet. «Ich glaube noch immer an unsere Vision. Wir haben eine Lösung für die Mobilitätswende gefunden», sagt Ouboter.

«Doch ohne Unterstützung überleben wir in Europa nicht.»

(aargauerzeitung.ch)

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242 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Klarname
05.11.2025 06:12registriert Februar 2020
Ein Armutszeugni dass die selben alten Rezepte der grossen Autobauer - überdimensioniert und schwer - gefördert werden und wenn endlich mal ein echtes Gegenkonzept zu diesem Trend produziert wird, gibt's keine Förderung. Ob dabei der politische Filz wohl eine Rolle spielt?
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Raketenwissenschaftler
05.11.2025 06:50registriert Januar 2023
Vielleicht hätten Microcars eine Chance, wenn sie die Hälfte eines Kleinwagen kosten würden. Der Nutzen ist ja eher im Bereich eines Rollers wie eines richtigen Autos,
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Die Lauchin
05.11.2025 06:36registriert Oktober 2015
Originell, knuffig, teuer und im Vergleich mit ähnlichen E-Wägelchen schlicht zu wenig Nutzen. Dass das Teil wenig gekauft wird, liegt wohl eher nicht an den 60 Franken mehr Motorfahrzeugsteuer zu einem Tesla. Viel Statement, wenig Nutzen. Und Schuld sind die anderen.
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